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Lockdown, Homeschooling und Social Distancing – der Zweitspracherwerb unter akut veränderten Bedingungen der COVID-19-Pandemie


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2008) wird nicht nur der Einsatz von Materialpaketen trotz Schwierigkeiten legitimiert. Diese Geschichte illustriert auch eine der Einstellungen, welche die Lehrkräfte im Umgang mit der Komplexität der Situation in ihren Erzählungen sichtbar machen. Die Situation ist herausfordernd; die Lehrkräfte müssen neue Routinen entwickeln, deren Gelingensbedingungen sie nicht kennen. Die Lehrerin hier zeigt, dass der Zweifel, den sie hatte, unbegründet war, dass ihre Lernarrangements funktionieren und ihre Schüler*innen die Fähigkeit mitbringen, mit der herausfordernden Situation umzugehen, auch wenn die Lösungen, die sie entwickeln, nicht immer dem entsprechen, was die Lehrkraft erwartet. Die Lehrkraft hier traut ihren Schüler*innen zu, auch in dieser schwierigen Situation erfolgreich handeln zu können.

      3.2 DaZ-Unterricht digital

      Der Ausgestaltung des Sprachenunterrichts unter Pandemiebedingungen sind enge Grenzen gesetzt; mit Hilfe digitaler Infrastrukturen lassen sich diese erweitern. Digitale Medien wurden von den Lehrkräften schon während des ersten Lockdowns eingesetzt. Eine Lehrkraft (Grundschule) benutzte gleich zu Beginn der Pandemie erfolgreich WhatsApp als Medium der Kontaktaufnahme mit den Eltern und den Schüler*innen und produzierte selbst Lernvideos, die sie über WhatsApp verteilte. Dies animierte ihre Schüler*innen, selbständig und unaufgefordert ebenfalls Videos zu produzieren, die sie in die gemeinsame Gruppe einstellten. Dieses Lehr-Lern-Arrangement, das laut Lehrkraft „SUper funktioniert“ (Lehrkraft B (0:06:26:9)) hat, durfte sie aufgrund von Datenschutzbestimmungen nicht mehr einsetzen; WhatsApp ist nicht DSGVO-konform und über den Einsatz wurde nur zu Beginn der Krisensituation hinweggesehen. Sehr enge und eng interpretierte Datenschutzbestimmungen und bürokratische Hürden sind nicht die einzigen Hürden, welche die erfolgreiche Durchführung des Unterrichts in den Vorbereitungsklassen behinderten. Wie sich in den Interviews zeigt, erschwert auch das Fehlen digitaler Kompetenzen gepaart mit dem immer noch vorhandenen monolingualen Habitus (vgl. Gogolin 1994) auf Seiten der Lehrkräfte das erfolgreiche Durchführen des Unterrichts im multilingualen Klassenzimmer. Dies zeigt sich in folgendem Ausschnitt aus dem Interview mit einer Lehrkraft der Sekundarstufe. Sie kämpft damit, all ihrer 13 Schüler*innen am Unterricht zu beteiligen; nicht alle verfügen über Rechner oder Tablets, viele folgen dem Online-Unterricht auf einem Smartphone. Die Lehrkraft berichtet darüber, dass gegenwärtig der Unterricht in Moodle online stattfinden würde. Als „!ECHT! SEHR seltsam“ empfindet sie, dass die Kommunikation deswegen „so schwierig“ (Lehrkraft D (0:52:18:7)) sei. Einräumend stellt sie fest, dass es besser geworden sei, erzählt dann aber in einer längeren Passage, wie sie die ersten zwei Wochen erlebte. Diese Passage illustriert, dass diese Lehrkraft den digitalen Unterricht als Last empfindet:

      Abb. 2: Interview mit Lehrkraft D, Sekundarstufe (0:52:57:8–0:53:05:0)

      Die Lehrkraft beginnt ihre Erzählung der Anfangsschwierigkeiten, indem sie den Zeitraum, bevor der Online-Unterricht einigermaßen funktionierte, absteckt und gleichzeitig bewertet: es war „SCHREcklich“ (Zeile 1). Dann liefert sie der Interviewerin die Hintergrundinformation, welche ihr für das Verständnis der Ereignisbeschreibung notwendig erscheint und mit welcher sie diese gleichzeitig rahmt: „die ham ihre SMARTphones nich auf deutsch“ (Zeile 2). Was dies für die Verständigung zwischen ihr und ihren Schüler*innen heißt, erzählt sie, indem sie ihre eigenen sprachlichen Handlungen für die Zuhörerin reinszeniert: „und dann:=sag ich denen, die und die funktion müsst ihr EINschalten“ (Zeilen 5–6). Die Schüler*innen dagegen erhalten weder Gesicht noch Stimme. Die Lehrkraft berichtet bloß, was dann geschah: „und dann verSTEHN die des nich“ (Zeile 9). Dass dies nicht nur einmal geschah, sondern wiederholt, zeigt sie, indem sie das Nichtverstehen ein zweites Mal in leicht abgewandelter Form inszeniert (Zeilen 10–12). Einschränkend konzediert sie, dass ihr zweites Beispiel nicht ganz stimmig sei: Das Icon für „Einstellungen“ am Smartphone ist sprachunabhängig. Wie ihr erstes Beispiel illustriert jedoch auch ihr zweites, dass nicht primär die Digitalität Verständigung erschwert, sondern die Kommunikation nicht funktioniert, weil Deutsch nicht die Alltagssprache der Kinder ist: „und dann verstehn se nicht !RÄD!chen“ (Zeile 12). Dies fasst sie in der Coda der Erzählung noch einmal zusammen: „aber des sind dann einfach verSTÄNDnisprobleme“ (Zeile 14), die, wie sie in der Evaluation der Geschichte ausdrückt, „SCHIER nicht zu (-) SCHIER nicht zu glauben“ seien (Zeile 16).

