Lingyan Qian

Sprachenlernen im Tandem


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bewältigt. Bei den Anworten auf typische Fragen im Bewerbungsgespräch (z.B. Selbstattributierung, Gehalt) verweisen Ost/Westdifferenzen nicht nur auf das Gattungswissen, sondern auch auf die konversationellen Stile. Während Westdeutsche zu einer direkten Anwort tendieren, zeichnen sich Ostdeutsche dagegen durch ihre Indirektheit aus. Im Umgang mit Nichtübereinstimmung bestehen auch auffällige Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen. Die westdeutschen Bewerbenden wählen häufig einen dissensorientierten Gesprächsstil. Im Gegensatz dazu zeigen sich die ostdeutschen Bewerber eher als konsensorientiert.

      Im deutschsprachigen Raum beschränkt sich die linguistische Gattungsforschung nicht auf Gattungen in der deutschen Kultur. Das Forschungsinteresse richtet sich auch auf kommunikative Vorgänge in anderen Kulturen. Kotthoff (1999) analysiert beispielsweise Trinksprüche im Kontext der sozialen Veranstaltung des geselligen Beisammenseins in Georgien. Mit gesprächsanalytischer Methodik zeigt sie das Ritual dieser spezifischen kommunikativen Gattung auf. Die georgischen Trinksprüche sind von einer Abfolge von Handlungen, die in gleicher oder ähnlicher Weise mündlich aufgeführt werden, geprägt. Diese kommunikativen Handlungen sind kulturspezifisch sedimentiert. Zugleich weist die Autorin in ihrer Studie auch darauf hin, dass die Trinksprüche als eine spezifische kommunikative Gattung innerhalb einer Kultur neben den obligatorischen Elementen auch Variationen erlauben (Kotthoff 1999). Nach ihren empirischen Untersuchungsergebnissen können die Trinksprüche „Gebetsformeln, Narrationen, Scherze, Segnungen, Anrufungen an Gott usw. integrieren und dadurch eine je spezifische Nähe zu anderen Gattungen herstellen“ (Kotthoff 1999: 28). Bezogen auf die Funktion zieht sie aus ihrer Untersuchung die Schlussfolgerung, dass die Trinksprüche eine relevante Gattung der „moralischen Kommunikation“ (Kotthoff 1999: 35) sind. Anhand transkribierter Daten weist Kotthoff (1999) auf die implizite oder explizite Vermittlung moralischer Werte in den Trinksprüchen hin.

      In Anbetracht der bisherigen Gattungsforschung ist zu beobachten, dass das Konzept der „kommunikativen Gattung“ sich in der linguistischen Forschung auf uneinheitliche Dimensionen bezieht. Während es bei Bergmanns (1987) Klatschgesprächen, Ulmers (1988) Konversionserzählungen und Birkners (2001) Bewerbungsgesprächen um das ganze Gespräch geht, handelt sich es bei Günthners (2000c) in-situ-Vorwürfen, Frotzeleien und Beschwerdegeschichten um Vorwurfsaktivitäten, die ein Sprecher im momentanen Gesprächsverlauf verwendet. Ob unter dem Konzept der „kommunikativen Gattung“ das ganze Gespräch oder ein Teil des Gesprächsverlaufs zu verstehen ist, hängt von der begrifflichen Definition des sprachwissenschaftlichen Gattungskonzepts ab.

      In der vorliegenden Arbeit wird eine besondere kommunikative Gattung, „Tandemgespräche“, die zwischen alltäglichen Gesprächen und Unterrichtsinteraktionen stattfindet, untersucht. Dabei stütze ich mich auf ein umfangreiches Datenmaterial. Bevor ich die Tandemgespäche thematisiere, seien im Folgenden die Merkmale der Alltagsgespräche und der Unterrichtsinteraktionen dargestellt.

      3.2 Alltägliche Gespräche

      Alltagsgespräche bilden als Forschungsgegenstand eine grundlegende und umfassende Kategorie in der Konversationsanalyse. Die führenden Vertreter dieses Forschungsansatzes sehen „in Alltagsgesprächen einen besonders geeigneten Gegenstand, um soziales Handeln im Detail zu beobachten und zu beschreiben“ (Gülich/Mondada 2008: 1). Unter diesem Aspekt betritt die Linguistikforschung Neuland, wenn sie sich der Untersuchung der gesprochenen Sprache und der mündlichen Kommunikation widmet.

      Was die Definition der alltäglichen Gespräche betrifft, ist diese Ausrichtung in der Wissenschaft nicht unumstritten. Ehlich (1980) bezeichnet in seiner Studie zum Erzählen im Alltag den Begriff „Alltag“ als „die Lebenswelt der Mehrheit“ (Ehlich 1980: 16). Dazu schreibt er wie folgt:

      Erzählen im Alltag zielt auf die Analyse eine Tätigkeit ab, die sich gerade in jener Sphäre des Üblichen, des Gewöhnlichen, des Tagtäglichen abspielt. Alltag ist ein Bereich, der die nicht-literarische, triviale Öffentlichkeit der Massen ausmacht, all jene Monotonie, scheinbare Bedeutungslosigkeit, Unscheinbarkeit, über die sich die Wissenschaften der Kultur lange, der Literaturwissenschaft als Leitwissenschaft folgend, einig waren. (Ehlich 1980: 16)

      Für Ehlich (1980) wird „Alltag“ in das allgemeine soziale Leben integriert. Er ist in der Gesellschaft üblich, gewöhnlich und daher scheinbar bedeutungslos bzw. unauffällig, und er unterscheidet sich beispielsweise von der Literatur, die sich durch ihre Besonderheit aus dem tagtäglichen sozialen Handeln heraushebt. Die Literatur dient nach Ehlich (1980: 15) als eine der sogenannten „Illusionsindustrien“, andere Dimensionen dem Alltag gegenüberzustellen.

