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Lockdown, Homeschooling und Social Distancing – der Zweitspracherwerb unter akut veränderten Bedingungen der COVID-19-Pandemie


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transkribiert, um eine mikrosprachliche Feinanalyse (vgl. Kruse 2015: 475) im Sinne des integrativen Basisverfahrens (vgl. Kruse 2015) zu ermöglichen. Weitere, insbesondere narrative Analyseverfahren (vgl. Bamberg/Georgakopoulou 2008; Goodwin 2016), wurden als methodische Analyseheuristik für die Feinanalyse integriert, und die Interpretation auf der Folie der kritischen Language Policy-Forschung (z.B. Wiley/García 2016) reflektiert. Dabei wird aus der „Panoramaperspektive“ in die „Nahperspektive“ gewechselt, um „die aus der Ferne wahrnehmbaren Konturen verlässlicher zu erkennen und punktuell genauer zu erkunden“ (Meng 2001: 15).

      Die Analyse von vier episodischen Interviews, die im Dezember 2020 und Januar 2021 entstanden und jeweils ca. 90 Minuten dauerten, bietet einen Einblick, wie die Lehrkräfte mit Vorgaben, Herausforderungen und gestalterischen Spielräumen während der Pandemie umgehen. Der Erhebungszeitpunkt erlaubt einen Rückblick auf die erste Schulschließung im Frühjahr 2020 sowie auf die Phase der teilweisen Schulöffnungen im Sommer und Herbst bis hin zu Aktivitäten, um sich auf die drohende erneute Schulschließung im Januar 2021 vorzubereiten. Es wird sichtbar, wie sich die Lehrer*innen selbst positionieren, welche Rollen sie sich im Prozess der Ausgestaltung des Unterrichts zuschreiben, welche Praktiken und Strategien sie entwickeln, wie sie diese legitimieren und welche (sprach-)ideologischen Positionen sie dabei rekonstruieren. Es wird sichtbar, wie sie damit die konkrete Ausgestaltung der Bildungsvorgabe beeinflussen, „neu zugewanderten“ Kindern die Schulsprache in einem Maß zu vermitteln, dass sie an der jeweiligen Schule in den Regelunterricht integriert werden können.

      2 Schulische Rahmenbedingungen für Sprachförderung und Vorbereitungsklassen in Baden-Württemberg

      Bundesweit liegen verschiedene schulorganisatorische Modelle zur Beschulung neu zugewanderter Schüler*innen vor, die sich zwischen den Polen eines submersiven Modells des Unterrichts in der Regelklasse ohne spezifische Deutschförderung bis hin zu einem parallelen Modell mit Unterricht in speziell eingerichteten Klassen bewegen; zwischen diesen Polen gibt es stärker integrative Varianten von Regelklassen mit zusätzlicher Sprachförderung sowie teilintegrative Varianten, in denen die Schüler*innen in eigenen Klassen beschult werden, aber anteilig bereits am Unterricht der Regelklasse teilnehmen (vgl. Massumi/von Dewitz 2015: 44). Inzwischen zielen alle schulorganisatorischen Modelle darauf ab, einen schnellstmöglichen Übergang in das Regelsystem zu ermöglichen. Wie die politischen Rahmenvorgaben der Länder zur Schulorganisation dann im Detail umgesetzt und konkretisiert werden, obliegt den Schulen (vgl. Massumi/von Dewitz 2015: 44). Die konkreten Rahmenbedingungen dafür unterscheiden sich je nach Bundesland und die tatsächliche praktische Umsetzung ist wiederum je nach Schule unterschiedlich.

      Die erste Sichtung von sprachenpolitisch relevanten Dokumenten zeigt, dass auf Baden-Württemberg bezogen die „Verwaltungsvorschrift des Kultusministeriums über die Grundsätze zum Unterricht für Kinder und Jugendliche mit nichtdeutscher Herkunftssprache und geringen Deutschkenntnissen an allgemein bildenden und beruflichen Schulen“ vom 1. August 2017 eine zentrale Rolle in Sprachmanagement-Prozessen spielt. Sie bildet die rechtliche Grundlage für Sprachfördermaßnahmen, VKL (Vorbereitungsklassen) und VABO (Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf mit Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen) und konkretisiert die Rahmenbedingungen landesspezifisch. Die Vorgaben darin sind zunächst sehr offen:

      Kinder und Jugendliche mit nichtdeutscher Herkunftssprache und geringen Deutschkenntnissen besuchen im Bereich der allgemein bildenden Schulen die ihrem Alter und ihrer Leistung entsprechende Klasse der in Betracht kommenden Schulart. Sofern dies aufgrund mangelnder Kenntnisse der deutschen Sprache nicht möglich ist, nehmen sie an besonderen Sprachfördermaßnahmen teil. Sprachförderung kann dabei stattfinden in eigens gebildeten Klassen (Vorbereitungsklassen), in einem Kurssystem oder durch sonstige organisatorische Maßnahmen (zum Beispiel Teilungsstunden, Förderunterricht) der Schule (Ministerium KJS 2017a: 4).

