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Große Werke der Literatur XIV


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vorgegebenen Kontext ein, während bei Mechthild gerade das Episodenhafte in die direkte Konfrontation mit Gott übertritt. Das Moment der Erfahrung dominiert in jedem Fall über das erzählerischer Vergegenwärtigung und Relativität, so dass bei ihr die Kategorie des Lyrischen mit ihrer Faszination unmittelbarer Erfahrung die absolute Verbindlichkeit unreduzierbarer Sprache erhält.5

      Mechthild genießt in dieser Zeit, zwischen 1270 bis zu ihrem Tod, jedenfalls auch eine gewisse Schutzfunktion des Klosters. Dort ist sie äußeren Anfeindungen nicht mehr so ausgesetzt wie sie es als Begine war. Nach neuester Forschung6 dürfte Mechthild von Magdeburg vermutlich um 1282, nach älterer Forschungsmeinung um 1294, in Helfta gestorben sein. Gertrud von Helfta hat im Legatus divinae pietatis das Sterben Mechthilds von Magdeburg in üblicher hagiographischer Überhöhung geschildert. In Gertruds Verbildlichung zeigt der Herr der sterbenden Mechthild das von ihr verfasste Buch als Trost.

      3. Das Fließende Licht der Gottheit

      3.1 Textgeschichte

      Wie schon gesagt, ist die Textgeschichte des aus einzelnen Büchern bestehenden Werkes einigermaßen komplex. Kurt Ruh geht von drei verschiedenen Arbeitsphasen aus:1 1) Buch I–V: zwischen 1250 und 1259; 2) Buch VI: zwischen 1260 und 1270/71; 3) Buch VII: zwischen 1271 und 1282 in Helfta. Für Buch I–V nämlich gibt es eine eigene lateinische Vorrede, die stark auf den Anteil des Dominikanerordens an diesem Werk abhebt. Von Mechthild wird in dieser lateinischen Vorrede gesagt, sie sei in vollkommener Weise den Fußstapfen des Predigerordens gefolgt, und ein Bruder dieses Ordens der Dominikaner, Heinrich von Halle, habe dieses Buch geradezu mitgeschrieben. Nach Abschluss von Buch VI fand dann offensichtlich eine zweite, geradezu ,offizielle‘ Redaktion des Gesamtwerkes statt, für die dann wiederum der Betreuer Mechthilds, eben Heinrich von Halle, einen eigenen Schluss formulierte, der klar als solcher konzipiert ist und die Einheit der Bücher I–VI als neugefasste, sekundäre Redaktion deutlich macht. Die Aufzeichnungen der Nonne Mechthild von Magdeburg in Helfta (Buch VII) heben sich von Inhalt und Diktion her gesehen markant von den Büchern I–V ab, weniger erheblich von Buch VI, das auf eine Übergangsphase hinzuweisen scheint. Von diesen Büchern I–VI wurde eine lateinische Übertragung, die sog. Revelationes, hergestellt, die textkritisch deshalb bedeutsam ist, weil sie auf einer früheren Textstufe beruht (der Textstufe, die nur aus sechs Büchern bestand). Man sieht daran, dass man von der Seite des Ordens sehr um das Werk bemüht war; besonders darum, die volkssprachliche Offenbarung Mechthilds dem lateinischen Bereich zugänglich zu machen. Interessanterweise gibt es von diesen Revelationes wiederum eine eigenständige Rückübersetzung ins Deutsche. Was aber von diesem Werk überhaupt überliefert ist, ist die lateinische Übersetzung der Bücher I–VI, wohl im Dominikanerkloster Halle nicht lange nach Mechthilds Tod entstanden, und eine deutsche Fassung der Bücher I–VII. Diese ist erst etwa um 1343/45 (also mehr als 50 Jahre nach Mechthilds Tod) in Basel entstanden und ist schreibsprachgeographisch gesehen oberrheinisch. Mechthild aber schrieb, so war aus einzelnen Sprachspuren zu erschließen und so postulierten die Spezialisten, u.a. Kurt Ruh, „die Sprache ihrer Heimat, ein elbostfälisches Niederdeutsch mit mitteldeutschen Einschlägen. Von diesem niederdeutschen Original gibt es auch nicht den spärlichsten Textzeugen“.2 Das war der Stand der Forschung und die Lage der Dinge, bis ein Handschriftenfund in geradezu sensationeller Weise Veränderung brachte. Denn die beiden russischen Forscherinnen Squires und Ganina haben ein Fragment eines Textes aus ursprünglich Halberstädter Beständen, das in den Kriegswirren nach Moskau kam, vorgestellt.3 Dieses Fragment bietet jetzt nichts weniger, so zuletzt Nigel Palmer,4 als eine Version des 13. Jahrhunderts, die mit ihrer niederdeutsch gefärbten, ostmitteldeutschen Schreibsprache zeitlich und räumlich der Originalversion des Werkes nahesteht. Es gibt also inzwischen einen Beweis für die frühere Vermutung von der ursprünglichen Fassung. Das Moskau/Halberstädter Fragment ist aber freilich eben nur ein Fragment, und um den ganzen Text lesen zu können, ist man nach wie vor auf die Ausgabe auf der Basis der oberrheinischen Umschrift angewiesen. „Diese alemannische Umschrift in die Basler Schreibsprache“, so Ruh, „verdankt ihre Existenz dem Kreis der Gottesfreunde um Heinrich von Nördlingen, dem auch der bekannte Mystiker Johannes Tauler während der Zeit des Interdikts angehörte.“5 Ruh zufolge ist die Mystik in dieser Zeit „gesellschaftsfähig“ geworden. Sie hat eine gesellschaftliche Komponente in der elitären Basler Gesellschaft gefunden und ist damit auch literarisch geworden. Man ließ mystische Texte abschreiben und verbreiten. Dies kann in zwei sehr sorgfältig geschriebenen Pergamenthandschriften gezeigt werden, die von einer „halbgeistlich“ lebenden aus einer vornehmen Basler Familie stammenden jungen Frau, Margarete vom Goldenen Ring, den Waldschwestern im Einsiedler Hochtal testamentarisch vermacht wurden: Das sind heute die Codices 277 und 278 der Einsiedler Stiftsbibliothek. Sie enthalten vor allem Predigten Meister Eckharts (278) und eben Mechthilds Fließendes Licht (277). Auf das Begleitschreiben, mit dem Heinrich von Nördlingen Mechthilds Fließendes Licht verschickt hat, wird noch genauer einzugehen sein. Soweit die, komplizierte, Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte. Was aber ist eigentlich das Fließende Licht der Gottheit?