      Zwischen der Intention der Lehrkraft zu erzählen, dass die Kommunikation auf Grund der digitalen Vermitteltheit nicht funktionierte, und der Inszenierung des Scheiterns der Kommunikation, besteht eine Diskrepanz. Denn in der Geschichte ist es nicht nur die digitale Vermitteltheit, welche Probleme bereitet, sondern vielmehr die Tatsache, dass die Kinder ihr Handy nicht auf Deutsch eingestellt haben und den Begriff „Rädchen“ nicht verstehen. Dass eine Lehrkraft, deren Aufgabe es ist, die Deutschkompetenz mehrsprachiger Kinder zu fördern, eine solche Geschichte erzählt und zum Schluss kommt, dass dies „schier nicht zu glauben sei“, mag erstaunen. Doch schon im üblichen VKL-Unterricht kann es eine große Herausforderung sein, mit Schüler*innen zu kommunizieren. Im Präsenzunterricht steht kompetenten Lehrpersonen eine Vielzahl multimodaler Möglichkeiten der Verständigungssicherung zur Verfügung (vgl. Rellstab 2021); im Unterricht via Smartphone wird es schwieriger, mit Hilfe von Gestik, Mimik und der Ausnutzung des Verweisraums Instruktionen zu erteilen. Andererseits würde das Smartphone neue Möglichkeiten eröffnen, die Verständigung herzustellen, auch über Sprachbarrieren hinweg. Dazu müssten die Lehrkräfte diese Möglichkeiten kennen und nutzen können. Doch dieser Lehrkraft hier fehlen zumindest zu Beginn des Online-Unterrichts entscheidende digitale Kompetenzen, um den Unterricht unter Pandemie-Bedingungen bestmöglich gestalten zu können.

      Dass Lehrkräfte ungenügend digital kompetent sind, ist nicht erstaunlich, denn die Schulen selbst sind teilweise schlecht oder gar nicht digitalisiert, und bürokratische Hürden und unklare Zuständigkeiten verlangsamen oder verunmöglichen pragmatische Lösungen. Dies zeigt das Beispiel einer anderen Lehrkraft der Sekundarstufe, die in der Digitalisierung eine große Chance gerade auch für den Unterricht in VKL sieht. Sie ergriff proaktiv bereits im Frühling 2020 die Initiative und beantragte Gelder bei einer Bildungsstiftung, gebunden an ihre Vorbereitungsklasse, um ihre Schüler*innen mit Tablets zu versorgen. Obwohl die Gelder bewilligt wurden, waren die Zuständigen der Schule nicht in der Lage, die Tablets vor der zweiten Schulschließung ein halbes Jahr später anzuschaffen. Die Lehrkraft ergriff erneut die Initiative und beschaffte über private Kontakte Tablets für ihre Klasse. Diese Initiative gründet in ihrer Überzeugung, dass Online-Unterricht für ihre Schüler*innen sinnvoll und produktiv sei. Wie sie im Interview berichtet, stellte sie sich schon im Winter 2020 auf Fernunterricht ein, den sie gezielt vorbereitete und in welchen sie Online-Übungen verschiedener DaF/DaZ-Verlage einbinden wollte, um den Schüler*innen direktes Feedback geben zu können. Dabei ist der Lehrkraft durchaus bewusst, dass digitaler Unterricht aufwändiger ist; sie interpretiert diesen Mehraufwand jedoch wieder als Chance: „ich hab ihnen erklärt dass wir einfach mehr ZEIT brauchen? wenn des über die disTANZ geht; und (.) die waren alle total beGEIStert; weil letzten Endes; die sitzen doch zuhause RUM und langweilen sich“ (Lehrkraft C (1:49:52:9–1:50:03:5)). Weiteren Schulschließungen blickt sie gelassen entgegen, sie ist überzeugt, dass sie in der Lage ist, die von ihr geforderten Bildungsvorgaben trotz der Pandemie erfüllen zu können, wie sich in folgendem Ausschnitt zeigt:

      Abb. 3: Interview mit Lehrkraft C, Sekundarstufe (2:01:37:2–2:02:02:4)

      Diese Lehrkraft positioniert sich hier explizit in Relation zur Schulleitung, der „cheffin“ (Zeile 3), der sie mitteilen kann, dass sie die von ihr verlangten Vorgaben erfüllen wird: „am FÜNFzehnten geb ich meine klasse ab“ (Zeile 5). Sie begründet dies damit, dass sie „dann BE eins erreicht“ habe (Zeile 6). Durch die Verwendung dieser Synekdoche und der Bekräftigung, dass sie „das durchzieht“, „auch mit (.) mit covid“, konstruiert sie sich hier als Lehrkraft, die trotz der Beschränkungen das von ihr anvisierte Ziel stur verfolgt; die damit verbundene Implikation, dass dies auf Kosten der Schüler*innen passieren könnte – „sie“ hat B1 erreicht, „sie zieht das durch“ – bannt