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Lockdown, Homeschooling und Social Distancing – der Zweitspracherwerb unter akut veränderten Bedingungen der COVID-19-Pandemie


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Instanz in dieser Hierarchie gibt sie noch ein Gesicht: Ihre direkte Vorgesetzte, die Schulleiterin, bezeichnet sie etwas salopp als ihre „CHEffin“ (Zeile 1). Die Instanz, die sie mit ihrer Rückmeldung erreichen möchte, wird hingegen nicht personifiziert, sondern ist das „SCHULamt“ (Zeile 2). Die Entscheidungsträger*innen dieser Institution bleiben anonym, ungreifbar: Sie sind „die“ (Zeile 13), die die VKL schließen wollen. Die Unzugänglichkeit dieses Schulamts markiert sie nicht nur mit Hilfe der Personenbezeichnung, sondern auch im Design ihrer Formulierung. Der Adressat ihrer Rückmeldung, das Schulamt, wird nicht als eigentlich zu erwartendes Dativkomplement, sondern als Direktivkomplement „in richtung SCHULamt“ (Zeile 2) realisiert. Damit beschreibt sie die Richtung der Rückmeldung; ob diese Rückmeldung aber da de facto ankommen wird, lässt sie so im Vagen.

      Dennoch zeigt ihr Handeln nicht nur ihren sprachideologischen Hintergrund, vor dem die Wichtigkeit und das Bestehenbleiben der Vorbereitungsklassen bedeutend ist, sondern auch Sprachmanagement-Initiative: Sie versucht auf die dargestellte Weise Einfluss zu nehmen und die Bedingungen für ihre Klasse zumindest zu erhalten. Sie ist damit vergleichbar mit Lehrkraft C, die durch ihr hohes persönliches Engagement die nötige technische Ausstattung für den ihrer Meinung nach für ihre Klasse optimalen Unterricht beschaffte.

      4 Diskussion und Fazit

      Die Analysen zeigen, wie Lehrer*innen für neu zugewanderte Schüler*innen mit den pandemiebedingten Änderungen der Rahmenbedingungen, mit Vorgaben, Herausforderungen und gestalterischen Spielräumen umgehen, mit welchen Auswirkungen auf institutionell-organisatorischer Ebene sie konfrontiert werden, wie sie ihre Praktiken anpassen und was aus ihrer Sicht besondere erwerbs- sowie lehr-lernbezogene Bedarfe von neu zugewanderten Schüler*innen unter diesen Bedingungen sind. Die Darstellungen der Lehrkräfte und die Legitimierungen ihrer Praktiken machen (Sprach-)Ideologien sichtbar, die über die pandemiebedingten Besonderheiten der Lage hinausgehen und grundsätzlich im Zusammenhang mit dem Thema Bildung für neu zugewanderte Schüler*innen aufschlussreich sind. Wenn selbst Lehrkräfte von Vorbereitungsklassen einem monolingualen Habitus verhaftet bleiben, kann dies für eine gezwungenermaßen mehrsprachige VKL nur problematisch sein; wenn in einer Schule gilt, dass VKL nicht wichtig sind, dann werden die Schüler*innen dieser Klassen auch nicht die notwendigen Ressourcen erhalten; wenn aber eine Lehrkraft der Ansicht ist, dass ihre Schüler*innen selbständig oder gut zu motivieren sind, dann wird sich dies auch positiv auf die Lernprozesse auswirken können. Die von der Gemeinde oder den Schulen zur Verfügung gestellten Ressourcen sind nicht ausreichend. Daher sind die Lehrkräfte gezwungen, auf eigene Ressourcen zurückzugreifen, die sie sehr unterschiedlich einsetzen, je auch in Abhängigkeit der Perspektive auf ihre Schüler*innen. In dieser schwierigen Situation, zwischen Zutrauen in sich und ihre Schüler*innen und Überforderung, versuchen sie, wie in allen Interviews sichtbar wird, ihr Bestes zu geben.

      Über die akute Krisensituation hinausgehend wird so erkennbar, welchen Einfluss Lehrkräfte bewusst oder unbewusst auf die Ausgestaltung von Language Education Policies haben, was bereits auf tieferliegende, grundsätzliche, teilweise versteckte Widersprüche, Konflikte und Spannungen zwischen impliziter und expliziter Language Education Policy verweist. An dieser Stelle bestätigt sich, dass pandemiebedingte Herausforderungen als Spiegel oder Brennglas für grundsätzliche Bedingungen von Sprachunterricht dienen: Die Beschulung neu zugewanderter Schüler*innen in Vorbereitungsklassen scheint stark abhängig vom individuellen Engagement der Lehrkräfte zu sein, die mit der Situation allein gelassen werden. Damit zeigt sich, dass die auch laut Kultusministerium zentrale Aufgabe der Sprachförderung durch ein auf die individuelle Lebens- und Lernwirklichkeit der Schüler*innen abgestimmtes Konzept (Ministerium KJSa 2017: 3) von Bildungspolitik und Bildungsträgern nicht ausreichend unterstützt wird. Die Schüler*innen in den Vorbereitungsklassen und die Lehrkräfte dort sind nicht Teil höherer Prioritätsgruppen, obwohl die gesellschaftliche und bildungspolitische Verantwortung an dieser Stelle besonders hoch ist.

      Literatur

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      Rellstab, Daniel H. (2021): Legitime Sprachen, legitime Identitäten. Interaktionsanalysen im spätmodernen