Lingyan Qian

Sprachenlernen im Tandem


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im Bereich von Interaktion und Zweitspracherwerb verdeutlicht, dass Interaktionen verschiedene Lehr- und Lernpotenziale für den Zweitspracherwerb bieten. Während die Aktivitäten der Lerner ohne Zweifel im Mittelpunkt stehen, werden aber die Rollen der kompetenten Interaktionspartner sowohl im gesteuerten als auch im ungesteuerten Zweitsprachwerb betont. Im gesteuerten Zweitspracherwerb werden die Ziele der Interaktionen, die Beteiligung der Lerner, der Ablauf der Interaktionen und der Erwerbsprozess von Lehrpersonen bestimmt. Im ungesteuerten Zweitspracherwerb gibt es zwar keine Lehrpersonen im didaktischen Sinne, jedoch stellen die Gesprächsparter (in den meisten Forschungen Muttersprachler) Laienlehrpersonen dar. Ihr sprachliches Verhalten und ihre Strategien üben einen Einfluss auf den stattfindenden Erwerbsprozess für die Lerner in der Interaktion aus.

      Als eine besondere Interaktionsform für Fremdsprachenlernen erlangt das Tandem-Konzept in den letzten Jahren zunehmend wissenschaftliches Interesse. Die Darstellung der jungen Tandemforschung zeigt, dass diese Lehr- und Lernform aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht wird. Während das Fremdsprachenlernen schon immer einen wichtigen Platz in der Forschung einnimmt, wird das interkulturelle Lernen im Tandem vermehrt thematisiert. Eine Tendenz sehen wir ebenfalls im Forschungsbereich der Beratungen und der Begleitungen des Tandemlernens.

      Im Hinblick auf die Daten bzw. die Methode der bisherigen Forschung ist zu beobachten, dass sie vorwiegend durch quantitative und qualitative Methoden (Interviews, Umfragen, teilnehmende Beobachtungen, Tagebuchaufzeichnungen), geprägt ist (wie Herfurth 1993, Schmelter 2004, Brammerts 2006, Reinecke 2013). Wenige interaktionsorientierte Untersuchungen basieren auf empirischen Gesprächsdaten (Apfelbaum 1993, Rost-Roth 1995, Bechtel 2003) und folgen sprachwissenschaftlichen Ansätzen. Eine systematische Untersuchung des interkulturellen Lernens im Tandem leistet Bechtels Studie (2003) mit einer diskursanalytischen Methode. In der Forschung über das Fremdsprachenlernen gelten Apfelbaum und Rost-Roth als die ersten, die die Gesprächsabläufe in Tandeminteraktion mit konversationsanalytischer Methode untersuchen. Die beiden sprachwissenschaftlichen Forschungen ermöglichen einen Blick in die konkrete Interaktion im Tandem.

      Die konversationsanalytische Methode erhellt die Tandeminteraktion genauer und konkreter. Herfurth (1993: 225) weist ebenfalls darauf hin, dass „weitere Aufschlüsse zur Einschätzung des Spracherwerbs in Begegnungssituationen sich durch eine konversationsanalytische Untersuchung von Sequenzen realer Gesprächsabläufe der Begegnungen ergeben“ sollten. Die vorliegende Arbeit versteht sich als eine konversationsanalytische Untersuchung zum Fremdsprachenlernen im Tandem. Im folgenden Kapitel werde ich die Forschungsmethode und die Konversationsanalye vorstellen.

      2 Untersuchungsmethode

      2.1 Konversationsanalytischer Ansatz

      Mit der Konversationsanalyse bezeichnet man einen Forschungsansatz, der sich mit der Analyse natürlicher Gesprächsdaten befasst. Nach Bergmann (2001) setzt sich die Konversationsanalyse mit „der Untersuchung von sozialer Interaktion als einem fortwährenden Prozess der Hervorbringung und Absicherung sinnhafter sozialer Ordnung“ (Bergmann 2001: 919) auseinander.

      Der Ursprung der Konversationsanalyse ist auf die amerikanische ethnomethodologische Soziologie in den 1960er zurückzuführen. Die von Harold Garfinkel (1967) begründete Ethnomethodologie versteht sich als ein „Forschungsprogramm, das sich mit den Methoden der Konstitution sozialer Wirklichkeit und sozialer Ordnung im Alltagshandeln der Gesellschaftsmitglieder befasst“ (Streeck 1987: 672). Im Hinblick auf die soziale Ordnung sind für die Ethnomethodologie interaktive Hervorbringungen statt vorgegebener Normen entscheidend. Das heißt, die soziale Wirklichkeit wird nicht ex ante festgelegt, sondern durch die Gesellschaftsmitglieder in ihrem Handlungsverlauf hergestellt. Das Hauptinteresse der Ethnomethodologie besteht in der Genese der Wirklichkeitsproduktion und der alltäglichen Sinnerzeugung.

