Konzept inhärente Grundgedanke, dass Kultur »zuerst eine kollektive, besonders: sprachliche Praxis« ist, verweist auf die besondere Sprach- und Kultursensibilität, die mit der Mehrsprachigkeitspragmatik in der Regel verbunden ist (vgl. RennRenn, Joachim, »Perspektiven einer sprachpragmatischen Kulturtheorie«, 430). Die jüngere Forschung beschäftigt sich z.B. mit Samuel BeckettBeckett, Samuels Bemühen, Figuren zu erzeugen, »die das Mehrsprachigkeitsproblem ›erleben‹, womit er eine Authentifizierung des Problems erreicht« (MannweilerMannweiler, Caroline, »BeckettsBeckett, Samuel Mehrsprachigkeit«, 62).
Arbeiten im Bereich des jüngeren Forschungsfeldes Interkultureller Linguistik, das mit den Initiativen von Peter RasterRaster, Peter (Perspektiven einer interkulturellen Linguistik) und Csaba FöldesFöldes, Csaba (Interkulturelle Linguistik im Aufbruch) eng verbunden ist; hier wird neben Analysen verschiedenster Einzelsprachen und kontrastiven Untersuchungen auch angeregt, die linguistischen Instrumente selbst interkulturell zu betrachten, d.h., u.a. auch andere als europäisch-anglo-amerikanische Theorien und Forschungsansätze zu berücksichtigen. Im Rahmen dieser Forschungsrichtung werden u.a. Modelle »der interkulturellen Identität« entworfen, die »nur durch eine Interaktion zweier oder mehrerer Sprach- und Kommunikationskulturen entsteht«, um die literarische Inszenierung der Erfahrungen von Sprachkontakten methodisch fundiert zu beschreiben (vgl. PugliesePugliese, Rossella, »Interkulturalität als Identität«, 219).
Ansätze im Bereich der Translationswissenschaft, die einerseits linguistische Forschungsrichtungen vielfach markant abkoppeln, andererseits seit geraumer Zeit mit kulturwissenschaftlichen Fundierungen pragmatische Akzente setzen (VermeerVermeer, Hans J., Literarische Übersetzung als Versuch interkultureller Kommunikation; KußmaulKußmaul, Paul, Kreatives Übersetzen). Diese Ansätze sind in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass »Position und Wirkung von Übersetzern, Übersetzungsprozessen und übersetzter Literatur in der Zielkultur« die ästhetischen Bedingungen des Übersetzens mitbestimmen (vgl. PagniPagni, Andrea, »Lateinamerika als Übersetzungsraum«, 162).
Die bereits seit Beginn der 1990er Jahre etablierte Literary Pragmatics, die mit Roger D. SellSell, Roger D. u.a. verbunden ist; dies ist eine Richtung, in der versucht wird, die insbesondere in der germanistischen Forschung verbreitete Lücke zwischen Literaturwissenschaft und Linguistik durch den Einsatz linguistischer Instrumente in literaturwissenschaftlichen Analysen zu überwinden. Die spezifische Anschlussfähigkeit des Ansatzes im Hinblick auf Fragen literarischer Mehrsprachigkeit ergibt sich aus der Grundannahme, derzufolge »the writing and reading of literary texts as interactive communication process« zu betrachten ist, der soziokulturelle Kontexte impliziert (vgl. Sell,Sell, Roger D. Literary Pragmatics, xiv).
Dass die Anwendung linguistischer Instrumente auf literarische Texte, etwa auf literarisch fingierte Dialoge im Drama oder in erzählenden Texten, grundsätzlich methodisch begründet werden kann, wurde bereits vor Jahrzehnten mit starken Argumenten diskutiert (vgl. z.B. UngeheuerUngeheuer, Gerold, »Gesprächsanalyse an literarischen Texten«; Hess-LüttichHess-Lüttich, Ernest W.B., Soziale Interaktion und literarischer Dialog). Dabei bewährt sich in pragmalinguistischen Untersuchungen von Mehrsprachigkeit und insbesondere literarischer Mehrsprachigkeit in Abhängigkeit von den jeweiligen Fragestellungen und Forschungsfragen der Einsatz möglichst vielfältiger Ansätze und methodischer Vorgehensweisen wie z.B. im Ausgang von Sprechakttheorie, konversationellen Implikaturen und Gesprächsanalyse.
b) Linguistik der Mehrsprachigkeit
Linguistische Fundierungen der Mehrsprachigkeitsforschung, die sich im deutschsprachigen Raum als jüngere Forschungsrichtung mit stark zunehmender Aufmerksamkeit präsentiert und im Zusammenhang gesellschaftlicher Gegebenheiten der Multi- und Interkulturalität zu sehen ist, kommen u.a. in literaturwissenschaftlichen Zusammenhängen wie insbesondere der Interkulturellen Literaturwissenschaft zum Einsatz. Denn gerade literarische interkulturelle Texte gehen häufig mit Formen der Mehrsprachigkeit als Manifestationen von Sprach- und Kulturkontakt auf der Autoren- oder Rezipientenebene sowie der inhaltlichen oder der formalen Textebene einher (vgl. z.B. SchmelingSchmeling, Manfred u.a., Literatur im Zeitalter der Globalisierung; SchmelingSchmeling, Manfred/Schmitz-EmansSchmitz-Emans, Monika, Multilinguale Literatur im 20. Jahrhundert und ein Themenheft der Zeitschrift für interkulturelle Germanistik, vgl. Kilchmann,Kilchmann, Esther »Mehrsprachigkeit und deutsche Literatur«).
