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Große Werke der Literatur XIV


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munt und wird vom schriber / von den schribern geschrieben. Das Buch selbst aber steht im Mittelpunkt, nicht als (ab)geschlossenes, sondern als werdendes. Der Text heißt – in den Augen der Instanzen, die ihn zu verantworten haben (bei der Autorin, wenn wir sie denn so nennen wollen, bei dem/den Redaktor(en), bei dem/den Schreiber(n) – ein fließendes Licht der Gottheit. Damit wird der prozessuale Charakter eben dieses Textes betont: Es handelt sich um einen Fluss, der von Gott, über die verschiedenen Instanzen des Textes, bis zu seinen Rezipienten fließt. Damit gewinnt das Buch eine Qualität, die in der Mystik gemeinhin der göttlichen Emanation zugeschrieben wird. Mechthilds Text beschreibt nicht den Fluss, er ist der Fluss, er (be)schreibt nicht mystisches Ereignis, er ist mystisches Ereignis. Der Text vereint so Gott und Sprecher und Schreiber und Hörer und Leser im unaufhörlichen Prozess seiner eigenen Buch-Werdung.

      Aus all dem ergibt sich auch ein eminent dialogischer (wenn nicht polylogischer) Charakter des Fließenden Licht der Gottheit, den schon Kurt Ruh hervorgehoben hat:

      Mechthild verfügt über die verschiedensten Arten des Dialogs und die ihm benachbarten Formen wie die Anrede, das Gebet, den Lobpreis, die ja alle den Partner voraussetzen. Wo Liebe das Thema der Gottesbeziehung ist, wird die Gesprächsform vielfach hymnisch oder auf den Ton des Hoheliedes gestimmt. Die Partnerschaft des Ich bzw. der Seele mit Gott schafft einen personalen Gesprächstyp, der sich nirgends so unmittelbar geäußert hat wie im ‹Fließenden Licht›. Es ist nicht zuletzt dieser Gesprächscharakter der Liebesbeziehung zu Gott, der die Einzigartigkeit Mechthilds ausmacht.28

      Diese Einzigartigkeit Mechthilds hat Ruh mit dem dichterischen Charakter ihres Werkes in Verbindung gebracht. Ruh feiert Mechthild geradezu als Dichterin:

      Jede Lektüre bestätigt erneut den ungewöhnlichen Rang von Mechthilds ‹Fließendem Licht der Gottheit›, und er gilt weit über ihr Jahrhundert hinaus. An poetischer Kraft hat Mechthild nicht ihresgleichen. Sie ist eine Dichterin, freilich ohne höhere poetische Technik – das unterscheidet sie von Hadewijch –, aber dies ist auch nicht nur ihre Einzigartigkeit, sondern ihre eigentliche Qualifikation. Das Mittelalter hat eine hochentwickelte Kunstlyrik hervorgebracht, und wo uns schlichte Reimereien begegnen, da handelt es sich in der Regel um abgesunkene Kunstformen. Das ist bei Mechthild anders. Wo sie mit Rhythmen und Reimen spielt, wo sie «singt», treten uns Formen und Bilder entgegen, die ihre Welt- und Seelenerfahrung in einer für das Mittelalter sonst nicht bezeugten Unmittelbarkeit spiegeln.29

      Dass Mechthild sprachlich dabei von der höfischen Literatur geprägt ist, steht außer Zweifel. Das dürfte sie ihrer adligen Erziehung verdanken. So lässt sich zum Beispiel eine Nähe zur höfisch-ritterlichen Sprache konstatieren:

       XVIII. Von des ritters strite mit vollen waffenen wider die begerunge

      Ich bat fúr einen menschen, als ich was gebetten, das im got des lichamen beruͤrunge woͤlte benemen, das doch ane sûnde geschiht, des der boͤse wille da zuͦ nit bringet. Do sprach únser herre: »Swig! Behagete dir, das da ein ritter were mit vollen waffenen und von edeler kunst unde mit warer mankraft und mit geringen henden, das der lidig were und versumete sines herren ere und verlúre den richen solt und den edeln lobes schal, den beide, der herre und der ritter, in den landen behaben sol? Mere wa aber were ein ungetroierter man, der von ungerete nie ze strite kam – woͤlte der in fúrsten turneie komen, dem were schiere sin lip benomen. Darumbe muͦs ich der lúten schonen, die so lihte ze valle koment. Die lan ich striten mit den kinden, uf das si ein bluͦmenschappel ze lone gewinnin.«30

      Noch deutlicher ist die Nähe zum Bereich des Höfischen, wenn etwa der Hof selbst erwähnt wird oder im Bereich der höfischen Terminologie des Minnesangs. Dies zeigt sich etwa im Buch I,4:

