Lingyan Qian

Sprachenlernen im Tandem


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stilistisch, prosodisch) untersucht. Zu diesem Bereich gehören z.B. Forschungen über Klatschgespräche (Bergmann 1987), Vorwurfsaktivitäten (Günthner 2000c), Bewerbungsgespräche (Birkner 2001).

       (3) Untersuchung der Bewältigung von Interaktionsproblemen und -aufgaben

      Dieser Forschungsbereich zeichnet sich durch seine funktionale Analyse aus. Das heißt, im Gegensatz zu den beiden obengenannten Gebieten geht man hier nicht von den Gesprächssequenzen aus. Vielmehr liegt das Ziel darin, die grundlegenden Interaktionsaufgaben anhand der Daten zu rekonstruieren und anschließend Ressourcen für die Bewältigung der kommunikativen Aufgaben oder Probleme zu finden, z.B. Verhandlung von Glaubwürdigkeit in Streitgesprächen (Deppermann 1997).

       (4) Kommunikationsportraits sozialer Gruppen und Milieus

      Die Konversationsanalyse kann ein Ausgangspunkt für die Forschung der Handlungstypen bestimmter sozialer Gruppen und Milieus sein. Mit der Rekonstruktion der Kommunikationsstile und -regeln sowie der Gesprächsthemen wird ein Grundstein für eine umfassende und zuweilen langjährige Kulturanalyse eines Handlungsfeldes gelegt. Die Studien von Keim (1995) und Schwitalla (1995) über kommunikative Stilistik jugendlicher Migrantengruppen in Mannheim lassen sich beispielsweise dieser Forschungsrichtung zuordnen.

       (5) Institutionelle Kommunikation

      Im Laufe der Jahre hat sich das konversationsanalytische Interesse an Interaktionen im institutionellen Kontext verstärkt. Während in Alltagsgesprächen hauptsächlich generelle Prinzipien der Interaktion (wie Sprecherwechsel, Themenorganisationen, Reparaturen) als Untersuchungsgegenstände im Vordergrund stehen, werden in institutioneller Kommunikation typische Gesprächspraktiken, die für die kontextspezifischen Aufgaben konstitutiv sind, erforscht. In dem von Drew und Heritage (1992) herausgegebenen Sammelwerk zum Thema „Talk at work“ handelt es sich z.B. speziell um die institutionelle Dimension und ihren Zusammenhang mit den Details der Interaktionsorganisation. Weitere Studien von z.B. Drew/Sorjonen (1997), Heritage (1997) zählen gleichwohl zu diesem Forschungsgebiet.

      2.1.3 Konversationsanalyse und Kommunikation mit nicht kompetenten Sprechern

      Die Kommunikation zwischen kompetenten und nicht kompetenten Sprechern zeichnet sich durch eine asymmetrische Verteilung sprachlichen Wissens aus. Anders als Kommunikation unter rein kompetenten Teilnehmern werden Gespräche mit nicht kompetenten Partnern oft von sprachlichen Defiziten beeinträchtigt. Mit der Entwicklung der Konversationsanalyse richtet sich die sprachwissenschaftliche Forschung seit den 1980er Jahren zunehmend auf dieses Gebiet. Erforscht werden hierbei vor allem die Kommunikation zwischen Erwachsenen und Kindern, die Kommunikation zwischen Muttersprachlern (MS) und Nichtmuttersprachlern (NMS) sowie die fremdsprachenunterrichtliche Kommunikation. Anhand transkribierter authentischer Daten werden spezifische Merkmale der Konversation mit nicht kompetenten Sprechern in diesen verschiedenen Kontexten verdeutlicht. Dabei ist das sprachlernfördernde Potenzial in solchen Situationen ein häufig erörtertes Thema. Im Folgenden werde ich wesentliche Forschungsergebnisse in diesem Bereich skizzieren.

      2.1.3.1 Besonderheiten der Erwachsenen-Kind-Kommunikation

      Konversationsanalytische sprachwissenschaftliche Untersuchungen über Erwachsenen-Kind-Kommunikation sind in der Regel an die Forschung der Sprachentwicklung der Kinder gebunden. Erwachsene spielen eine wesentliche Rolle bei der kindlichen Sprachentwicklung, indem sie beispielsweise die Kinder zum Sprechen motivieren, gesprächsstrukturelle Unterstützungen bieten oder auch mit ihnen in unterschiedlichen Kontexten verschiedene Themen besprechen. Was geschieht, wenn Erwachsene mit Kindern sprechen? Wie wird das Sprachenlernen der Kinder durch ihre Interaktion mit den Erwachsenen gefördert? Welche Unterstützungen bieten die sprachlich kompetenten Erwachsenen ihren kindlichen Gesprächspartnern? Wie werden potenzielle sprachlernfördernde Sequenzen in der Erwachsenen-Kind-Kommunikation organisiert? Dies sind die Themen, die man in der Forschung häufig behandelt.