      3.2 Texttyp

      Den Typus des Werkes versucht Ruh mit dem Terminus ‚Bekenntnisbuch‘ zu fassen; er würde „am liebsten […] im Anschluß an Goethes Wilhelm Meister, sagen: Es sind ‚Bekenntnisse einer minnenden Seele‘.“ Auch Alois Haas denke in erster Linie an die Tradition der ‚Soliloquia‘ und ‚Confessiones‘, namentlich Augustins Gespräch mit dem göttlichen Partner, an Gotteslob und Gebet. Mit ‚Bekenntnissen‘ sei im Übrigen auch der Meditationscharakter von Mechthilds Buch mitbestimmt. „‚Meditationen‘, heute ein Universalbegriff mit einer schillernden Vielfalt von Bedeutungen“, bezeichne seit der Väterzeit die intensive Versenkung in die Schrift, im Mittelalter mit Anselm von Canterbury zusätzlich aber auch einen literarischen Typus, der „Reflexionen christlicher Wahrheiten und persönlicher Erfahrungen“ festhalte. Endlich umschließe die Bezeichnung ‚Bekenntnisse‘ auch den Tagebuch-Begriff.1 Damit ließe sich der Typus des Werkes – weit gefasst und schillernd genug – in etwa bestimmen. Der Titel vom Fließenden Licht der Gottheit bleibt merkwürdig und erklärungsbedürftig. Hans Neumann, Herausgeber des Werks2 und verantwortlich auch für den Artikel im Verfasserlexikon, fasst ihn so:

      Gewiß steht hinter der Metaphorik des Fließens, sich Ergießens, des Wassers, des Brunnens neben den biblischen ‚Vor-Bildern‘ auch der Emanatismus des Pseudo-Dionysius Areopagita sowie die neuplatonische Lichtmetaphysik neben den jüdisch-christlichen Vorstellungen vom göttlichen Brunnen, Licht und Feuer.3

      Alois Haas hat, wegweisend, Mechthilds Titel so interpretiert:

      Die Einsicht, daß Gott Licht ist, ist so traditionell neuplatonisch wie christlich. Für die mittelalterliche Ästhetik ist die Lichtmetaphysik schlechterdings grundlegend, […] Gott ist in einem unmetaphorischen Sinne Licht; er ist Licht, er erscheint nicht nur so. Theophanien ereignen sich daher stereotyp in Form von Lichtphänomenen. Auch bei Mechthild. Aber – und hierin wendet sie sich gegen die gesamte Tradition – sie setzt den Akzent nicht auf das zum Licht triebhaft emporhastende Geschöpf, sondern das Licht wird in seiner Qualität des Verströmens gefaßt; es ist ein vliessende lieht miner gotheit, in allú die herzen die da lebent ane valscheit (Einleitung). Die Figur des Aufstiegs wird in die des göttlichen Abstiegs verkehrt: […] die Selbstvernichtigung Gottes in der Menschwerdung wird zur Erscheinung herabfließenden Lichts.4

      Auf die Metapher des Fließens wird noch einzugehen sein. Hier stellt sich zunächst die Frage, woher Mechthild über diese Metaphorik – auch wenn sie nach Haas gar keine ist – verfügte. Für Neumann, Ruh und andere war klar, dass Mechthild aus verschiedenen Quellen, wahrscheinlich unterwiesen durch Ordenspriester wie ihren Beichtiger Heinrich von Halle, auf diese Terminologie und diese Topoi gestoßen war und dass sie auf diese Weise Dinge und Texte kennengelernt hatte, die sie in ihren Visionen und Betrachtungen, Dialogen und gedanklichen Erörterungen frei verwerten konnte. Anders als bei Hadewijch aber sei für Mechthild, so Neumann, wegen ihrer mangelnden Lateinkenntnisse und ihrer mangelnden theologischen Bildung eine Vermittlung durch Bücher in der lateinischen Kirchensprache ausgeschlossen. Es sei dagegen nicht unwahrscheinlich, dass Mechthild Anregungen aus Schriften