       IV. Von der hovereise der sele, an der sich got wiset

      Swenne die arme sele kumet ze hove, so ist si wise und wol gezogen. So siht si iren got vroͤlichen ane. Eya, wie lieplich wirt si da enpfangen! So swiget si und gert unmesseklich sines lobes. So wiset er ir mit grosser gerunge sin goͤtlich herze. Das ist gelich dem roten golde, das da brinnet in einem grossen kolefúre. So tuͦt er si in sin gluͤgendes herze. Alse sich der hohe fúrste und die kleine dirne alsust behalsent und vereinet sint als wasser und win, so wirt si ze nihte und kumet von ir selben. Alse si nút mere moͤgi, so ist er minnesiech nach ir, als er ie was, wan im gat zuͦ noch abe. So sprichet si: »Herre, du bist min trut, min gerunge, min vliessender brunne, min sunne und ich bin din spiegel.« Dis ist ein hovereise der minnenden selen, die ane got nút wesen mag.31

      Dass Mechthilds Sprache dabei auch durch Kolonreime geprägt ist, hat Hans Neumann in seiner Edition auch optisch deutlich gemacht. Man muss insgesamt von einer Mischform zwischen Prosa und Lyrik ausgehen. Eine einzige Stelle dürfte reichen, um dies zu zeigen:

      Do klagte si: »Owe herre, joch bist du mir alze lange vroͤmde; koͤnde ich dich, herre, mit zoͮfere gewinnen, das du nit moͤhtest geruͦwen denne an mir; eya, so gienge es an ein minnen; so muͤstest du mich denne bitten, das ich fuͤre mit sinnen.« Do antwúrt er und sprach alsust: »O du unbewollen tube, nu goͤnne mir des, das ich dich muͤsse sparen; dis ertich mag din noch nit enbern.« Do sprach si: »Eya herre, moͤhte mir das ze einer stunt geschehen, das ich dich nach mines herzen wúnsche moͤhte angesehen und mit armen umbevahen und din goͤtlichen minnelúste muͤsten dur mine sele gan, als es doch menschen in ertrich mag geschehen. Was ich da nach liden woͤlte, das wart nie von menschen oͮgen gesehen; ja, tusent toͤde weren ze lihte. Mir ist, herre, nach dir also we! Nu wil ich in der trúwe stan; maht du es herre, erliden, so las mich lange jamerig nach dir gan. Ich weis das wol, dich muͦs doch, herre, der erste lust nach mir bestan32

      Die kurzen Beispiele der Kapitel XVII–XX aus Buch I können vielleicht zeigen, mit welcher Intensität Mechthild hier den Dialog zwischen der Seele und dem himmlischen Bräutigam gestaltet und welche sprachgewaltigen Sprachspiele sie dabei auch verwendet.

       XVII. Die sele lobet got an fúnf dingen

      O du giessender got an diner gabe, o du vliessender got an diner minne, o du brennender got an diner gerunge, o du smelzender got an der einunge mit dinem liebe, o du ruͦwender got an minen brústen, ane dich ich nút wesen mag!

       XVIII. Got gelichet die selen fúnf dingen

       O du schoͤne rose in dem dorne, o du vliegendes bini in dem honge, o du reinú tube an dinem wesende, o du schoͤnú sunne an dinem schine, o du voller mane an dinem stande, ich mag mich nit von dir gekeren.

       XIX. Got liebkoset mit der sele an sehs dingen

      Du bist min senftest legerkússin, min minneklichest bette, min heimlichestú ruͦwe, min tiefeste gerunge, min hoͤhste ere! Du bist ein lust miner gotheit, ein trost miner moͤnschheit, ein bach miner hitze!

       XX. Dú sele widerlobet got an sehs dingen

       Du bist min spiegelberg, min oͮgenweide, ein verlust min selbes, ein turm mines hertzen, ein val und ein verzihunge miner gewalt, min hoͤhste sicherheit! 33

      Alois Haas hat anhand solcher und ähnlicher Wendungen des Textes deutlich gemacht, dass der mystische Diskurs, der hier literarische Autonomie und das Niveau der Poetizität gewinnt, paradoxerweise die Dimension der Alterität Gottes in poetische Formen gießt und die Grenze des Sagbaren gerade in der Poesie übersteigt, gleichzeitig auf die dichterische Sprache selbst und die Grenze des Sagbaren aufmerksam macht:34 „Unbeschadet der poetischen Autonomie und gewissermaßen sie bestätigend und gleichzeitig aufhebend wirkt“, so Haas,

      das Moment der Transzendenz in der mystischen Aussage: Oft tritt es als Gebot des Schweigens auf, als mystische Sprachfeindlichkeit, die über dem Unsagbaren zu verstummen gebietet, oft aber auch als ein schwer zu bestimmender Mehrwert des Gesagten, als ‚Entrückung‘ des Sprechens selber, erkenntlich an ganz bestimmten Sprachformen wie Negation, Kontradiktion (Paradox), Superlation (‚über‘-Wendungen).35

      Ingrid