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Große Werke der Literatur XIV


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lyrische Subjekt, dass auch die antidionysische Einsamkeit eine Lebensform ist, die produktiv gelebt werden kann. Der theologisch versierte Hölderlin mag auch das Bild des entlaubten Mastes gewählt haben, da der Mast zusammen mit der Rahe in christlicher Tradition das Kreuz bedeuten kann.24 Die asketische, einsame Situation auf dem Schiff könnte daher als ein zartes Symbol für die nachantike, christliche Welt verstanden werden.

      Erläuterungsbedürftig sind noch die Zeilen

      […] Mancher

      Trägt Scheue, an die Quelle zu gehen;

      Es beginnet nämlich der Reichtum

      Im Meere. […]

      Die Bedeutung der Passage ist vertrackt, da das „Beginnen“ nicht auf die Quelle, sondern auf das Meer bezogen wird. Wir könnten uns, vom ‚beginnen‘ ausgehend, das Meer, in dem der Reichtum beginnt, als die Quelle dieses Reichtums denken. Hölderlin konnte in Bordeaux erleben, wie der Handel über das Meer Reichtum hervorbringt. Die Konjunktion „nämlich“ hätte dann eine erläuternde Funktion. Warum „trägt“ mancher „Scheue“, an die Quelle zu gehen, wie es geradezu gravitätisch heißt? Scheue kann Angst, Furcht, Schüchternheit, Befangenheit, Unwillen, auch Ehrfurcht bedeuten. Ist die Zeile, das Meer mit der Quelle identifizierend, so zu verstehen, dass mancher schüchtern ist gegenüber dem Reichtum des Meeres oder sich vor den Gefahren des Meeres fürchtet? Eine ziemlich bemühte Interpretation. Andererseits drängt sich ein Verständnis auf, wonach die – noch ‚arme‘ – Quelle dem Reichtum, der im Meer beginnt, entgegengesetzt ist. Danach wäre „nämlich“ der Reichtum, der im Meer beginnt, der Grund dafür, den Gang zur Quelle zu scheuen. Die Konjunktion hätte dann eine begründende Funktion. Zu simpel wäre allerdings die Interpretation, dass materielle Gier die Scheu verursacht. Sie entspräche nicht der Bedeutung von „Scheue tragen“, ebensowenig dem Singular „die Quelle“ und der Gegenüberstellung von Quelle und Reichtum des Meeres. Was wäre diese Quelle? Sie könnte auch selbst der Grund dafür sein, dass mancher „Scheue“ trägt, zu ihr zu gehen. Geben die folgenden Zeilen einen Aufschluss?

      Nun aber sind zu Indiern

      Die Männer gegangen,

      Mit dem Adverb „nun“ und dem Verbum ‚gehen‘ nehmen diese Zeilen die Aufforderung an den Wind zu Anfang auf, wie überhaupt dieses Verbum im Gedicht auffallend häufig gebraucht wird. Im Unterschied zur möglichen Alternative ‚gefahren‘, ‚gesegelt‘ oder ‚aufgebrochen‘ enthält ‚gegangen‘ ein Moment des Endgültigen.25 Das „Geh aber nun“ zu Anfang markiert den ersten Aufbruch, das entschiedene „Nun aber“ einen zweiten. Die Männer, das sind die Schiffer, die Kaufleute. Der Ausdruck „Männer“ stattet sie mit Heroismus aus. Mit „Indiern“ wird das Ziel dieses Aufbruchs angegeben.

      Es ist fast unmöglich, bei diesen Zeilen nicht auch an Kolumbus zu denken, der den Seeweg nach Indien entdecken wollte, Amerika entdeckte und glaubte, er habe Indien entdeckt. Daher der Name ‚Westindische Inseln‘ für die Inselgruppe vor Mittelamerika, die Ausdrücke ‚Indios‘ und ‚Indianer‘. Könnte dann der Satz „Mancher/Trägt Scheue an die Quelle zu gehen“ etwa ironisch gemeint sein? Wie schon erwähnt unterhielt Bordeaux mit diesen Westindischen Inseln intensive Handelsbeziehungen. Mit den „Indiern“ wären dann die Bewohner der Neuen Welt gemeint, die ‚Indier‘ genannt wurden, weil Kolumbus sie für ‚Indier‘ hielt.26