Solche spezifischen Fragestellungen der Mehrsprachigkeitsforschung können unter Anwendung des breiten Spektrums pragmalinguistischer Paradigmen untersucht werden, insbesondere in den oben genannten Erweiterungen. Die Gegebenheiten kollektiver Mehrsprachigkeit können z.B. mit Aspekten der Kultur- und Literaturförderung im Falle sehr kleiner Sprachen wie z.B. des Rätoromanischen verbunden sein; Formen des Code-Switching, einem prominenten Feld der Mehrsprachigkeitsforschung, etwa können ihrerseits z.B. kontrastiv im Hinblick auf erforderliches implizites Wissen untersucht werden, im Hinblick auf pragmatische Aspekte der Gesprächsprofilierung oder unter translationswissenschaftlichen Gesichtspunkten. Dies schließt unterschiedliche Richtungen und Fragestellungen wie z.B. nach Arten der Äquivalenz unter Berücksichtigung formal-ästhetischer Qualitäten, skopustheoretische Prinzipien oder etwa Ansätze an der Schnittstelle von Translations- und Literatursoziologie ein (TyulenevTyulenev, Sergey, Applying LuhmannLuhmann, Niklas to Translation Studies). Weiterhin ist die Einbettung der Untersuchung literarischer Mehrsprachigkeit in allgemeine Kontexte von historischen Sprachkontakt- ebenso wie Sprachkonfliktprozessen ein relevantes Forschungsfeld.
c) Pragmatik der Mehrsprachigkeit in der Literatur
Formen der Mehrsprachigkeit im Zusammenhang literarischer Texte können unter Einsatz von Ansätzen und Instrumenten der linguistischen Pragmatik in ihrer vollen Breite untersucht werden. Dabei liegt es nahe, die Charakteristika literarischer Kommunikation in ihrer Vielschichtigkeit mit den Ebenen der Texterstellung, des Textes selbst und der Textrezeption zu berücksichtigen.
Ebene des Schreibens und Sprechens (Sprachproduktion) in mehrsprachiger Perspektive
Im Sinne von Karl BühlerBühler, Karls frühem Sprachhandlungsmodell spielen die sprachlichen Ausdrucksfunktionen und das gesamte Feld dessen, was Sprachverwendungen über Intentionen, Motive, Emotionen etc. des Emittenten erkennen lassen, eine entscheidende Rolle auch in literarischer Kommunikation. In literaturwissenschaftlicher Hinsicht ist dabei zu unterscheiden zwischen Autor- und Erzählerebene sowie derjenigen der Figuren, die ihrerseits vielfach als Sprecher oder Schreiber in den literarischen Text eingeführt werden. Am literarischen Kommunikationsprozess sind ferner auch alle Beteiligten des Literaturbetriebes, also aus der Literaturwissenschaft, der Literaturkritik, den Verlagen etc., als Emittenten mit spezifischen Intentionen beteiligt.
Das literatursprachliche Handeln der Autorinnen und Autoren ist von ihren jeweiligen Mehrsprachigkeits- und Übersetzungskompetenzen mitbestimmt. Eine wichtige Rolle spielt dabei, über welches Niveau sie in welchen Varietäten ihrer Sprachen jeweils verfügen und ob sie z.B. in der Lage sind, ihre eigenen Texte in einer oder mehreren ihrer Sprachen zu verfassen und gegebenenfalls wechselweise zu übersetzen. Auf diesen Aspekt bezog sich lange Zeit das zentrale Kriterium für die Vergabe des Adelbert-von-Chamisso-Preises, demzufolge potentielle Preisträgerinnen und Preisträger nicht-deutscher Muttersprache seien, aber das Deutsche als Literatursprache verwendeten.
Persönliche Mehrsprachigkeit bestimmt auch die Möglichkeiten literarischer Autorinnen und Autoren, mit expliziten oder impliziten Formen multilingualer Sprachverwendung in ihren Texten zu arbeiten (vgl. zur Mehrsprachigkeit in autobiographischen Dimensionen Schneider-ÖzbekSchneider-Özbek, Katrin, »Sprachreise zum Ich«). Diese können sich auf sämtliche linguistischen Ebenen beziehen von der phonetisch-phonologischen bis zu der von Texten und gegebenenfalls Diskursen. Für Ilija TrojanowTrojanow, Ilija z.B. bedeutet mehrsprachige »Anreicherung« vor allem die Arbeit im Bereich der Wortbildung, die Schaffung neuer Komposita, die im besten Fall nicht nur neue Metaphern sind, sondern darüber hinaus das Potential zur »relativen Motivierung« im Sinne von Ferdinand de SaussureSaussure, Ferdinand de haben und zugleich wohlklingend sind:
Ich richte mein Ohrenmerk auf mögliche Komposita, ergötze mich an Flammenschrift