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Große Werke der Literatur XIV


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sie nimmt diese Gabe für sich selbst in Anspruch und lässt Christus selbst sie ihr zusprechen. Ebenso deutlich wird diese Selbst-Legitimation im Prolog des Werkes, das die Autorschaft des Buches quasi für Gott selbst in Anspruch nimmt. Dabei handelt es sich um ein hochkomplexes Verfahren, das Burkhard Hasebrink, wenn er die Ungelehrte als Lehrerin der Gelehrten vorstellt, so erklärt:

      „Die Individualität der Gotteserfahrung verleiht dem ‚Fließenden Licht der Gottheit‘ eine außerordentliche Autorität. Die Provokation, die das Buch offensichtlich schon zu Lebzeiten Mechthilds darstellte, verlangte nach Absicherung und einer grundsätzlichen Legitimation ‚ungelehrter‘, laikal-volkssprachiger Literatur. Im Zentrum dieser Legitimation steht das Konzept der doppelten Autorschaft […], das eine zweifache Legitimation erlaubt:

      Das eine Begründungsverfahren zielt auf die religiöse Unterweisung der Magdeburger Begine durch die Dominikaner und ihren Anteil an der Entstehung des ‚Fließenden Lichts der Gottheit‘. Damit stehen die Aussagen des Buches unter der Autorität des gelehrten Diskurses, in dem, wie wir aus der monastischen Tradition wissen, auch das Konzept einer ‚heiligen Einfalt‘ des theologisch Ungelehrten seinen festen Platz hat. Die schlichte Opposition ‚gelehrt‘ versus ‚ungelehrt‘ greift daher zu kurz. Das zweite Begründungsverfahren zielt in der Tradition der Offenbarung auf die Inspiration der Sprecherin durch Gott selbst, so daß nach dieser Vorstellung das Gespräch der Seele mit dem geliebten Partner letzten Endes ein offenbares Selbstgespräch Gottes darstellt.“19

      Schon Ruh hatte versucht, Mechthilds Legitimationsmuster durch das Modell der Inspiration zu erklären, indem er auf eine besonders klare Stelle aus Buch IV hinwies:

       Ich enkan noch mag nit schriben, ich sehe es mit den oͮgen miner sele und hoͤre es mit den oren mines ewigen geistes und bevinde in allen liden mines lichnamen die kraft des heiligen geistes 20

      Mechthild macht dabei die Gefahr, die von diesem ihrem Buch für sie selbst ausgeht ebenso deutlich, wie sie sich selbst und ihre Leser(innen) gleichzeitig der göttlichen Autorschaft versichert:

      Ich wart vor disem buͦche gewarnet, und wart von menschen also gesaget: Woͤlte man es nit bewaren, da moͤhte ein brant úber varen. Do tet ich als von kinde han gepflegen; wenne ich betruͤbet ie wart, so muͦste ich ie betten. Do neigte ich mich zuͦ minem liebe und sprach: »Eya herre, nu bin ich betruͤbet dur din ere; sol ich nu ungetroͤstet von dir beliben, so hastu mich verleitet, wan du hies mich es selber schriben.« Do offenbarte sich got zehant miner trurigen sele und hielt dis buͦch in siner vordern hant und sprach: »Lieb minú, betruͤbe dich nicht ze verre, die warheit mag nieman verbrennen. Der es mir us miner hant sol nemen, der sol starker denne ich wesen. Das buͦch ist drivaltig und bezeichent alleine mich. Dis bermit, das hie umbe gat, bezeichent min reine, wisse, gerehte menschheit, die dur dich den tot leit. Dú wort bezeichent mine wunderliche gotheit; dú vliessent von stunde ze stunde in dine sele us von minem goͤtlichen munde […]«.21

      Damit erscheint Mechthilds Buch als Gottes Buch, ihre Worte erscheinen als seine Worte. Und das Buch hat an vielen Stellen eine sprachliche Struktur, die die sprechende Instanz (Gott, Seele, „Mechthild“?) nicht klar erkennen lässt. So erscheint die Frage, wer in diesem Buch eigentlich spricht, als zentrale Frage des gesamten Werkes, in der Forschung heftig diskutiert. Diese Offenheit der Sprecherinstanz im Text findet in der mittelalterlichen Überlieferung des Textes eine Entsprechung. Dies zeigt sich, wenn man die Widmung betrachtet, mit der die Einsiedler Handschrift des Textes verschickt worden war:

      Den swesteren in der vorderen oͮwe / Ir soͤnt wissen / das das bůch / das úch wart / von der zem Guldin Ringe / das do heist / das liecht der Gotheit / des soͤnt ir wol war [übergeschrieben] nemen / also das es sol dienen in alle húser des waldes / und sol us dem walde niemer kommen / und sol ie ein monat in eim huse sin/ also [wenne man gestrichen] das es umb sol gan / von eim in das ander / wenne man sin bedarf / und soͤnt ir sin sunderlich behůt sin / wand si sunderlich trúwe zů úch hatte / bittent oͮch fúr mich / der ir bichter was / leider unwirdig /

