Lingyan Qian

Sprachenlernen im Tandem


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      Am Beispiel von drei Fallbeispielen soll in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden, wie die Interaktionen für das Sprachenlernen im chinesisch-deutschen Tandem im Einzelnen ablaufen. Als Hintergrund zur Gesprächsanalyse möchte ich hier einige relevante Informationen über die jeweiligen Probanden zusammenstellen.

      Tandempaar 1: Li & Lukas

       (1) Li:

      Li ist zum Zeitpunkt der Aufnahmen 25 Jahre alt und studiert in Deutschland im zweiten Jahr Wirtschaft in der Sprache Englisch. Gleichzeitig besucht sie einen Deutschkurs im Sprachlehrinstitut der Universität. Nachdem sie ein Bachelorstudium im Fach Anglistik in Peking erfolgreich abgeschlossen hatte, begann sie mit einem Masterstudium im Fach Wirtschaft in Deutschland. Bevor sie nach Deutschland gekommen war, hatte sie die deutsche Sprache zwei Monate lang gelernt. In Freiburg geht sie zweimal pro Woche zum Deutschkurs. Ihren Tandempartner lernte sie über ihren Freund kennen. Sie trafen sich durchschnittlich zweimal pro Woche im Semester, entweder in der Wohnung oder in einem Café. Außerdem wurde Li zweimal von ihrem Tandempartner zur Gruppearbeit mit deutschen Studierenden eingeladen. Sie wohnt in einer WG mit drei deutschen, zwei amerikanischen und einem chinesischen Mitbewohnern. In ihrer Freizeit arbeitet sie in einem Hotel, wo die Arbeitssprache Deutsch ist.

       (2) Lukas:

      Lukas ist zum Zeitpunkt der Aufnahmen 25 Jahre alt und studiert Sinologie als Hauptfach im zweiten Jahr in Deutschland. Während des Studiums absolvierte er ein Austauschsemester in China. In den Semesterferien war er mehrmals in China, um seine chinesische Freundin zu besuchen. Allmählich kann er fließend Chinesisch sprechen.

      Tandempaar 2: Le & Max

       (1) Le:

      Le ist zum Zeitpunkt der Aufnahmen 22 Jahre alt und studiert im dritten Semester des Masterstudiums im Fach Germanistik. Nachdem sie ein Bachelorstudium der Germanistik in China erfolgreich abgeschlossen hatte, begann sie mit dem Masterstudium in Deutschland. Während des Bachelorstudiums absolvierte sie zwei Austauschsemester in Deutschland. Sie hat in meinem Korpus ein relativ hohes Sprachniveau auf Deutsch. Ihr Tandempartner Max wurde von ihrer früheren deutschen Tandempartnerin vermittelt, als sie ihr Studium abgebrochen hatte und in eine andere Stadt umgezogen war. Sie traf sich mit ihrem Tandempartner in der Regel einmal pro Woche, entweder in der Universität oder in ihrer WG. Außerdem arbeitet Le während des Studiums in Deutschland in einem Minijob, und zwar durchschnittlich anderthalb Tage pro Woche in einem Restaurant, wo die Arbeitssprache Deutsch ist.

       (2) Max:

      Max ist zum Zeitpunkt der Aufnahmen 25 Jahre alt und studiert im zweiten Semester des Bachelorstudiums das Fach Sinologie. Vorher beendete er sein Bachelorstudium im Fach Betriebswirtschaftslehre erfolgreich. Er kommt aus Süddeutschland und spricht mit einem deutlichen Akzent.

      Tandempaar 3: Ting & Linda

       (1) Ting:

      Ting ist zum Zeitpunkt der Aufnahmen 22 Jahre alt und studiert Jura im zweiten Semester des Masterstudiums in Deutschland. Nachdem sie ihr Bachelorstudium im Fach Jura erfolgreich abgeschlossen hatte, machte sie einen dreimonatigen Deutschkurs in China. Danach kam sie nach Deutschland. Da ihr Sprachniveau damals für ein Studium in Deutschland noch nicht ausreichte, besuchte sie ein Jahr lang Sprachkurse in Deutschland. Anschließend fing sie ihr Masterstudium im Fach Jura an einer Universität in Deutschland an. Ihre Tandempartnerin lernte sie durch mich kennen. Schon nach dem ersten Treffen freundeten sie sich an. Durchschnittlich treffen sie sich einmal pro Woche in einem Café in der Universität. Neben Gesprächen helfen sie einander bei Hausaufgaben. Ting bittet Linda häufig, ihre Seminararbeit zu korrigieren oder Texte in ihrem Lehrbuch zu erklären.

