Lingyan Qian

Sprachenlernen im Tandem


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zur Herstellung institutioneller Kontexte bei. Beispielsweise zeichnet sich die religiöse Kommunikation durch spezifische Gattungen wie Gebet, Predigt, Gottesdienst usw. aus, während die Kommunikation im universitär-akademischen Bereich aus Gattungen wie Seminaren, Vorlesungen, Vorträgen, Referaten, Klausuren, Kolloquien usw. besteht.

      Weiterhin ist die Beziehung zwischen kommunikativen Gattungen und der Sozialstruktur einer Gesellschaft auf der außenstrukturellen Ebene angesiedelt. Viele soziale Beziehungen entstehen durch Kommunikation. Macht, Geld und Wahrheit werden nicht nur durch Wissen zugänglich gemacht. Wichtig ist, dass das Wissen in bestimmten Situationen kommuniziert werden kann (Günthner/Knoblauch 1997: 299). Mit der Zunahme der Bedeutung der Kommunikation sind kommunikative Gattungen, die konstitutiv für soziale Handlungen sind, besonders wichtig. Ihre Distribution in verschiedenen sozialen Milieus und ihre Zugänglichkeit für die Mitglieder der Gesellschaft spielen eine erhebliche Rolle. Der Erwerb kommunikativer Gattungen wird als eine gesellschaftlich kommunikative Kompetenz betrachtet. Das Repertoire einzelner Mitglieder an kommunikativen Gattungen übt wiederum einen Einfluss auf den Zugang zu Milieus, Institutionen, Status, Macht usw. aus.

      Die oben beschriebenen Ebenen (die Binnenstruktur, die strukturelle Zwischenebene und die Außenstruktur) stellen die grundlegenden Analyseebenen des Gesamtmusters kommunikativer Gattungen dar. Die Gattungsforschung ist zwar relativ jung, jedoch bestehen bereits verschiedene Studien dazu. Im Folgenden wird ein allgemeiner Überblick über diesen Forschungsbereich geboten.

      3.1.2 Forschung kommunikativer Gattungen

      Gattungsforschung rückt seit der Entwicklung der Theorie kommunikativer Gattung von Luckmann (1986) zunehmend in das Interesse sowohl der soziologischen als auch der linguistischen Forschung. In zahlreichen Untersuchungen hat sich die soziologische Gattungsanalyse als fruchtbar erwiesen (Günthner/Knoblauch 1994).

      Eine der ersten, auf natürlichen Gesprächen basierenden Untersuchungen stellt die Studie Bergmanns (1987) über Klatschgespräche dar. Mit ethnomethodologischer Konversationsanalyse wirft er einen neuen Blick auf diesen Gegenstand. Klatschgespräche als rekonstruktive Gattungen der alltäglichen Kommunikation werden in seiner Forschung als „Sozialform der diskreten Indiskretion“ zusammengefasst. Mit „Sozialform“ ist die Einbettung dieser spezifischen Interaktionsform in die Gesellschaft gemeint. Bergmann (1987) verdeutlicht anhand transkribierter Daten ein Muster der sequenziellen Organisation, in dem sich diese kommunikative Gattung realisiert und reproduziert. Eine Besonderheit dieser kommunikativen Gattung besteht in ihrer Mischung von Diskretion und Indiskretion.

      Ulmer (1988) thematisiert Konversionserzählungen auf der Grundlage von 10 Gesprächen mit Konvertiten, in denen diese eine mündliche Darstellung ihrer eigenen Konversion geben. Ausgehend von der Hypothese, dass Konversionserzählungen eine rekonstruktive Gattung bilden, in der vergangene Ereignisse nach einem in der Gesellschaft formalisierten und verfestigten Muster nachgebildet werden, führt er eine empirische Untersuchung mit Hilfe der konversationsanalytischen Methode durch. In der auf rekonstruierten Beispielen basierenden Darstellung verdeutlicht er, dass die Konversionserzählung in drei zeitliche und thematische Teile gegliedert wird. Erstens bezieht es sich auf die Darstellung der vorkonversionellen Biographie. Im Anschluss daran wird das eigentliche Konversionsereignis produziert. Schließlich endet die Konversionserzählung mit der nachkonversionellen Lebensphase. Ferner weist Ulmer (1988) auch darauf hin, dass diese Dreigliederung der Konversionserzählung einem zentralen kommunikativen Problem in dieser Sozialsituation zugrunde liegt. Nach Ulmer (1988) besteht die Schwierigkeit für die Konvertiten darin, „die persönliche religiöse Erfahrung, die vom Erzähler als Ursache und Anlass der eigenerlebten Konversion geltend machen wird, auf plausible und glaubwürdige Weise darzustellen und intersubjektiv zu vermitteln“ (Ulmer 1988: 31). Die Struktur der Konversionserzählung, die gesellschaftlich sedimentiert und historisch gewachsen ist, gewährleistet die Lösung dieses Problems.

