Lingyan Qian

Sprachenlernen im Tandem


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Merkmale der gesprochenen Sprache (z.B. Dehnungen, Verzörgerungen, Pausen) genau wiedergibt. Die den Transkriptionen zugrunde liegende Transkriptionskonvention sieht im Einzelnen wie folgt aus:

?hoch steigend
,mittel steigend
gleichbleibend
;mittel fallend
.tief fallend
=schneller, unmittelbarer Anschluss neuer Sprecherbeiträge
[ ]Überlappungen und Simultansprechen
(.)Mikropause, geschätzt, bis ca. 0.2 Sek. Dauer
(-)kurze geschätzte Pause von ca. 0.2–0.5 Sek. Dauer
(--)mittlere geschätzte Pause v. ca. 0.5–0.8 Sek. Dauer
(---)längere geschätzte Pause von ca. 0.8–1.0 Sek. Dauer
(0.5)gemessene Pausen
:Dehnung, Längung, um ca. 0.2–0.5 Sek.
::Dehnung, Längung, um ca. 0.5–0.8 Sek.
:::Dehnung, Längung, um ca. 0.8–1.0 Sek.
°h/h°Ein- bzw. Ausatmen
und_ähVerschleifungen innerhalb von Einheiten
äh öh ämVerzögerungssignale, sog. "gefüllte Pausen"
hm jaRezipienzsignale
akZENTFokusakzent
haha hehe hihisilbisches Lachen
((lacht))Beschreibung des Lachens
<<lachend> >Lachpartikeln in der Rede, mit Reichweite
<<erstaunt> >interpretierende Kommentare mit Reichweite
( )unverständliche Passage ohne weitere Angaben
kleinerer Tonhöhensprung nach oben
kleinerer Tonhöhensprung nach unten

      Die chinesische Sprache, die in meinen Daten enthalten ist, wurde zuerst ins Chinesische in Form der Schriftzeichen transkribiert. Anschließend gab ich direkt in der Zeile darunter die wörtliche Übersetzung an, die manchmal von korrekten deutschen Formulierung abweicht. In der dritten Zeile geht es um die sinngemäße deutsche Übersetzung.

      3 Tandemgespräch: eine besondere kommunikative Gattung

      3.1 Das Konzept: kommunikative Gattung

      Der Begriff „kommunikative Gattung“ wurde von dem Soziologen Thomas Luckmann geprägt. Nach Luckmann (1986: 201) „gibt es wohl in allen Gesellschaften kommunikative Handlungen, in denen sich der Handelnde schon im Entwurf an einem Gesamtmuster orientiert, als dem Mittel, das seinen Zwecken dient.“ Im kommunikativen Handeln bilden sich also Formen aus. Sie werden in der Gesellschaft eingebettet und stehen wiederum den Handelnden zur Verfügung. Als Muster bieten sie einen Orientierungsrahmen, in dem sich die Handelnden solcher verfestigten Formen bedienen. Luckmann (1986: 201) weist weiter darauf hin, dass „solches Gesamtmuster weitgehend die Auswahl der verschiedenen Elemente aus dem kommunikativen ‚Code‘ bestimmt, und der Verlauf der Handlung hinsichtlich jener Elemente, die vom Gesamtmuster bestimmt sind, verhältnismäßig gut voraussagbar ist“. Die formalisierten Muster sind mit der Zeit Teile des gesellschaftlichen Wissensvorrats geworden. Sie stellen Lösungen eines wiederkehrenden Problems bereit (Günthner/Knoblauch1997: 282).

      Die Entwicklung der Theorie und Methodologie kommunikativer Gattungen ist auf die Soziologie zurückzuführen. In den 1970er Jahren wurde der Sinn- und Handlungsbegriff von Max Weber durch Schütz (Schütz/Luckmann 1975) weiterentwickelt, indem er den Fokus vom subjektiven Sinn auf dessen Abbildung in sozialen Handlungen verschob. Dies gab entscheidende Impulse für die Ethnomethodologie und Konversationsanalyse und weitergehend für die pragmatisch orientierte Sprachwissenschaft (Auer 1999: 115). In diesem Zusammenhang baut Luckmann, ein bedeutender Vertreter der Wissenssoziologie, sein Konzept „kommunikative Gattung“ auf Vološinov (1929/1975) und Bachtin (1959/1986) auf. Vološinov (1929/1975) und Bachtin (1959/1986) vertreten die Meinung, dass Sprache eng mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit verknüpft ist und ihren eigentlichen Sitz in sozialen Situationen hat. Sprache realisiert sich in Interaktionen, indem man sich in kommunikativen Situationen der in der Gesellschaft verfestigten Gattungen bedient.

