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Große Werke der Literatur XIV


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in Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen von den „unsterblichen Mustern“ der schönen Kunst (9. Brief) und Goethe lässt in Wilhelm Meisters Lehrjahre Wilhelm das ganze Arsenal der Dichterverherrlichung überschwänglich vorführen, einschließlich des Satzes, dass der „Überwinder der Welt“ (gemeint ist Augustus) dem Dichter (gemeint ist Vergil) huldigt, da ohne diesen „sein ungeheures Dasein nur wie ein Sturmwind vorüberfahren würde“.30

      In Hölderlins Gedicht heißt es „die Dichter“, nicht die Künstler. Wie auch Kant, Hegel, Schelling oder August Wilhelm Schlegel war Hölderlin davon überzeugt, dass Dichtung als sprachliche Kunst auch die geistigste und geistvollste Kunst unter den Künsten ist.31 Natürlich ist nicht jeder Dichter gemeint; Hölderlin denkt an die Großen: Pindar, Homer, Sophokles, Shakespeare, Klopstock, Schiller, Goethe, auch an sich selbst. Dass Dichtung Bleibendes, Unvergängliches hervorbringen kann, dafür stand für Hölderlin und seine Zeitgenossen die – durchaus nicht selbstverständliche – Geltung der antiken Dichtung ein. Wir mögen heute solche Ansprüche nicht mehr teilen und sie vermessen finden, aber immerhin, die Dramen des Sophokles faszinieren über Jahrtausende hinweg noch immer.

      Nun variiert Hölderlin diesen Topos von der Dauer der Dichtung in „was bleibt“. In der Handschrift stand zuerst „Ein Bleibendes aber“. Im Unterschied zum Dauern akzentuiert das Bleiben stärker ein Überdauern, ein Bestehen und Sich-Behaupten gegenüber dem Unbeständigen.32 Dieser semantische Akzent findet sich auch sonst bei Hölderlin in der Verwendung von ‚bleiben‘. Im Gedicht Mein Eigentum wünscht sich das lyrische Subjekt z.B. „eine bleibende Stätte“ (V. 38), in Der Frieden wird der Frieden aufgefordert: „komm und gib ein/Bleiben im Leben, ein Herz uns wieder.“ (V. 43f.) Beklagt wird in der dritten Strophe von Rückkehr in die Heimat, dass „Kindes Ruh“, „Jugend und Lieb und Lust“ vergangen sind. „Doch du, mein Vaterland! du heilig – / Duldendes! Siehe, du bist geblieben.“

      Das, was „aber“ bleibt, ist Ergebnis eines Stiftens. Stiften, d.h.: hervorbringen, ins Werk setzen, errichten, gründen, ursprünglich eine kirchliche Institution, z.B. eine dann so genannte Stiftskirche. Man kann Frieden, Ordnung, aber auch Unheil stiften. Religionen werden gestiftet.33 Im Hymnenfragment Luther („meinest du/Es solle gehen[…]“) wird der Untergang der griechischen Kultur dadurch erklärt, dass die Griechen ein Reich der Kunst „stiften“ (V. 3) wollten und darüber das „Vaterländische“ (V. 5) versäumten. Im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm wird im Lemma Gedächtnis sowohl die Wendung ‚ein Gedächtnis geben‘ als auch ‚das Gedächtnis stiften‘ vermerkt, ebenso ‚ein Gedächtnis stiften‘ durch eine Stiftung. Eine Institution wie das Tübinger Stift oder die Fugger-Stiftung in Augsburg wird auch gestiftet zum Andenken oder Gedächtnis des Stifters. Mit diesem Gedicht, heißt das auch, hat Hölderlin auch ein Andenken an sich selbst gestiftet. Im Kontext des Gedichts evoziert, vorbereitet durch den „entlaubten Mast“, der Ausdruck ‚stiften‘ auch den Stift zum Schreiben und Zeichnen.

      Was macht das dichterische Werk aus, wenn von ihm gesagt werden kann, dass es bleibt? Wenn es, entnehmen wir die Antwort diesem Gedicht, individuelle Erinnerungen in ein Andenken überführt, wenn dieses Andenken das, worauf es gerichtet ist, auf menschliche Grundsituationen wie Liebe, heroische Taten, Aufbruch, wie die Vermittlung des subjektiven Handelns mit der Natur und der Geschichte, die Vermittlung von Fernem und Nahem, Einsamkeit und Gespräch, wie die Feier, wie die Gefahr des Selbstverlusts und die Selbstbehauptung hin öffnet. Wenn das Gedicht das Andenken selbst als die Kraft des Bewahrens und geistigen Durchdringens vorführt, wenn es eine künstlerische Form findet, die dem Gang des Andenkens eine ästhetische Evidenz verleiht. In einem Brief spricht Hölderlin vom „Kunstverstand“, der den „Genius vor der Vergänglichkeit bewahrt“ (389). Als solches, mit Kunstverstand formuliertes Andenken kommt Dichtung immer nach den Taten und Tagen, welche geschehen. Dichtung ist für Hölderlin wesentlich in solches Andenken überführte Erinnerung.