       Von mir Her Heinrich von Rumershein von Basel ze sant Peter. 22

      Die Handschrift der alemannischen Umschrift ‚geht um‘, sie zirkuliert, sie ist zugleich Mittel der Kommunikation zwischen ihrem Absender, der sie seinerseits nur weiterreicht, und den Empfängerinnen; sie ist im Gebrauch einer bestimmten Gruppe, die sie damit geradezu konstituiert: Sie bildet deren Arkanum, sie oszilliert zwischen Veröffentlichung und Geheimhaltung, zwischen Offenbarung und Geheimnis; sie ist im Gebrauch, aber dieser Gebrauch ist zugleich Heil. Deutlich formuliert wird das im ‘Begleitschreiben’ Heinrichs von Nördlingen:

       Ich send euch ain buch das haisst Das liecht der gothait. dar zu zwinget mich das lebend liecht der hitzigen mine Christi, wan es mir das lustigistz tützsch ist und das innerlichst rürend minenschosz, das ich in tützscher sprach ie gelas. eia! ich man euch als des gutz, das got in im selber ist und in diszem buch bewiszt hat. lesent es begirlich mit ainem innern gemerck ewers hertzen und ee irs an vahint ze lesent, so beger ich und gebüit euch in dem heiligen geist, das ir im vii Veni sancte Spiritus mit vii venien vor dem altar sprechent und unserm heren und seiner megdlichen mutter Maria auch vii paternoster und Ave Maria sprechent auch mit vii venien, und der junckfroulicher himelscher orgelkunigin, durch die got ditz himelschs gesang hat usz gesprochen, und allen heiligen mit ir auch vii paternoster und Ave Maria mit vii venien sprechint. und ee brechent das versigelt buch nit uf, ee ir desse gebet tuwend und nemen dar zu alle, die gnad dar zu habint mit ernst, und dar nach vahent an ze lesend sitlichen und nit ze vil […]. uberlesent es dri stund, es stat dran ix. ich getrüwe, es sulle ewer sel gnaden vil mer ernst sein. 23

      Mechthilds Mystik, ihr buch, ist Schrift-Mystik,24 es wird von den Rezipienten gar teilweise an die Stelle der Heiligen Schrift gesetzt. Die weitergereichte Handschrift tritt an die Stelle des versiegelten Buches der Offenbarung des Johannes; und wenn das Siegel eröffnet ist, wird Mechthilds Licht im quasi-liturgischen Gebrauch zum Heilsboten, dessen Heilsbotschaft im Nachvollzug des Textes in der gemeinsamen mehrmaligen Lektüre nicht nur zu erlesen ist, sondern erfahrbar und erlebbar wird.

      Von den Reflexionen seiner Überlieferer her gesehen also ist Mechthilds Licht ein ausgesprochen lebendiges Wesen, das lebende Buch. Dass es dies auch von der Überlieferung selbst her ist, steht seit langem außer Zweifel: Die Textgeschichte führt von Mechthilds mehrjährigen Aufzeichnungen über einen (oder mehrere) Redaktor(en) zu einer alemannischen Bearbeitung, einer Übersetzung ins Lateinische, eine Rückübersetzung ins Deutsche und so fort. Wie lebendig diese Text- und Überlieferungsgeschichte ist, hat der erwähnte – sensationelle – Fund des Halberstädter Fragmentes in Moskau mit einer mitteldeutsch/niederdeutschen Fassung gezeigt.25

      Wer aber hat das bůch gemachet? Nach Aussage des Prologs die gotheit. Beteiligt ist aber auch eine „Ich“ genannte Instanz, und beteiligt sind Schreiber, die nach Aussage dieses Ich das Buch na mir haben geschriben.26 Balász Nemes hat in seiner großen Überlieferungsstudie die Ergebnisse auf den Punkt gebracht:

      Der Anteil der an der Buchgenese beteiligten Instanzen ist nicht zu bestimmen. […] Die hier besprochenen Stellen führen uns einen komplexen Schreibprozess vor Augen, der bis in Autornähe zurückreicht und auf eine „tradition vivante“ schließen lässt. Bemerkenswerterweise findet diese ihre Bestätigung in dem aufgezeigten textgeschichtlichen Befund. Demnach müssen wir sowohl auf auktorialer (gemeint ist die Situation Mechthilds als schreibende Frau) als auch auf semiauktorialer (gemeint ist der Fall des Diktats und des Abschreibens mit all ihren Implikationen für die Textgeschichte) sowie auf redaktioneller Ebene (Dominikaner, Helftaer Mitschwestern als Bearbeiter) mit einer kontinuierlichen „Arbeit am Text“ rechnen, einer Arbeit, die auch nach der Veröffentlichung einzelner Werkabschnitte, beispielsweise der Bücher I–VI, fortgesetzt wurde und zur Entstehung von Versionen beigetragen hat. Das immer wieder postulierte Original – Original meint hier nicht den Autortext, sondern den Ausgangspunkt der uns vorliegenden Überlieferung – scheint es offenbar nur im Plural gegeben zu haben.27

      Dies sind demnach nicht Ergebnisse, die sich erst aus der Überlieferungsgeschichte ableiten ließen, sondern