Anschließend stellt sich Agantʿangeɫos selbst vor.3 So erfährt man, dass er aus Rom kommt und in Latein, Griechisch und literarischer Dichtung geschult ist. Ebenso nennt und rühmt er in diesem Absatz den König Trdat sowie dessen Geschlecht, die Arsakiden. Daraus kann geschlossen werden, dass er auch zuvor von diesem König Trdat sprach. In der armenischen Geschichte gab es jedoch mehrere Könige dieses Namens. In der Forschung geht man davon aus, dass es sich entweder um Trdat III4 oder Trdat IV handelt.5 Ferner skizziert er in groben Zügen das Leben sowie die Verdienste von Gregor dem Erleuchter6, allerdings auch ohne dessen Namen mitzuteilen. Anschließend betont Agantʿangeɫos, dass er keine Quellen benutzte, da er alles mit eigenen Augen gesehen habe. Die letzten Absätze des Vorworts enthalten einen Ausblick über das, was Agantʿangeɫos in seinem Werk berichten wird. Das Vorwort schließt, wie es begonnen hat, mit einer Meeres-Metaphorik.
Das erste Kapitel ist mit „Leben und Geschichte des Heiligen Gregor“7 überschrieben. Zunächst werden die zeitgenössischen Herrschaftsverhältnisse dargelegt, allerdings die des Iran, was für den heutigen Leser im Text nicht gleich deutlich wird. Man muss wissen, dass zwischen dem iranischen und dem armenischen Königshaus enge Bande bestanden, da beide der Dynastie der parthischen Arsakiden8 entstammen.9 Agantʿangeɫos schreibt, dass die Parther durch die Perser abgesetzt wurden. An ihrer Spitze stand Artashir, der Sohn des Sasan. Dies war zur Zeit des armenischen Königs Khosrov, dem Vater Trdats.
Es wird berichtet, wie König Khosrov eine Armee aufstellt, um gegen die Perser zu ziehen. Die Streitmacht besteht aus Völkern verschiedener Nationen, u.a. Albaner und Georgier. Andere Verwandte des armenischen Königshauses unterwerfen sich der Herrschaft des persischen Königs Artashir. Dem armenischen König gelingt es, die persische Streitmacht zu zerschlagen, so dass der persische König vor ihm flieht. Im folgenden Jahr wird erneut eine Armee versammelt, zu der sich auch weitere Völker gesellen. Die Plünderungen und Kriegstreibereien setzen sich die nächsten 11 Jahre10 fort. Der persische König sucht nach einem Ausweg aus dieser Misere und versammelt die Obersten seines Reiches. Unter diesen befindet sich ein Parther, genannt Anak, der dem Perser Rache verspricht. Der Perserkönig stellt Anak eine Krone und den zweiten Rang in seinem Reich als Belohnung in Aussicht. Anak begibt sich zum armenischen Hof und meuchelt König Khosrov. Nur ein Kind überlebt das Attentat auf das armenische Königshaus, der Sohn Khosrovs, Trdat. Diese Tat Anaks bleibt nicht ungesühnt und er wird samt seiner Familie getötet. Das erste Kapitel endet damit, dass der persische König Artashir Armenien einnimmt und die Grenzen befestigt.
Im Allgemeinen ist es unklar, wann genau die Geschichte Armeniens verfasst wurde. In der Forschung wird das Werk auf die zweite Hälfte des 5. Jh. datiert. Die Ereignisse, die geschildert werden, sind aber im 3. und 4. Jh. anzusiedeln. Daher wird bezweifelt, dass Agantʿangeɫos ein Augenzeuge war, wie er selbst schreibt. Ein Grund für die späte Datierung liegt in der Biographie des heiligen Gregor, denn diese ist der Biographie des Mesrop von Koriwn nachempfunden. Da die Lebensbeschreibung des Mesrop in der Mitte des 5. Jh. niedergeschrieben wurde, kann das Werk von Agantʿangeɫos nicht älter sein. Ferner ist bei Thomson (1976) zu lesen, dass der Name Agantʿangeɫos den armenischen Autoren ungefähr bis zum Ende des 5. Jh. nicht bekannt war.11 Vermutlich wurde das Werk zeitlich so angesiedelt, um den armenischen Volk eine Geschichte zu geben, die die Fakten so darlegt, dass das Volk stolz auf seine Herkunft sein kann.
Ein weiterer, entscheidender Grund, warum das Werk des Agantʿangeɫos nicht zu Lebzeiten des Königs entstanden sein kann, ist folgender: In der Forschung bestehen zwar Unsicherheiten hinsichtlich der Lebensdaten Trdats12, aber seine Konversion wird relativ sicher auf 314 datiert, nach armenischer historischer Tradition auf 301. Das armenische Alphabet wurde jedoch erst zu Beginn des 5. Jh.s entwickelt. Des Weiteren gilt die armenische Fassung als Original und man weiß, dass die Armenier vor der Entwicklung ihres eigenen Alphabets ihre Sprache nicht anhand eines anderen verschriftlicht haben. Thomson (1976) schreibt über das Werk des Agantʿangeɫos in der Einleitung, dass es eine Mischung aus erinnerter Tradition und erfundener Legende ist.