       (2) Linda:

      Linda ist zum Zeitpunkt der Aufnahmen 25 Jahre alt und studiert Sinologie als Hauptfach im letzten Semester des Magisters. Als ich die Datenerhebung abschloss, begann sie mit ihrer Promotion im Fach Sinologie. Da ihr Nebenfach Jura ist, vermittelte ich sie der chinesischen Jurastudentin Ting. Ting suchte nämlich eine Muttersprachlerin, die ihr bei ihrem Studium helfen könnte, während Linda auf der Suche nach einer chinesischen Tandempartnerin war. Während ihres Sinologiestudiums absolvierte Linda zwei Austauschsemester in China. Chinesisch kann sie schon fließend sprechen. Das erste Treffen mit Ting wurde von ihr als „Liebe auf den ersten Blick“ bezeichnet. Beim Tandemtreffen spricht sie mit Ting über viele verschiedene Themen aus Alltag und Studium. Außerdem bringt sie auch ihre Texte mit. Während sie ihre chinesischen Texte vorliest, korrigiert Ting ihre Aussprache und erklärt auch Textstellen, die Linda nicht versteht.

      2.2.3 Die Aufbereitung der Daten

      Wie in Kapitel 2.1.1 dargelegt, unterscheidet sich die Konversationsanalyse von vielen Forschungsmethoden in der Sprach- und Sozialwissenschaft darin, dass sie nicht von zu überprüfenden Hypothesen ausgeht. Erst aus der Beschäftigung mit den Datenmaterialien für den Untersuchungsgegenstand ergeben sich die Fragestellungen der Forschung. Das heißt, die Untersuchung mit konversationsanalytischer Methode ist ein reflexiver Prozess, der sich im Rahmen des Untersuchungsgegenstandes zwischen Daten und Fragestellungen alternierend bewegt.

      Der Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung ist die Frage nach dem Interaktionsprozess für das Sprachenlernen im Tandem. Was passiert, wenn sich zwei Tandempartner treffen? Wie interagieren sie miteinander? Wie verläuft der Lernprozess in Tandeminteraktionen? Um die Fragestellungen der Forschung in diesem Rahmen zu entwickeln und zu konkretisieren, versuchte ich zuerst, durch intensives Einhören in alle Aufnahmen zu Kategorien zu kommen, die in der chinesisch-deutschen Tandeminteraktion relevant sind. Mit Protokollen bzw. ersten Transkripten von mehreren interessanten Stellen stellte ich schließlich fest, dass die Gespräche im Tandem sowohl Merkmale der unterrichtlichen als auch der alltäglichen Interaktion enthalten. Einerseits kann die Tandeminteraktion mit dem Ziel – Sprachenlernen mit Unterstützung des muttersprachlichen Gesprächspartners – häufig als Lehr-Lern-Aktivität wie im institutionellen Fremdsprachenunterricht betrachtet werden. Andererseits zeichnet sie sich aber durch deutlich alltägliche kommunikative Eigenschaften aus.

      Besonders beachtenswert sind außerdem die konversationellen Erzählungen, die die chinesischen Lerner produzieren. Dabei tauchen interessante Phänomene auf, die in der bisherigen Erzählforschung kaum thematisiert werden. Beispielsweise beenden die Probanden in meinen Daten die Erzählungen, indem sie das Gesprächsthema zur landeskundlichen Diskussion oder zur sprachlichen Bearbeitung weiterführen. In konversationellen Erzählungen unter Muttersprachlern ist das nicht zu finden.

      Aufgrund dieser Beobachtungen entschied ich mich für drei Hauptkategorien meiner empirischen Analyse. Erstens geht es um das Tandemgespräch als eine besondere kommunikative Gattung, die zwischen Unterrichtsinteraktion und Alltagsgespräch liegt. Mit konversationsanalytischer Methode möchte ich den Wechselmechanismus zwischen der Lehr-Lern-Sequenz und dem Alltagsgespräch beleuchten und damit die relevanten Gattungsmerkmale des Tandems herausarbeiten. Zweitens geht es um konversationelle Erzählungen der chinesischen Lerner. Konkret möchte ich anhand meiner Daten die mündliche Erzählfähigkeit der chinesischen Studierenden analysieren. Da die Erzählungen im Tandem interaktiv hervorgebracht werden, spielt die Rolle der muttersprachlichen Gesprächspartner auch eine wichtige Rolle. Deshalb stehen drittens die Beiträge der muttersprachlichen Laienlehrpersonen im Mittelpunkt meiner Analyse.

      Da in der Regel eigentlich nur ein Teil der Gesprächsdaten für die Untersuchung der vorliegenden Kategorien von Interesse ist, ist die Transkripition der Gespräche von Anfang bis Ende forschungspraktisch unökonomisch. Deshalb wurde eine Auswahl der relevanten Gesprächsteile durchgeführt. Ich hörte dafür die aufgezeichneten Tandemgespräche in meinem Korpus zum Teil mehrmals und fertigte parallel Protokolle an, um angesprochene Themen, den Wechsel zwischen der Lehr-Lern-Sequenz und dem Alltagsgespräch und weitere Auffälligkeiten zu dokumentieren. Danach erfolgte auf Grundlage dieser Orientierungsprotokolle die Auswahl der relevanten Teile. Schließlich transkribierte ich die ausgewählten Gesprächsausschnitte nach dem gesprächsanalytischen Transkriptionssystem 2 (GAT 2).