      Maßgebend „für die Einrichtung und Klassenbildung“ ist „der Organisationserlass in der jeweiligen Fassung“: „Die Vorbereitungsklasse wird als Jahrgangsklasse oder als jahrgangsübergreifende Klasse geführt“ (Ministerium KJS 2017a: 6). Der genannte Organisationserlass (Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport zur Unterrichtsorganisation und Eigenständigkeit der Schulen) weist für das Schuljahr 2020/2021 für Grundschulen z.B. folgende Punkte aus: Ab einer Mindestschüler*innenzahl von 4 können Sprachförderkurse oder eine „nachgehende” Sprachförderung eingerichtet werden (Teiler bei 16), für diesen Kurs erhält die Schule „im Rahmen der zur Verfügung gestellten Stellen” je Gruppe bis zu vier Lehrerwochenstunden zugeteilt. Ab 10 Schüler*innen kann eine Vorbereitungsklasse gebildet werden (Teiler 24). Darüber hinaus erhalten die zuständigen Schulaufsichtsbehörden für jede genehmigte Vorbereitungsklasse an Grundschulen zwei Lehrerwochenstunden, die sie den Grundschulen „bedarfsgerecht“ zuweisen können (vgl. Organisationserlass 20/21).

      Trotz der eingangs in der Verwaltungsvorschrift formulierten Offenheit zeigt eine genauere Analyse, dass der Schule bei einer Anzahl von Schüler*innen zwischen 10 und 20 durch die Einrichtung von Vorbereitungsklassen mehr Ressourcen in Form von Unterrichtsstunden zugehen, als wenn sie Sprachförderkurse bilden. Ob die Vorbereitungsklassen eher parallel oder stark teilintegrativ geführt werden, liegt in der Hand der Schulen bzw. der Schulleitung oder beauftragten Lehrkraft. Aufgrund dieser spezifischen Zuteilung der Ressourcen ist es unter bestimmten Umständen für die Schulen lohnender, Vorbereitungsklassen zu bilden. Insgesamt wird die Arbeit in Vorbereitungsklassen durch das Fachportal Integration – Bildung – Migration des Landesbildungsservers deutlich unterstützt: Die Dokumente, die die Rahmenbedingungen der Vorbereitungsklassen genauer regeln oder die Anregungen für die Arbeit in diesen Klassen geben, sind in deutlich höherer Anzahl vorhanden als diejenigen zur integrativen Sprachförderung (vgl. Fachportal IBM: VKL/VABO 2021).

      Falls Vorbereitungsklassen gebildet werden, so regelt die „Verordnung des Kultusministeriums zur Regelung der Stundentafeln für die Vorbereitungsklassen allgemein bildender Schulen” (zum 06.09.2017 aktuellste verfügbare Fassung der Gesamtausgabe) die Anzahl der Stunden genauer und gibt Vorgaben zu den zu unterrichtenden Fächern, wobei Deutsch und Demokratiebildung verpflichtend sind. Zur Koordination der Sprachförder- und Integrationsmaßnahmen erhält die Schule je gebildeter Vorbereitungsklasse eine Entlastungsstunde (vgl. Ministerium KJS 2017b: 7).

      Decker-Ernst (2017) stellte bereits auf der Grundlage von Daten aus Baden-Württemberg aus den Schuljahren 2009/2010 (angestrebte Vollerhebung) fest, dass in Baden-Württemberg die Anzahl separat geführter Vorbereitungsklassen (VKL-S) und integrativ geführter Vorbereitungsklassen (VKL-I) vergleichbar ist, zahlenmäßig mit einem leichten Überhang von VKL-S (vgl. Decker-Ernst 2017: 223f.). Dabei entspricht die Einteilung von Decker-Ernst in VKL-S den parallelen bis teilintegrativen Modellen von Massumi und von Dewitz und die VKL-I eher den integrativen Modellen (vgl. Decker-Ernst 2017: 283), wobei die Einteilung von Massumi und von Dewitz die Komplexität und Unterschiedlichkeit der Modelle deutlicher abbildet (vgl. Massumi/von Dewitz 2015: 45). Decker-Ernst stellte darüber hinaus fest, dass Schulleitungen teilweise erfinderisch sind, wenn es um die Zuteilung und den Einsatz von Ressourcen geht (vgl. Decker-Ernst 2017: 224f.). So ist es nicht ausgeschlossen, dass Vorbereitungsklassen auf dem Papier mit den entsprechenden Ressourcen in der Praxis integrativ geführt werden oder aber, dass für Sprachförderung gedachte Unterrichtsstunden anderweitig verwendet werden, beispielsweise für die Krankheitsvertretung.

      Laut Decker-Ernst entscheiden ein Drittel der von ihr befragten VKL-Lehrkräfte darüber hinaus selbst, welche Inhalte im Unterricht erarbeitet werden. Eine Vergleichbarkeit der Unterrichtsgrundlagen ist daher nicht gegeben (vgl. Decker-Ernst 2017: 239f.). Bezogen auf die Lehrkräfte erfasst Decker-Ernst ein hohes Engagement bei der Entwicklung curricularer Grundlagen, Unterrichtsmaterialien oder auch von Sprachstandserhebungsverfahren; viele Lehrkräfte zeigten ebenfalls die Bereitschaft zur Übernahme sozialpädagogischer Aufgaben (vgl. Decker-Ernst 2017: 281). Zugleich zeigen ihre Ergebnisse aber auch, dass nur wenige Lehrkräfte über eine spezifische Qualifikation als Lehrkräfte für Deutsch als Zweitsprache verfügen. Dieses Ergebnis erscheint besonders dann besorgniserregend, wenn keine übergreifenden Standards für Unterrichtsinhalte, Ziele und Kompetenzen für die VKL existieren, weil es die Qualität des Unterrichts in Frage stellt; Decker-Ernst weist zusätzlich darauf hin, dass Vernetzungsstrukturen