      Die Entwicklung des ethnomethodologischen Forschungsprogramms zur Konversationsanalyse ist Harvey Sacks zu verdanken. Während Garfinkel soziale Handlungen mittels vielfältiger Beobachtungsverfahren untersucht, führt Sacks als einer der ersten Wissenschaftler die Tonaufzeichnung für systematische Forschungen der sozialen und sprachlichen Ordnung ein. Zusammen mit Emanuel Schegloff und Gail Jefferson leistet er einen wichtigen Beitrag zur Entstehung und Weiterentwicklung der Konversationsanalyse. Ihr Interesse richtet sich vorwiegend auf allgemeine Mechanismen, die Interaktionen in der Gesellschaft erzeugen. Ausgehend von dem Ausspruch „There is order at all points“ (Sacks 1984: 22), weist Sacks darauf hin, dass jedes Detail der Interaktion ein Untersuchungsobjekt sein kann. Anhand solcher Details lassen sich die formalen Methoden und Verfahren entdecken, die die Beteiligten zur Abwicklung alltäglicher kommunikativer Handlungen verwenden. Die Konstitution der sozialen Ordnung durch die Handlungen der Gesellschaftsmitglieder ist dadurch zu erkennen. Wie kommunizieren die Menschen? Wie werden Gespräche aufgebaut? Gibt es eine Systematik in Gesprächen? Lässt sich dadurch etwas über das soziale Handeln herausfinden? Solche Fragen stehen am Anfang der Konversationsanalyse im Vordergrund. Das Ziel der Konversationsanalyse liegt also darin, am Gegenstand sprachlicher Interaktion die konstitutiven Mechanismen zu bestimmen, die die sinnhafte Strukturierung und Ordnung der Gesellschaft hervorbringen.

      2.1.1 Grundprinzipien der Konversationsanalyse

      Was das methodische Vorgehen bzw. den theoretischen Hintergrund betrifft, unterliegen Untersuchungen sprachlicher Handlungen mit Konversationsanalyse einer Reihe von Prinzipien, die im Grunde genommen in der Ethnomethodologie verankert sind und in konversationsanalytischen Arbeiten entwickelt werden. Im Folgenden werden die Grundprinzipien im ethnomethodologischen Zusammenhang skizziert.

      1. Natürliche Daten als Untersuchungsgegenstand

      Die Konversationsanalyse besteht darauf, die „Natürlichkeit“ der Daten im höchstmöglichen Maße aufrechtzuerhalten. Das Ziel ist, dass möglichst viel vom realen Ablauf der Interaktion für die Analyse verfügbar ist. Die im konversationsanalytischen Rahmen erhobenen Daten unterscheiden sich deutlich von anderen Daten, mit denen die Sozialwissenschaftler bzw. Sprachwissenschaftler häufig arbeiten, wie experimentell gewonnene Daten, nachträgliche Beschreibungen sowie auch Erzählungen und Rollenspiele.

      Experimentelle Formen der Daten sind nicht geeignet für die Analyse alltäglicher Interaktionen. Die sich daraus ergebenden Handlungen sind spezifisch für das experimentelle Setting, in dem die Beteiligten hauptsächlich ihre Aufgaben erfüllen. Auf die Untersuchung der dargestellten Handlungen in ihrem eigentlichen sozialen Kontext sind solche Daten nicht zu übertragen. Aus ähnlichen Gründen werden Daten in Form von Rollenspielen oder idealisierten Versionen in der Konversationsanalyse nicht in Betracht gezogen.

      Nachträgliche Beschreibungen oder Erzählungen von Interaktionen gelten oftmals als eine Untersuchungsmethode in der wissenschaftlichen Forschung. Das Problem dabei liegt aber darin, dass sie sich nicht auf die Interaktion selbst konzentrieren, sondern eine retrospektive Darstellung produzieren. Das heißt, sie verstehen sich als Ressource für die Analyse, aber nicht als Gegenstand der Analyse. Um soziales Handeln in der Ethnomethodologie zu untersuchen stehen die Fragen des „Wie“ und nicht des „Warum“ sozialer Tatbestände im Mittelpunkt. Entsprechend besteht das Interesse der Konversationsanalyse, die sich aus der Ethnomethodologie entwickelt, in den Fragen, wie sich die Handlungen in der Interaktion manifestieren. Mit anderen Worten: Es wird ausschließlich die Interaktion an sich analysiert. In dieser Hinsicht ist es nicht unproblematisch, solche Datentypen für die Konversationsanalyse zu benutzen. Es gibt aber auch Ausnahmen, bei denen nachträgliche Beschreibungen oder Erzählungen (z.B. Interviews) an sich als Untersuchungsgegenstand verwendet werden können, das heißt, der Aufbau der Interviews wird erforscht. In diesem Fall können solche Daten in das Interesse der Konversationsanalyse rücken.

      Begünstigt wird die Erhebung natürlicher Daten von den Möglichkeiten der Ton- und Videoaufzeichnung. Durch den Einsatz der Transkriptionstechnik fixiert man anschließend die natürlichen Daten schriftlich.

      2. Detail- und Materialtreue

      Wie im Vorausgegangenen erwähnt, spielt die Transkription bei der Konversationsanalyse eine zentrale Rolle. In der Transkription wird die ursprüngliche Materialität der Daten schriftlich rekonstruiert. Die Analyse liegt den transkribierten Daten zugrunde.