      Morek (2012) analysiert z.B. die Eltern-Kind-Interaktion in familiären Tischgesprächen und Hausaufgabensituationen. Ihr Korpus umfasst 41 Aufnahmen aus den Familien von sechs Erstklässlern in fünf Familien mit einer Gesamtlänge von 16 Stunden. In ihrer empirischen Untersuchung analysiert sie das kindseitige Erklären. Aufgrund ihrer Ergebnisse fasst sie bei Tischgesprächen drei Interaktionsmuster (Fordern und Unterstützen, Übernehmen und Reparieren, Dulden und Tilgen) zusammen. Das Interaktionsmuster Fordern und Unterstützen zeichnet sich dadurch aus, dass die Eltern den Kindern immer neue Gesprächsräume zu deren entfaltender Darstellung geben, indem sie gesprächsstrukturelle Unterstützungen bieten. Daraus ergeben sich zahlreiche Gelegenheiten für kindliches Erklären. Im Gegensatz dazu erhalten die Kinder im Muster Übernehmen und Reparieren keinen Raum zur weiteren Produktion narrativer und explanativer Beiträge, weil die Eltern immer das Rederecht selbst ergreifen und die Erklärung anstelle der Kinder hervorbringen. Auch das Muster Dulden und Tilgen ist dadurch gekennzeichnet, dass die Kinder keine Gelegenheiten für ihre Erklärungsaktivitäten bekommen. Ihre erklärhaft strukturierten Sequenzen werden zwar von den Eltern als stille Zuhörer geduldet, aber anschließende Rückmeldungen bzw. Würdigungen oder Korrekturen bleiben aus.

      Bei Hausaufgabeninteraktionen lassen sich in Moreks (2012) Studie ebenfalls drei Interaktionsmuster (Überlassen und Helfen, Reparieren und Übernehmen, Fordern und Unterstützen) beobachten. Im Muster Überlassen und Helfen wird zuerst den Kindern überlassen, auf die elternseitigen Fragen wie „was musst du hier machen?“ mit einer Erklärung zu reagieren oder auf alternative Weise zu zeigen, dass sie verstanden haben. In diesem Fall bekommen die Kinder mehr Autonomie als in den anderen zwei Fällen zugeteilt. Das Muster Reparieren und Übernehmen ist ähnlich dem der Tischgespräche. Im Muster Fordern und Unterstützen finden sich deutliche Erklärungsaufforderungen seitens der Eltern. Im Verlauf der kindlichen Erkläraktivitäten beteiligt sich ein Elternteil unterstützend mit Strukturierungs- und Formulierungshilfen.

      Morek (2012) stellt in ihrer Untersuchung fest, dass die Schaffung der Erklärungsmöglichkeiten und die elternseitige Unterstützung dafür in unterschiedlichen Familien ganz verschieden ausfallen. In Anbetracht der Familieninteraktion für die Entwicklung der kindlichen Diskurskompetenz zieht die Forscherin daraus die Schlußfolgerung, dass diese Kinder unter Umständen unterschiedliche Erklärungsfähigkeiten erwerben.

      Die familiäre Prägung für die sprachliche Entwicklung der Kinder heben Ely et al. (2001) besonders hervor. Anhand empirischer Daten von Tischgesprächen in 22 Mittelschichtfamilien, die jeweils ein Kind zwischen zwei bis fünfeinhalb Jahren haben, stellen die Forscher fest, dass in Eltern-Kind-Konversationen aus der Mittelschicht häufig metasprachliche Diskurseinheiten vorkommen. Im Gesprächsverlauf produzieren die Eltern oft Sequenzen über sprachliche Phänomene. Sie erklären den Kindern, wann und wie man sprechen soll. Sie kommentieren Sprechaktivitäten und thematisieren die Fähigkeiten zum Lesen und Schreiben. Das zentrale Ergebnis dieser Studie lautet, dass amerikanische Mittelschichteltern sich in ihren Gesprächen mit den Kindern oft mit sprachorientierten Themen beschäftigen.

      Neben familiären Kontexten nehmen schulische Situationen auch einen wichtigen Platz in der konversationsanalytischen Forschung der Erwachsenen-Kind-Kommunikation ein. Mit Daten der Unterrichtsstunden von sechs Erstklässlern, die aus dem Sach- und Sprachunterricht zweier Grundschulen stammen, setzt sich Morek (2012) mit der schülerseitigen Erklärungsinteraktion auseinander. Dabei unterscheidet sie orchestriertes Erklärungsmuster vom solistischen Interaktionsmuster der Erklärungsaktivitäten. Unter orchestriertem Erklären versteht er das gemeinsame Erklären, wobei die lehrerseitige Frage mit einer Erklärungsaufforderung nicht von einem einzigen Schüler beantwortet, sondern ausgedehnt auf verschiedene Schüler verteilt wird. Im Gegensatz dazu zeichnet sich das solistische Erklären dadurch aus, dass ein einzelnes Kind eine Erklärung strukturiert und formuliert. Unter Umständen kann das Kind als zuständig für die Erklärung eines bestimmten Sachverhalts präsentiert werden. Nach Morek (2012) bietet die Unterrichtsinteraktion eine Vielzahl von Möglichkeiten, mit denen die Kinder sprachlich-kommunikative Erklärungserfahrungen sammeln können. Auch für die Kinder, die in ihren familiären Kontexten