      Sprache, Gesellschaft, Kultur

      Für Luckmann (1986) ist die Sprache konstitutiv bei der Vermittlung gesellschaftlichen Wissens und dem Aufbau der sozialen Wirklichkeit. Dies beschreibt er folgendermaßen:

      Intersubjektiv verbindliche Erfahrungsschemata, auf elementaren Typisierungen der Wirklichkeit aufbauend und in verschiedene Handlungsschemata einfügbar, bilden somit eine grundlegende Schicht gesellschaftlich approbierten handlungsorientierenden Wissens. (Luckmann 1986: 199)

      Das Gesamtinventar kommunikativer Gattungen bezeichnet Luckmann (1986: 206) als den „kommunikativen Haushalt“. Zugleich betont er, dass der Begriff des „kommunikativen Haushalts“ ein rein analytischer Begriff ist, dem kein „reales kulturelles Objekt“ entspricht. Gattungen sind historisch gewachsen und sedimentiert. Mit der diachronischen Veränderung des kommunikativen Haushalts einer gegebenen Gesellschaft verändern sich auch die Gattungen.

      Luckmann (1986: 202) vergleicht kommunikative Gattungen mit gesellschaftlichen Institutionen. Während gesellschaftliche Institutionen als Orientierungsrahmen für die Lösungen der Probleme im gesellschaftlichen Leben gelten, dienen kommunikative Gattungen dazu, spezifische kommunikative Probleme zu lösen. Im Hinblick auf den wichtigen Stellenwert kommunikativer Gattungen in der Gesellschaft unterstreichen Günthner/Knoblauch (1997) die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit dieser verfestigten kommunikativen Vorgänge für die Handelnden, damit sie die sozialen Aufgaben lösen können.

      Außerdem sind Gattungen kulturelle Produkte. Sie sind offen für kulturelle Differenzen. Günthner/Knoblauch (1995) weisen auf Unterschiede kommunikativer Gattungen in verschiedenen Kulturen hin:

      If we take communicative genres as socially constructed solutions which organize, routinize, and standardize the dealing with particular communicative problems, it seems quite obvious that different cultures may construct different solutions for specific communicative problems. Moreover, whereas in one culture there may be generic ways of handling particular communicative activities in another culture interactants may use spontaneous forms instead. Thus, the repertoire of communicative genres vary from culture to culture as well as from one epoch to another. (Günthner/Knoblauch 1995: 6)

      Die kulturellen Unterschiede kommunikativer Gattungen betreffen sowohl den Gebrauch (Argumentationsstrukturen, Kontextualisierungshinweise oder Rezipientenaktivitäten) als auch die kommunikative Funktion. Günthner (1993) thematisiert z.B. die kleine Gattung „Sprichwort“ in ihrer kontrastiven Studie über chinesische und deutsche Diskursstrategien.

      Kotthoff (1995) betrachtet kommunikative Gattungen aus ethnolinguistischer Perspektive. Ihr Untersuchungsgegenstand besteht aus drei verschiedenen Genres der Argumentation und des Angriffes im ländlichen Georgien, wo solche mündliche Gattungen als gesellige Veranstaltungen gelten. Konkret illustriert sie mit Hilfe der konversationsanalytischen Methode die Struktur der jeweiligen Gattung (gašaireba, galeskseba, kapioba) und interpretiert sie im Zusammenhang mit dem kommunikativen und sozialen Kontext, in den sie eingebettet ist. Ihr Befund ergibt, dass alle untersuchten Gattungen eine verfestigte Organisation (vor allem bezüglich ihrer linearen Strukturen und der Reime) aufzeigen. Mittels verschiedener rhetorischer Strategien (wie Kontraste, Wiederholungen, Übertreibungen, Zitate) werden die Gattungen hervorgebracht. Zugleich hat aber jede Gattung ihren eigenen Entfaltungsraum, wo sie sich frei gestalten kann. Die Unterschiede der untersuchten Gattungen lassen sich vorwiegend bei der Improvisation, der Dialogizität und der Musikalität bei der Organisation der Gattungsstruktur beobachten. Das mündlich vorgetragene galeskseba basiert z.B. auf einem schriftlichen Skript und zeichnet sich im Vergleich zu den anderen durch eine eher monologische Form aus. Bezogen auf die Musikalität ist kapioba dasjenige, welches immer mit einer Melodie kombiniert wird und von einer deutlich überdurchschnittlichen Kreativität gekennzeichnet ist. Im Hinblick auf die soziale Bedeutung solcher Gattungen, die Interaktion zwischen den Darstellern und den Zuschauern ermöglichen, dienen sie nach Kotthoff (1995) dazu, die gesellschaftlichen Bindungen und das soziale Gleichgewicht herzustellen. Jedoch erleben solche kulturell geprägten, kommunikativen Gattungen in der heutigen medienorientierten Gesellschaft einen Wandel. Die Bewahrung der untersuchten Gattungen bzw. ihrer sozialen