      Damit das dichterische Werk bleiben kann, ist noch die Erfüllung einer weiteren Bedingung nötig. Gestiftet wird einem Adressaten für einen bestimmten Zweck. Die Fuggerstiftung soll z.B. Kranke und Bedürftige unter den Katholiken Augsburgs unterstützen. Auf das Gedicht bezogen heißt dies, gestiftet wird das Gedicht dem Leser oder Hörer zu seinem Nachdenken und zu seiner Freude. Mit der Stiftung soll etwas ins Werk gesetzt werden, sollen die Leser und Hörer angestiftet werden, im Sinne des Stifters etwas zu tun. Dies ist dann die Sache von uns Lesern und Hörern. Wir tragen dazu bei, ob das, was Dichter stiften, bleibt.

       Literaturverzeichnis

      Primärliteratur

      Brecht, Bertolt: Arbeitsjournal. 1942–1955. Bd. 2. Hg. Werner Hecht. Frankfurt a.M. 1974.

      Goethe, Johann Wolfgang von: Werke. Hamburger Ausgabe. Hg. Erich Trunz. München 1981.

      Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke. Große Stuttgarter Ausgabe. Hg. Friedrich Beissner. Stuttgart 1943–1985.

      –: Sämtliche Werke und Briefe. Hg. Jochen Schmidt. Frankfurt a.M. 1992–1994.

      –: Tutte le lirice. Edizione tradotta e commentata e revisione del testo critico tedesco a cura di Luigi Reitani. Milano 2001.

      –: Gedichte. Hg. Gerhard Kurz. Stuttgart 2015.

      Meyer, Friedrich Johann Lorenz: Briefe aus der Hauptstadt und dem Innern Frankreichs. Tübingen 1803.

      Forschungsliteratur

      Beck, Adolf: „Hölderlin im Juni 1802 in Frankfurt? Zur Frage seiner Rückkehr von Bordeaux“. Hölderlin- Jahrbuch 19/20 (1975–1977): 458–475.

      Behre, Maria: „Des dunkeln Lichtes voll“. Hölderlins Mythokonzept Dionysos. München 1987.

      Bennholdt-Thomsen, Anke: „Andenken. L’importance de la topographie pour la poétique et la philosophie de l’histoire dans l’oeuvre tardive de Hölderlin“. Bordeaux au temps de Hölderlin. Hgg. Gilbert Merlio und Nicole Pelletier. Bordeaux 1997. 254–286.

      Bertaux, Pierre: „Hölderlin in und nach Bordeaux. Eine biographische Untersuchung“. Hölderlin- Jahrbuch 19/20 (1975–1977): 94–111.

      –: Friedrich Hölderlin. Frankfurt a.M. 1978.

      Bertheau, Jochen: Hölderlins französische Bildung. Frankfurt a.M./Berlin 2003.

      Binder, Wolfgang: Hölderlin „Andenken“. Hölderlin-Vorträge 1985/86. Hg. Uvo Hölscher. Tübingen 1986. 5–30.

      Böschenstein, Bernhard: „Frucht des Gewitters“. Zu Hölderlins Dionysos als Gott der Revolution. München 1989.

      Butzer, Günter und Joachim Jacob (Hgg.): Metzler Lexikon literarischer Symbole. Stuttgart 2012.

      Delinière, Jean: Karl Friedrich Reinhard (1761–1837). Ein deutscher Aufklärer im Dienste Frankreichs. Stuttgart 1989.

      Espagne, Michel: Bordeaux – Baltique. La présence culturelle allemande à Bordeaux aux XVIIIe et XIXe siècle. Paris 1991.

      Gaier, Ulrich: „Hölderlins vaterländischer Gesang ,Andenken‘“. Hölderlin- Jahrbuch 26 (1988–1989): 175–201.

      Graevenitz, Gerhart von: Mythos. Zur Geschichte einer Denkgewohnheit. Stuttgart 1987.

      Hamlin, Cyrus: „Die Poetik des Gedächtnisses. Aus einem Gespräch über Hölderlins ,Andenken‘“. Hölderlin- Jahrbuch 24 (1984–1985): 119–138.

      Harten, Hans-Christian und Elke: Die Versöhnung mit der Natur. Gärten, Freiheitsbäume, republikanische Wälder, heilige Berge und