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Große Werke der Literatur XIV


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Beginenhaus kann sie mit Texten in Berührung gekommen sein, die diese mittelniederländische Frauenmystik rezipiert und vermittelt haben könnten.

      3.3 Inhalt und Bedeutung

      Das Werk lässt sich mit Neumann grob so gliedern:1

      In den ersten beiden Büchern treten besonders die „Wechselgesänge zwischen der Seele und Gott“ und die „Dialoge über Wesen und Wirkung der Minne“ hervor. Dabei stehen „brautmystische Vorstellungen und Minneklagen im Vordergrund, oft im Anklang an das Hohelied, an den frühen Minnesang oder an volkstümliche Lieddichtung.“ Seit dem dritten Buch werden einfache Visionsberichte über Himmel, Fegefeuer und Hölle sowie verschiedene Lehrdialoge mit Gott und verschiedene Minnebetrachtungen häufiger. Im siebten Buch ist dann die wieder stärker hervortretende Brautmystik kein Ausdruck der Minneekstase mehr, sondern Zeugnis der Unioerwartung nach dem Tod.

      Alois Haas hat einen etwas anderen Gliederungsansatz versucht und dargestellt, wie sich die Mechthild’sche Mystik in insgesamt drei Aspekten gliedern lasse: Der erste Aspekt betreffe die Unmittelbarkeit der mystischen Vereinigung der Seele mit Gott; der zweite die Entfremdung der Seele zu Gott; der dritte die dialektische Versöhnung beider im Konzept der sinkenden Demut und Liebe.2

      Zum ersten dieser Aspekte (Vereinigung) hält Haas fest: „Mechthilds Mystik ist affektive Liebesmystik, in der die gnadenhafte Vereinigung von Gott und Seele durch das Personal von Bräutigam und Braut und entsprechende erotische Symbolik vergegenwärtigt wird.“3 Dafür gibt Haas ein anschauliches Beispiel aus Mechthilds Werk:

1Herre, nu bin ich ein nakent sele,Und du in dir selben ein wolgezieret got.Únser zweiger gemeinschaftIst der ewige lip ane tot.
5So geschihet da ein selig stilliNach ir beider willen.Er gibet sich ir und si git sich ime.Was ir nu geschehe, das weis si,Und des getroeste ich mich.4

      Auf den ersten Blick verwirrend ist der Gebrauch der Pronomina, wenn in den Zeilen 1–4 die Seele zu Gott spricht und in den Zeilen 5–9 ‚Mechthild‘ über ihre Seele und Gott. Auf den zweiten Blick erkennt man, dass gerade so – im Sinn einer Einheitsmystik – Differenzen zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Person, Seele und Gott verwischt werden.

      Der zweite von Haas benannte Aspekt besteht in einer Entfremdung oder in einer Gottesferne, die freilich bewusst angenommen wird; etwa wenn die Seele gerade die Leiderfahrung in der Gottesferne überschwänglich begrüßt:

       Siest willekomen, vil selig vroemedunge! Wol mir, das ich ie geboren wart, da du, vrouwe, nu min kamererin solt sin, wan du bringest mir ungewone vroede und unbegriffenlich wunder und darzuo untreglich suessekeit! Aber, herre, die suessekeit solt du von mir legen und la mich din vroemedunge han! 5

       Eya, selige gotzvroemedunge, wie minnenklich bin ich mir dir gebunden? Du stetigest minen willen in der pine und liebest mir die sweren, langen beitunge in disem armen libe. Swa mitte ie ich mich zuo dir geselle, got ie grossor und wunderlichor uf mich vallet. O herre, ich kan in der tieffi der ungemischeten diemuetikeit nit entsinken.

       Ouwe, ich dir in dem homuote lihte entwenke.

       Mere: ie ich tieffer sinke,

       ie ich suessor trinke. 6

      Die Bewegung der Einheit erfolgt dabei, wie Haas betont, weniger vom Individuum zu Gott als vielmehr von Gott zur menschlichen Seele hin. Notwendig dafür ist der dritte, von Haas benannte Aspekt, der Aspekt der sinkenden Liebe. Damit die Liebe Gottes in den Menschen sinken oder hinabfließen kann, bedarf es freilich sowohl der göttlichen als auch der menschlichen Demut. Mechthild bringt dies im Buch II ins Wort, wenn sie Gott so sprechen hört:

       Wa ich je sunderliche gnade gap, da sůchte ich je zů die nidersten, minsten, heimlichosten stat; die irdenschen hohsten berge moegent nit enpfan die offenbarunge miner gnaden, wan die vluot mines heligen geistes vlússet von nature ze tal. 7

      Susanne Köbele hat für Mechthilds Kennzeichnung dieses Bild des Flusses gewählt, ist aber dessen Fließrichtung von oben nach unten gefolgt und hat damit auch die Bedeutung der Demut erfasst;8 das wird besonders an dem von Köbele gewählten Textausschnitt evident, wo Gott Mechthild verkündet, er wähle sich für seine Offenbarung die niederste und geringste Stätte:

      […] wan die vlůt mines heligen geistes vlússet von nature ze tal. Man vindet manigen wisen meister an der schrift, der an im selber vor minen oͮgen ein tore ist. Und ich sage dir noch me: Das ist mir vor inen ein gros ere und sterket die heligen cristanheit an in vil sere, das der ungelerte munt die gelerte zungen von minem heligen geiste leret.