      Eine umfassende und systematische Studie über informelle kommunikative Gattungen in der Alltagsinteraktion stellt Günthners (2000c) linguistische Arbeit zum Thema Vorwurfsaktivitäten dar. Das Ziel der Untersuchung besteht darin, „diejenigen Verfahren zu rekonstruieren, die von Interagierenden eingesetzt werden, um den Sinngehalt ihrer Äußerungen erkennbar zu machen bzw. zu erkennen“ (Günthner 2000c: 2). Ausgehend davon wird in ihrer empirischen gesprächsanalytischen Untersuchung anhand 58 aufgezeichneter Gespräche in Familien- und Wohngemeinschaften sowie Telefongesprächen unter Bekannten und Freunden hauptsächlich zwei Ebenen nachgegangen. Einerseits analysiert sie die sprachlichen Formen und Funktionen der alltäglichen Vorwürfe. Andererseits widmet sie sich der Untersuchung kontextuell instituierter interaktiver Herstellung von Gattungen. Das heißt, die Analyse sprachlicher Merkmale der Gattung (z.B. syntaktische, lexikosemantische, prosodische, rhetorisch-stilistische Phänomene) wird nicht isoliert und in dekontextualisierter Form, sondern in Zusammenhang mit der Konstruktion der kommunikativen Muster durchgeführt.

      Konkret untersucht Günthners (2000c) Studie drei Realisierungsformen der Vorwürfe:

       Die kommunikative Gattung der in-situ-Vorwürfe. Das sind diejenigen Vorwürfe, die ein Sprecher im momentanen Gesprächsverlauf als Kritik am Verhalten des Gesprächspartners äußert. Bei der Interpretation spielen Intonation, Lautstärke, Stilisierungsverfahren usw. eine bedeutende Rolle.

       Die kleine Gattung der Frotzeleien. Damit sind spielerisch-spaßhafte Vorwurfsaktivitäten gemeint. Dabei wird zwar auch Kritik am Verhalten anwesender Personen geübt, aber die Kritik wird mit der Spiel- und Spaßmodalität geäußert.

       Die narrative Gattung der Beschwerdegeschichten. Hier handelt es sich um Rekonstruktionen vergangener Vorwurfsinteraktionen in Alltagserzählungen. Konfliktgespräche zwischen dem Erzähler und einer abwesenden Person werden wiedergegeben. Zur Markierung der Erzählereinstellungen und der fremden Reden werden unterschiedliche sprachliche Elemente und Stilisierungsverfahren eingesetzt.

      Günthner (2000c) verdeutlicht in ihrer empirischen Untersuchung, dass die obengenannten kommunikativen Gattungen der Vorwurfsaktivitäten auf bestimmte Verfestigungen verweisen, sowohl auf der Ebene der sprachlichen Merkmale, als auch im Hinblick auf die interaktive Konstruktion der sprachlichen Handlungen. Diese formalisierten Formen gelten als Gattungen, die den Handelnden für die Lösung kommunikativer Probleme in der Alltagsinteraktion zur Verfügung stehen.

      Während am Anfang der sprachsoziologisch orientierten Gattungsforschung vor allem sprachliche Handlungen in Alltagsinteraktion den Mittelpunkt bilden, werden später institutionelle kommunikative Vorgänge zunehmend ins Blickfeld genommen. Birkner (2001) widmet sich z.B. der Forschung der Bewerbungsgespräche zwischen Ost- und Westdeutschen. Mit den Methoden der Konversationsanalyse und der wissenssoziologischen Gattungsanalyse untersucht sie, ob sich in dem Bewerbungsgespräch rekurrente Unterschiede im sprachlichen Verhalten von Ost- und Westbewerbern feststellen lassen. Demzufolge führt sie zwei Forschungsstränge zusammen: die Analyse sprachlicher Merkmale bei der Realisierung des Bewerbungsgesprächs als eine institutionelle kommunikative Gattung einerseits und den Vergleich von Ost- und Westbewerbern andererseits. Ihr Korpus besteht aus 41 authentischen Bewerbungsgesprächen sowie Rollenspielen und Interviews mit Personalverantwortlichen.

      In Anlehnung an Luckmanns (1986: 203) Differenz der drei Strukturen für die Gattungsanalyse (Binnenstruktur, Zwischenstruktur und Außenstruktur) analysiert Birkner (2001) zuerst das Bewerbungsgespräch als Gattung. Merkmale wie spezifische Strukturen, Formalität, kommunikative Ziele usw. werden anhand des vorhandenen Datenmaterials illustriert. Anschließend werden drei Punkte in Bezug auf Ost/Westdifferenzen besonders ins Auge gefasst:

       die Aushandlung von Gattungswissen

       Antworten auf typische Fragen

       der Umgang mit Nichtübereinstimmung im Gespräch.

      Die Analysen zeigen, dass es im Bewerbungsgespräch zwischen einem Ostdeutschen und einem westdeutschen Interviewpartner häufig eine interaktive Bearbeitung von Gattungswissen gibt. Für die Ostdeutschen, die Neulinge auf dem westdeutsch dominierten Arbeitsmarkt sind, bedeutet das Bewerbungsgespräch in westdeutscher Prägung eine große Menge von neuen kommunikativen