      In Indien, in Asien, also im Osten, sah nun Hölderlin, wie z.B. auch Herder und Hegel, den Ursprung der Weltgeschichte. Ihr Gang führt über Griechenland in das Abendland nach Deutschland, wie aus den Gedichten Germanien, Am Quell der Donau, Der Ister und Der Adler hervorgeht. Den Gang weiter in den Westen, in die Neue Welt, bedenkt das Hymnenfragment Kolomb. Nahe liegt daher die erwägende Frage – die Quelle dem im Meer beginnenden Reichtum entgegensetzend –, ob mit der Quelle metaphorisch dieser Ursprung der Geschichte im Osten gemeint ist, zu dem zu gehen „mancher Scheue trägt“. Denkt man bei den „Männern“ an Kolumbus und seine Männer, dann hatten diese Männer offenbar – „nun aber“ – keine Scheu zu „Indiern“ zu gehen. Ihr Weg führte aber nicht in den Osten, sondern in den Westen, in die ‚Neue Welt‘. Der artikellose und nicht weiter spezifizierte Ausdruck ‚Indier‘ bedeutet wohl die westlichen Indier, schließt aber die östlichen nicht aus. Ein leichter Verweis auf Indien, auf den Osten liegt wohl auch in den „Traubenbergen“, zusammen mit der „luftigen Spitz’“ der Ort, wo die Männer aufgebrochen sind. Von Dionysos, dem Gott des Weins, werden Fahrten bis zum Indus berichtet. So verstanden führte der Ausdruck ‚Indier‘ das Ende des Geschichtsgangs mit seinem Ursprung zusammen.27 Und so verstanden gehörte zum „Reichtum“, der im Meer „beginnet“, zum „Schönen der Erd’“, das zusammengebracht wird, auch der Gang und der Zusammenhang der Geschichte der Welt.

      Der Ausdruck „die Männer“ kann zusätzlich von den Männern des Generals de Lafayette inspiriert sein, der 1777 von Bordeaux aus aufgebrochen war, den amerikanischen Unabhängigkeitskampf zu unterstützen. Um 1800 konnte man bei einem Aufbruch der „Männer“ zu „Indiern“ auch an Napoleon und seinen Feldzug nach Ägypten (1798/1799) denken. In den europäischen Zeitungen wurde anfänglich gemutmaßt, das Ziel der Flotte Napoleons sei Indien. Napoleon selbst wurde als Gott Dionysos, dessen Fahrten nach Westen und nach Indien führten, und als ein größerer Alexander mythisiert.28

      Dort an der luftigen Spitz

      An Traubenbergen, wo herab

      Die Dordogne kommt,

      Und zusammen mit der prächt’gen

      Garonnee meerbreit

      Ausgehet der Strom.[…]

      Die luftige Spitze, von wo aus die Männer gegangen sind, bezieht sich auf den Bec d’Ambès am Zusammenfluss von Garonne und Dordogne zur „meerbreit“ ausgehenden Gironde. Das Luftige dieser Spitze konnotiert Freiheit und Verwegenheit. Dort befinden sich am östlichen Ufer auch heute Traubenberge. Der Ausdruck „Traubenberge“ kann zugleich Berge voll Trauben und Berge aus Trauben bedeuten. Eine dreifache Bedeutung erhält im Kontext der Ausdruck „ausgehet“: der Strom geht hinaus, die beiden Flüsse gehen zusammen aus wie ein Liebespaar und schließlich wird der Strom im Meer enden.

      […] es nehmet aber

      Und gibt Gedächtnis die See,

      Und die Lieb auch heftet fleißig die Augen,

      Was bleibet aber, stiften die Dichter.

      Die letzten vier Zeilen mit dem berühmten Schluss, oft parodiert wegen seines Anspruchs, bedenken Formen des Vergehens und Dauerns und die Dimensionen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Dass Erinnerung vergehen kann, besagt vorher schon das „Noch denket das mir wohl“. Die See, metonymisch die Sphäre des heroischen Handelns, nimmt und gibt Gedächtnis. In ihrer jahrelangen Abwesenheit verliert sich das Gedächtnis der Seefahrer und ihrer Taten. In ihren Erzählungen und Berichten können jedoch wieder Taten und Personen erinnert, ‚gegeben‘ werden. So oder so ähnlich kann man sich die metonymische Wendung erklären. Was in der Sphäre der See dauert, ist der Wechsel, aber auch ein Ausgleich im Nehmen und Geben. Dieses Nehmen und Geben evoziert unwillkürlich die Bewegung der Gezeiten und Wellen. Dauer, Beständigkeit will auch die Liebe. Der liebende Blick will heften, er will ein Verbinden und Befestigen der Liebe. Doch bedeutet „fleißig“ auch, dass die Liebe sich um diese Dauer bemühen muss, dass sie sich ihrer Dauer nicht sicher sein kann.

      In der Dauer übertroffen werden „aber“, adversativ, die Sphären der Taten und der Liebe von dem, was die Dichter stiften. Waren vorher die See und die Liebe die Subjekte des Handelns, also ‚überpersönliche‘ Mächte, so sind es nun Personen, die Dichter, welche handeln. Nach den Sphären der Taten und der Liebe ist mit ihnen die Sphäre des Andenkens, des Geistes verbunden. Hölderlin variiert hier den alten, schon antiken Topos, wonach erst die Dichter mit ihrem Werk den Taten der Menschen Dauer verleihen. Nahe liegt der Verweis auf Ovids Verse in seiner Klage über den Tod des Tibull,29 wonach das Werk der Dichter dauert und noch heute vom Ringen um Troja kündet: „Durat opus vatum Troiani fama laboris.“ Es gibt freilich in der Neuzeit von Petrarca (Africa)