Von der Geschichte Armeniens gab es eine ältere und eine jüngere Version.13 Bewahrt ist lediglich die ältere. Die jüngere Fassung ist zwar verloren gegangen, aber durch Übersetzungen ins Griechische, Syrische, Arabische und Georgischebekannt. Der verlorengegangene Text wird Zyklus V genannt, der erhaltene Zyklus A. Kettenhofen (1995) weist zusätzlich daraufhin, dass van Esbroeck eine weitere Version gefunden hat, „… die sowohl die A- als auch die V-Rezension aneinander anglich; auch ihre armenische Vorlage ist verloren. …“14 Schon in der Antike wurde die Geschichte Armeniens von Agantʿangeɫos vielfach übersetzt.
Laut Thomson (1976) gibt es nur eine komplette Übersetzung in eine moderne Sprache. Es ist eine Übersetzung ins Italienische im Jahre 1843 durch die venezianischen Mechitaristen.15 Mit Thomsons Edition (1976) liegt die erste englische Übersetzung vor. Diese wurde grundlegend für die vorliegende Arbeit genutzt.
I.3.4.2 Historische Hintergrundinformationen
Die Geschichte Armeniens von Agantʿangeɫos beschreibt die armenische Geschichte des 3. Jh. Zu dieser Zeit gab es zwei Großmächte, die Römer im Westen und die Parther im Osten. Beide unterhielten friedliche Beziehungen und teilten den gleichen Feind, i.e. die erstarkenden Perser. Diese versuchten derzeit die Parther im Osten zu verdrängen. Agantʿangeɫos berichtet zunächst über die Sasanidische Revolution des Jahres 224. Die Parther, die lange Zeit im Iran herrschten, wurden abgesetzt und die Perser nahmen deren Position ein. Dies beschwor einen Konflikt mit den Armeniern herauf, deren amtierender König Khosrov der Linie der Parther entstammte. Der zu den Persern übergelaufene Fürst Anak ermordete König Khosrov. Im Gegenzug wurde Rache an Anak und seiner Familie geübt, lediglich sein Sohn Gregor überlebte. Er wurde in Kappadokien bei einer Christin im christlichen Sinne erzogen. Später wird er als Gregor der Erleuchter, der Apostel der Armenier, bekannt werden. Auch der Sohn Khosrovs, Trdat III. oder Trdat IV.1, wurde außer Landes gebracht. Durch römischen2 Einfluss erhielt Trdat unter der Herrschaft des römischen Kaisers Diocletian den armenischen Thron zurück. Die römische Politik beeinflusste die armenische entscheidend. Kaiser Diocletian verfolgte Christen und ebenso wurden Christen in Armenien verfolgt und umgebracht. Doch als sich in Rom unter Kaiser Konstantin die Haltung gegenüber den Christen änderte, änderte auch König Trdat seinen Kurs. Diese Problematik ist mit einer Legende3 verknüpft, die von der Ermordung 33 nach Armenien geflüchteter Jungfrauen handelt. Angeblich hat es sich folgendermaßen zugetragen: König Trdat verliebte sich in die schöne Nonne Hripʿsimeankʿ. Er begehrte sie zur Frau, doch sie wollte keinen „Heiden“ ehelichen. Daraufhin ließ der König Hripʿsimeankʿ sowie weitere Jungfrauen aus ihrem Orden ermorden. Damit nahm, der Geschichte nach, die Christenverfolgung in Armenien ihren Lauf. Trdat aber wurde sehr krank und verwandelte sich in ein Wildschwein. Seine Schwester Khosroviducht hatte eine Vision, dass nur Gregor, der Sohn des Anak, ihn retten könnte. Gregor befand sich zu dieser Zeit bereits seit einiger Zeit im Kerker, weil er als Christ erkannt worden war. Nun wurde er herausgeholt, bekehrte und heilte den König und das Christentum hielt als anerkannte Religion Einzug in Armenien. Wie viel Wahrheit in dieser Legende steckt, kann man heute nicht mehr genau sagen. Interessant sind aber zwei Dinge: Zunächst wird mit der Bekehrung des armenischen Königs direkt ein christliches Grundprinzip demonstriert, i.e. das Vergeben. Trdat und Gregor sind eigentlich aufgrund ihrer Herkunftsverhältnisse Feinde, doch durch die Heilung und Bekehrung überwinden sie dies. Gregor wird danach geistliches Oberhaupt Armeniens. Somit arbeiten Gregor und Trdat Hand in Hand. Hinsichtlich der Wahrheit ist bei Deschner (1996) zu lesen, dass Gregor um 280 das Christentum verkündete und „… [d]abei gewann er Einfluß auf König Trdats Schwester Chosroviducht und zuletzt auf den König …“.4 Der zweite interessante Punkt ist die neue Religion. Armenien war lange Zeit geteilt, so dass ein Teil des Landes iranisch und der andere griechisch geprägt war. Das Volk besaß also keine einheitliche Religion. Durch die Einführung des Christentums als Staatsreligion wird das Volk auch im Geiste geeint. Zugleich wurde dadurch politisch eine neue Zeit eingeleitet. Eine andere Meinung vertritt Deschner (1996). Er sieht den Übertritt der Armenier zur christlichen Religion in der Feindschaft mit den Persern begründet. Er schreibt: „… Das Motiv für den Übertritt des Königs und damit für die Christianisierung des Volkes war nichts andres als der Argwohn, die Feindschaft gegen Persien. …“5 So hat das armenische Volk die neue Religion nicht aus eigenem