      Hier, so Köbele, werde ein „ungelehrtes Charisma“ beschworen, und damit liege hier eine „Schlüsselstelle für das Selbstverständnis der Autorin“ vor. Mechthild setze „ihr Nicht-Wissen […] der schulwissenschaftlichen Theologie selbstbewusst gegenüber“. Dem Meister der – lateinischen – Schrift trete mit Mechthild die ‚Laienautorin‘ gegenüber. „Die Niedrigkeit der Volkssprache qualifiziert diese […] in besonderer Weise für die mystische Offenbarung.“9

      Halten wir also noch einmal die drei von Haas benannten Aspekte Mechthilds fest: Einerseits die Unmittelbarkeit der mystischen Vereinigung der Seele mit Gott, andererseits die Entfremdung der Seele zu Gott, und schließlich die dialektische Versöhnung beider im Konzept der sinkenden Demut und Liebe.

      Ruh hat diese drei Aspekte durch Umrisse einer theologischen Konzeption ergänzt, die sich weniger am mystischen Gehalt als vielmehr an der Theologie Mechthilds orientieren. Ruh geht davon aus, dass dabei erstens der trinitarische Gott und die Sicht darüber hinaus, zweitens die Heilsgeschichte und drittens die Betrachtung und Erwartung der Endzeit eine Rolle spielten.

      So lässt sich mit Ruh zeigen, wie Mechthilds Gedanken vielfach um den dreieinigen Gott kreisen und wie dies zumeist in der bei ihr relativ selten vorkommenden direkten Vision geschieht.10 Entscheidend ist, dass Mechthild, wie etwas später dann auch Meister Eckhart, letztlich über die trinitarische Vorstellung hinausweist:

      „Dem Bild der Engel vom dreieinigen Gott vor der Menschwerdung Christi geht nach Mechthilds Vorstellung ein anderes voran: die Gottheit vor der Schöpfung (VI 31, 26–31): ‚Wo war Gott, bevor er etwas geschaffen hat? Er war in sich selber, und ihm waren alle Dinge (im Geiste) gegenwärtig und offenkundig, so wie sie heute (geschaffen) sind. Welche Gestalt hatte damals unser Herrgott? Ganz so wie eine Kugel, und alle Dinge waren in Gott beschlossen ohne Schloß und ohne Tür. Der unterste Teil der Kugel ist die grundlose Festung über allen Abgründen, der oberste Teil ist eine Höhe, über die nichts hinausgeht, der Umfang der Kugel ist ein nicht zu umgreifender Kreis (cirkel).‘ Ruh deutet dies so: „Das Bild dieser intelligiblen Kugel, deren Mittelpunkt überall und deren Umfang nirgends ist, das immer wieder in der platonisierenden Tradition auftaucht und bis auf Empedokles zurückgeführt wird, ist sicher ein theologischer Bildungssplitter. Das Erstaunliche ist, wie immer bei Mechthild, die Umformung ins Eigene. Die implizierte Offenheit der Kugel wird mit ‚ohne Schloß und Tür‘ konkretisiert, zum ‚nicht zu umgreifenden‘ Umfang tritt die Vorstellung eines ‚unten‘ und ‚oben‘: hier reicht sie ins Unendliche, dort ist sie Materie, organisierter Stoff der Welt.“

      Dem besonders im dritten Buch geschilderten Ablauf der Heilsgeschichte mit ihrer extremen Vermenschlichung der göttlichen Personen folgt dann eine Konzentration auf die letzten Dinge, nämlich die Darstellung des Antichrist und der beiden Propheten Enoch und Elias, wobei diese Partien sich besonders in den Büchern IV und VI finden. Ruh hat Recht, wenn er darstellt, wie wichtig solche Partien für Mechthilds kirchliche Sendung, wie unwichtig sie aber für ihre mystische Spiritualität sind. Freilich hat Neumann mit Recht das Auftauchen auch subtiler theologischer Probleme bei Mechthild benannt:11 trinitarische Spekulationen in den Büchern II,3, III,9, und IV,14; die Erschaffung der Seele (I,22, III,9, VI,31); das Verhältnis von Seele und Leib während der Ekstase (VI,13) und die Rückkehr des Geschöpfs in den Schöpfer (VII,25). Diese Aufstellung einzelner theologischer Themen, wie sie Neumann vorgenommen hat,