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Große Werke der Literatur XIV


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auch Tendenzen zum Lehrhaften erkennbar und Literarisierungsstrategien unübersehbar sind.

      2. Mechthild von Magdeburg1

      Es ist wie häufig im Mittelalter: Mechthild ist nur aus ihren Texten greifbar. Ihre Lebensumstände müssen aus den wenigen autobiographischen Hinweisen in ihrem Werk, das aus insgesamt sieben einzelnen Büchern mit unterschiedlich langen Kapiteln besteht, erschlossen werden. Weitere Informationen finden sich im kurzen lateinischen Vorwort (von einem anderen Autor), im längeren lateinischen Prolog vor der lateinischen Übersetzung der Bücher I–VI und in einigen weiteren Zusätzen zum Text dieser Übersetzung. Mechthild scheint um 1207 in eine ritterlichen Burgmannenfamilie der westlichen Mittelmark geboren worden und höfisch erzogen worden zu sein. Ihre Beschreibungen deuten darauf hin, dass sie im zwölften Lebensjahr, wie sie es ausdrückt, den „Gruß des Heiligen Geistes“ empfing und dass dieser ihr über Jahre zuteilwurde. Mechthild beschreibt dieses visionäre Erlebnis, das ihr in jungen Jahren geschah, sehr eindringlich:

       Alle mine lebtage e ich dis bůches began und eb sin von gotte ein einig wort in min sele kam, do was ich der einvaltigosten menschen eines, (53r) das ie in geistlichem lebende erschein. Von des túfels bosheit wiste ich nit, der welte krancheit kante ich nit, geistlicher lúte valscheit was mir oͮch unkúndig. Ich můs sprechen got ze eren und oͮch durch des bůches lere: Ich unwirdigú súnderin wart gegruͤsset von dem heligen geiste in minem zwoͤlften jare also vliessende sere, do ich was alleine […]. Do lies mich got niergen eine und brachte mich in so minnenkliche suͤssekeit, in so helige bekantheit und in so unbegriflich wunder, das ich irdenscher dingen wenig gebruchen konde. Do wart erst min geist us minem gebette bracht zwúschent den himmel und den lufte. Do sach ich mit miner selen oͮgen in himmelscher wunne die schoͤnen menscheit (53v) únsers herren Jhesu Christi, und ich bekante an sinem heren antlútte die heligen drivaltekeit, des vatter ewekeit, des sunes arbeit, des heligen geistes suͤssekeit. 2

      Mechthilds Werk ist aber keine Autobiographie, schon gar nicht chronologisch geordnet. Es wirkt sprunghaft und verdankt seine Ordnung in Bücher und Kapitel – mindestens zum großen Teil – überhaupt erst einer späteren Redaktion. Einen Lebensweg zu beschreiben ist nie Ziel des Werkes gewesen und dementsprechend schwierig ist es, ihn zu rekonstruieren: Mechthild scheint um 1230 aus dem Elternhaus zunächst nach Magdeburg – oder, wie man heute auch wahrscheinlich zu machen sucht, nach Erfurt – in ein Beginenhaus geflohen zu sein, wo sie sich anderen Beginen anschloss, d.h. Frauen, die in gemeinsamen Häusern ein klosterähnliches Leben führten, ohne jedoch der Regel eines bestimmten geistlichen Ordens zu folgen. In diesem Beginenhaus lebte sie in Askese, in selbst gewählter Armut und vermutlich auch, wie es üblich war, unter körperlichen Kasteiungen, die sie sich selbst zufügte. Mechthild dürfte, wenn man ihren Aufzeichnungen glaubt – und es besteht kein Grund, daran zu zweifeln –, häufig krank gewesen sein. Die visionären Erlebnisse, die ihr erstmals in ihrem zwölften Lebensjahr begegnet waren, hörten nicht auf, und nach zeitweiliger Unterbrechung dieser Unio-Erfahrungen begann sie sie um 1250 aufzuzeichnen; dies tat sie auf Geheiß ihres dominikanischen Beichtvaters Heinrich von Halle, der sie aufforderte, das Buch Fließendes Licht der Gottheit als Offenbarungszeugnis eigenhändig zu schreiben. Wann genau Heinrich von Halle als Seelenführer ins Leben Mechthilds eintrat, lässt sich nicht bestimmen. Die Spiritualität der Beginen, der Mechthild in diesem Beginenhaus begegnete, war zuvor im brabantisch-lüttichen Raum und im Rheinland geprägt worden, wo in zahlreichen Städten Beginengemeinschaften entstanden waren. Die Spiritualität der Beginen war – soweit man das heute noch sagen kann, weil ihre Bibliotheken und ihre schriftlichen Aufzeichnungen kaum noch existieren – von einer intensiven, personalen Gottesliebe gekennzeichnet. Die großartigen mystischen Texte der niederländischen Begine Hadewijch im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts und der französischen Begine Margarete Porete, die 1310 als Ketzerin in Paris verbrannt wurde, sind aber ebenso wie Mechthilds Fließendes Licht der Gottheit herausragende Einzelzeugnisse, die nicht als repräsentativ für die gesamte Literatur- und Geistes- sowie Glaubenswelt der Beginen verstanden werden dürfen.3 Sehr anschaulich beschreibt das Leben der Beginen im Erfurt der Jahre 1282–1284, also nur kurz nach der Zeit Mechthilds, der Erfurter Nicolaus von Bibra in seinem lateinischen Gedicht „Occultus Erfordensis“. Dabei kommen eingangs die Vorurteile der städtischen Bevölkerung ebenso zur Sprache wie die fromme und rechtschaffen-fleißige Lebensart der Beginen, dazu ihre emotional-gefühlsbetonte Frömmigkeit und die Entzückung im mystischen jubilus. Hier die deutsche Übersetzung:

      Beginen gibt es dort in unendlicher Zahl; einige leben schlecht, andere von sich aus gut. Von diesen interessieren sich einige überhaupt nicht für schändliche und schmutzige Dinge, sondern sie ziehen es vor, zur Kirche zu gehen, Messen zu hören und reinen Herzens nach dem Ende der Messe zurückzukehren. So leben sie mit ruhigem Sinn wie Klosterfrauen; allerdings sind sie – wie ich sie einschätze – noch mehr zu rühmen als diejenigen, die hinter einem Schloß eingeschlossen werden, obwohl sie ohne sichtbares Zeichen und ohne viel Aufhebens Christus ihre Gelübde ablegen; mit Glaube, Liebe und Hoffnung im Herzen machen sie größere geistliche Fortschritte, als wenn sie dauernd irgendwo herumständen, laut sängen und dabei nur wenig Gutes im Sinn hätten. Jeden Tag geben sie nämlich reinen Herzens und zur Ehre Marias den Armen ein willkommenes Almosen. Sie fasten, wachen, spinnen Wolle zu Fäden und beweinen ihre Sünden. So arbeiten sie bei Tag und Nacht, vermeiden den Müßiggang und wirken Gutes. Gestern, heute und morgen hören sie nicht auf, den Beichtbrüdern ihre Sünden zu bekennen, und mit schlichten Worten und einem reichen Tränenstrom erzählen sie die Träume der Nacht und die Taten des Tages. Zwar nur selten, aber dennoch kommt es vor, daß einige von ihnen außer sich geführt oder entrissen werden, so daß sie Christus sehen; das Volk nennt dies ‚Jubel‘.4

      Während ihrer Béguinage, die man sich etwa ähnlich vorzustellen hat, wie sie Nicolaus beschreibt, scheint Mechthild das Gesamtwerk, das eine lange Entstehungsgeschichte hat, in einer ersten Version bis zum Jahr 1260 bis zum Ende des Buches V geschrieben zu haben. Zwischen 1260 und 1270/71 dürfte dann das VI. Buch des Gesamtwerks entstanden sein, das wir nur in einer redigierten Form besitzen. Um 1270 wurde Mechthild dann als bereits alte, vermutlich auch (mindestens zum Teil) erblindete Frau in das Zisterzienserinnenkloster Helfta (Helpede) bei Eisleben aufgenommen, wo dann das VII. und letzte Buch ihres Werks entstand.

      Damit ist zugleich e i n Höhepunkt, oder vielleicht d e r Höhepunkt, der sogenannten deutschen Frauenmystik markiert, der ins späte 13. Jahrhundert zu datieren ist und auf einen Ort, eben Helfta, konzentriert ist. Denn im sächsischen Zisterzienserinnenkloster Helfta begegnete Mechthild von Magdeburg in der Zeit um 1270 bis zu ihrem Tod um 1282 den beiden Visionärinnen Gertrud von Helfta (1256–1301/02) und Mechthild von Hackeborn (1241–1298), der Äbtissin des Klosters. Ihr neues unmittelbares Umfeld war literarisch außergewöhnlich fruchtbar. Dabei besonders hervorzuheben ist der Liber specialis gratiae Mechthilds von Hackeborn und der Legatus divinae pietatis Gertruds, der als botte der götlichen miltekeit auch ins Deutsche übersetzt wurde. Getrud von Helfta, die seit 1674 bei den Benediktinern und seit 1738 allgemein in der katholischen Kirche den Status einer Heiligen erhielt, hat gar als eine der wenigen Frauen in der Geschichte den Beinamen ‚die Große‘ erhalten. Gertruds Erfahrungen sind intensiv brautmystischer Natur: Jesusminne und klösterliche Liturgie dominieren bei ihr ähnlich wie bei Mechthild von Hackeborn in deren Liber specialis gratiae. Bei den beiden zisterziensischen Mystikerinnen in Helfta kann man von einer starken Herz-Jesu-Verehrung sprechen. Als Sitz des Gefühls steht das Herz für die allumfassende Liebe und Gnade Gottes.

      Das Fließende Licht der Gottheit Mechthilds von Magdeburg freilich ist – stärker als die Werke ihrer Mitschwestern – von hoher poetischer Kraft. Es wechselt zwischen Visionen, Meditationen, Gebeten, Allegorien und Lehrreden. Die bildhafte Sprache Mechthilds ist primär von Gefühlen und inneren Erlebnissen geprägt. Sie ist aber ohne Einbindung in die literarische Tradition nicht denkbar.

      Diese gemeinsame literarische Tradition wurde in Helfta gebildet durch die allgemeine monastische und biblische Tradition, etwa Bernhards von Clairvaux oder der Hochzeitsmetaphorik des Hohen Liedes und des Neuen Testaments, wobei speziell der Psalter eine große Ausstrahlungskraft besitzt. „Mechthilds von Magdeburg Werk ist“, wie Alois Haas dies beschrieben hat,

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