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Große Werke der Literatur XIV


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ihrer mystischen Offenbarungen ablegt und für sie steht es, und dies wird im Buch II,26 besonders deutlich, stets außer jeder Frage, dass sie dabei im göttlichen Auftrag handelt. In diesem göttlichen Auftrag kann sie auch Prophezeiungen aussprechen, die eine scharfe Kritik der Kirche und kirchlicher Institutionen beinhalten. Buch VI,21 beispielsweise ist stark geprägt von einer Sichtweise, wie sie etwa Joachim von Fiore in seinen Prophezeiungen formuliert hatte. Mechthild spricht hier joachitisch geprägt eigene Prophezeiungen aus, die den Niedergang der Kirche, das Kommen des Jüngsten Gerichts und das Heraufdämmern eines eigenen Ordens der Jüngsten Brüder beschreiben:

      XXI. Wie boͤsú pfafheit sol genidert werden, wie predier alleine predien soͤnt und beschoͤve sin und von den jungesten predieren

      Owe crone der heligen cristanheit, wie sere bistu geselwet! Din edelsteine sint dir entvallen, wan du krenkest und schendest den heligen cristanen geloͮben; din golt das ist verfúlet in dem pfůle der unkúscheit, wan du bist verarmet und hast der waren minne nit; din kúscheit ist verbrant in dem girigen fúre des frasses; din diemůt ist versunken in dem sumpfe dines vleisches; din warheit ist ze nihte worden in der lugine dirre welte; din blůmen aller tugenden sint dir abegevallen.

      Owe crone der heligen pfafheit, wie bistu verswunden! Joch hastu nicht mere denne das umbeval din selbes, das ist pfaͤffeliche gewalt, da mitte vihtestu uf got und sine userwelten vrúnde. Harumbe wil dich got nidern, e du icht wissest, wan únser herre sprichet alsus: »Ich wil dem babest von Rome sin herze ruͤren mit grossem jamere, und in dem jamere wil ich ime zůsprechen und klagen im, das minú schafhirten von Jerusalem mordere und wolve sint worden, wande si vor minen oͮgen die wissen lamber mordent, und die alten schaf dú sint allú hoͮbtsiech, wan sú (118v) moͤgent nit essen die gesunden weide, die da wahset an den hohen bergen, das ist goͤtlichú liebi und heligú lere. Swer den helleweg nit weis, der sehe an die verboͤsete pfafheit, wie rehte ir leben zů der helle gat mit wiben und mit kinden und mit andern offenbaren súnden. So ist des not, das die jungesten brůder kommen; wan swenne der mantel ist alt, so ist er oͮch kalt. So muͤs ich miner brut, der heligen cristanheit, einen núwen mantel geben.“ Das soͤllent die jungesten brůder wesen, als da vor ist geschriben.

       „Sun babest, dis soltu vollebringen, so mahtu din leben lengen; das nu din vorvaren also unlange lebeten, das kumt da von, das si mines heimlichen willen nit vollebrahten.« Alsus sach ich den babest an sinem gebette, und do horte ich, das im got kúndete dise rede. 12

      Auch vor Kritik am eigenen Stand der Beginen scheut Mechthild während ihrer Beginenzeit nicht zurück, so etwa wenn sie die Frage anspricht, mit welchen Tugenden man an der Eucharistie teilnehmen soll:

      Die vil torehtigen beginen, wie sint ir also vrevele, das ir vor únserm almehtigen rihter nit bibenent, wenne ir gotz lichamen so dikke mit einer blinden gewonheit nemment! Nu ich bin die minste under úch, ich můs mich schemmen, hitzen und biben.13

      Auch als Nonne in Helfta spart sie beispielsweise im Kapitel VII,27 (Wie der geistlich mensche sin herze sol keren von der welt) nicht mit Kritik an den Klosterschwestern. Bei der Kritik spart sie sogar den Orden der Dominikaner, den sie sonst lobt, nicht aus:

      Sant Dominicus der merkte sine bruͤder mit getrúwer andaht, mit lieplicher angesiht, mit heliger wisheit, und nit mit vare, nit mit verkerten sinnen und nit mit grúwelicher gegenwúrtikeit. Den wisen leret er fúrbas me, das er mit gotlicher einvaltekeit solte temperen alle sin wisheit; den einvaltigen lerte er die waren wisheit; den bekorten half er tragen heimelich alles ir herzeleit; die jungen lerte er vil swigen, da von wurden si uswendig gezogen und inwendig wise; die kranken und siechen troste er vil minneklich, und er bedahte oͮch alle ir not mit getrúwem vlisse. Si vroͤweten sich alle gemeine siner langen gegenwúrtekeit, und sin suͤssú geselleschaft mahte inen senfte alle ir kumberliche erbeit. Dirre orden was in den ersten ziten reine, einvaltig und dar zů vol der brennenden gottes liebi. Die reine einvaltekeit, die got einigen menschen git, die wirt <underwilen also> gespottet von etlichen lúten, das er die gabe verlúret, da man die gotz wisheit inne vindet und kúset; das verloͤschet oͮch gotz brennende minne. […] Das man die brůdere ze sere tribet ane erbarmherzekeit und ane suͤsse lere, da von geschehent schedelichú ding, der ich nu muͤs swigen.14