      Im Hinblick auf die Beziehung zwischen dem Alltag und der Arbeit formuliert Ehlich (1980: 15), dass Alltag Werktag und Werktag Arbeit sei. Demzufolge wird also die Arbeitstätigkeit in den allgemeinen täglichen Lebensprozess miteinbezogen.

      Eine genauere Definition des Alltagsgesprächs formuliert Lindemann (1990) folgendermaßen:

      Traditionell wird dem Alltagsgespräch im Wesentlichen der gesamte Bereich der nicht-offiziellen Kommunikation, vor allem die private Lebenssphäre zugeordnet. Alltagsgespräche werden als spontane, zufällige, lockere und in einem umgangssprachlichen Ton geführte Gespräche verstanden (…), die zwischen Partnern stattfinden, deren Beziehungen zueinander keinen offiziellen Charakter haben, wodurch die sozialen Rollenunterschiede weitgehend in den Hintergrund rücken. Unter Alltagsgesprächen werden beispielsweise Gespräche mit Freunden und Bekannten, Gespräche in der Familie, Partygespräche oder small talks, wie etwa der Schwatz mit dem Nachbarn, oder zufällige Gespräche im Zugabteil verstanden. Aber auch Wegeauskünfte und in den institutionellen und öffentlichen Bereich hineinreichende Einkaufs-/Verkaufsgespräche bzw. Dienstleistungsgespräche im Allgemeinen, werden zu dieser Kategorie gezählt. (Lindemann 1990: 201)

      Neben der konkreten Charakterisierung des Alltagsgesprächs (z.B. Spontaneität, Zufälligkeit, Umgangssprachlichkeit usw.) sind in Lindemanns (1990) Definition zwei Lesarten bezüglich der Arbeitstätigkeit zu beobachten. Man kann einerseits die Arbeitstätigkeit aus dem Alltagsgespräch, dem „die nicht-offizielle Kommunikation, vor allem die private Lebenssphäre zugeordnet wird“ (Lindemann 1990: 201), ausschließen. Andererseits können aber Einkauf-/Verkaufsgespräche bzw. Dienstleistungsgespräche, die im institutionellen und öffentlichen Bereich stattfinden, zu dem Begriff des Alltagsgesprächs gezählt werden. Es besteht zwar eine Gegenüberstellung zwischen dem alltäglichen Gespräch und der institutionellen Kommunikation, aber eine scharfe Grenze gibt es dabei nicht.

      Schütte (2000) charakterisiert die alltäglichen Gespräche aus einer anderen Perspektive. Nach seiner Meinung sind Alltagsgespräche diejenigen Gespräche, „denen zusätzliche Kriterien zur Gesprächssortenbestimmung fehlen“ (Schütte 2000: 1488). Mit „Gesprächssorten“ meint Schütte (2000: 1488) vor allem folgende Interaktionstypen:

       Institutionelle Kommunikation. Sie zeichnet sich durch ihre Gesprächsregeln für den Sprecherwechsel, die Rederechtsverteilung, die Rolle des Gesprächspartners, die kontextuelle Situation, die Sprechakte und die Sprechaktsequenzen aus.

       Gespräche mit einem Zweck oder einer kommunikativen Funktion. Diese Gesprächssorte dient entweder zu einem bestimmenden Zweck, der im Verlauf der sprachlichen Handlung interaktiv ausgehandelt und ratifiziert wird, oder zur Erfüllung einer kommunikativen Funktion. Dazu zählen z.B. Verkaufsgespräche, Beratungsgespräche.

       Medienkommunikation. Dabei handelt es sich hauptsächlich um „inszenierte Gespräche“ (Schütte 2000: 1488). Die Interaktion dabei dient in erster Linie nicht der alltagsweltlichen Kommunikation, sondern der Vorführung. Die Äußerungen sind „mehrfachadressiert“ (Schütte 2000: 1489), nämlich die die Interagierenden in den Mediengesprächen selbst und das Publikum.

      Anders als diese drei Gesprächssorten zeichnen sich Alltagsgespräche nach Schütte (2000) dadurch aus, dass sie nicht vorgeplant und primär zielorientiert sind. Außerdem lassen sich ihnen keine vorherige Rederechtsverteilung oder inhaltliche Eingrenzungen zuschreiben. Im Gegensatz zu den obengenannten Interaktionstypen bieten sie „einen Raum für freies ad-hoc-Formulieren“ (Schütte 2000: 1486).

      In den oben genannten Definitionen in