      Noch schärfer freilich formuliert Mechthild ihre Kritik am Domkapitel:

       Das got die tůmeherren heisset boͤke, das tůt er darumbe, das ir vleisch stinket von der unkúscheit in der ewigen warheit vor siner heligen drivaltekeit. 15

      Die allgemeine Kritik umgreift auch den Papst, was besonders deutlich wird, wenn man sich das eben zitierte Buch VI,21 (vgl. oben Anm. 30) noch einmal näher ansieht, denn die Krone der hl. Christenheit, die dort im Verfall geschildert wird, ist niemand anders als der Papst, was gerade die direkte Anrede am Ende von Buch VI,26 (Sun babest, dis soltu vollebringen) verdeutlicht. Mechthilds Kritik umgreift dann auch die Kirche als Ganzes (Buch V,34). Gleichzeitig scheut sie nicht davor zurück, ihren eigenen Herkunftsstand und den Adelsstand insgesamt zu kritisieren, etwa wenn sie sich gegen adelige Damen wendet. Die Kritik bleibt allerdings auch nicht einseitig. So ist festzustellen, dass Mechthild die Gefahren, die in den Augen der Kirche von einer kirchenfernen Mystik ausgehen, selbst erkennt und sich unmissverständlich gegen Strömungen ihrer Zeit ausspricht, die auch in ihren Augen häretisch sind: Das Buch VII mit dem Kapitel 47 ist ein sprechendes Beispiel dafür:

      XLVII. Von einer súnde dú boͤse ist úber alle súnde

      Ein súnde hab ich gehoͤret nemmen. Ich danken des gotte, das ich ir nit erkenne; si dunket mich und ist ob allen súnden boͤse, wan si ist der hohste ungeloͮbe. Ich bin ir von aller miner sele und von allem minem libe und von allen minen fúnf sinnen und von allem minem herzen gram. Ich danken des Jhesu Christo, dem lebendigen gotz sune, das si nie in min herze kam. Dise súnde ist nit von cristanen lúten ufkomen; der homuͤtige vient hat die einvaltigen lúte mit betrogen. Si wellent also helig sin, das si sich in die ewigen gotheit wellent ziehen und legen bi der ewigen heligen menscheit únsers herren Jhesu Christi. Wenne sich die vindent in bobenheit, so gebent si sich in den ewigen vlůch, si wellent doch die heiligosten sin; si habent iren spot uf gotz wort, die von der menscheit únsers herren sint gescriben.

      Du allerarmester mensche, bekantestu werlich die ewigen gotheit, so were das unmugelich, du bekantest oͮch die ewigen menscheit, die da swebet in der ewigen gotheit. Du muͤstest oͮch bekennen den heligen geist, der da erlúhtet des cristan menschen herze und smeket in siner sele úber alle suͤssekeit und leret des menschen sinne úber alle meisterschaft, (154v) das er diemuͤtekliche da sprichet, das er vor gotte vollekomen nit mag wesen.16

      Dass Mechthild hier sehr konkrete ‚Ketzereien‘ im Auge hat, macht der letzte Satz ihrer Kritik deutlich: Er richtet sich „gegen die Vorstellung von homines perfecti, als welche sich die Mitglieder ketzerischer Sekten, etwa der im Nördlinger Ries, verstanden.“17 Mechthild kritisiert also „Ketzerei“ ebenso scharf wie den Papst, die Beginen wie die Mitschwestern, den Adelsstand und sogar den Orden ihres Beichtigers. Von der eigenen Wahrheit zutiefst durchdrungen, setzt sie sich, bildlich gesprochen, zwischen alle Stühle. Um als Nicht-Theologe, als Laiin und als Frau (!) in dieser Zeit eine solch heftige Kritik in alle Richtungen wagen zu können, bedarf es einer ganz besonderen Legitimation. In der Tat hat sich Mechthild selbst verteidigt. Dies wird in Buch V,12 deutlich, wo sie zur ihrem Beichtvater spricht:

      Meister Heinrich, úch wundert sumenlicher worten, die in disem bůche gescriben sint. Mich wundert, wie úch des wundern mag. Mer mich jamert des von herzen sere sid dem male, das ich súndig wip schriben můs, das ich die ware bekantnisse und die heligen erlichen anschowunge nieman mag geschriben sunder disú wort alleine; si dunken mich gegen der ewigen warheit alze kleine.

       Ich vragete den ewigen meister, was er har zů spreche. Do antwúrt er alsus: »Vrage in, wie das geschach, das die aposteln kamen in also grosse kůnheit nach also grosser bloͤdekeit, do si enpfiengen den heligen geist. Vrage me, wa Moyses do was, do er niht wan got ansach. Vrage noch me, wa von das was, das Daniel in siner kintheit sprach.« 18

      Mechthild