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Weiterwohnlichkeit der Welt


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von Gott als Schöpfer auch jenseits aller Bilder und Mythen ihren Platz behaupten.“ Jedes lebendige Judentum, wie immer es seinen Gottesbegriff verstehe, müsse darauf beharren, daß die Vorstellung einer Welt, die sich aus sich selber entwickelt habe, zwangsläufig die Auffassung der Sinnlosigkeit der Welt nach sich ziehe.23 Leibniz’ berühmte Frage, warum etwas sei und nicht vielmehr nichts, der auch Jonas im Prinzip Verantwortung nachspürt,24 ist aus Scholems Sicht jedoch nicht unabhängig von der Frage nach Gott zu beantworten. Mögen beide noch darin übereinstimmen, daß „Gott als Schöpfer“ wichtiger sei als „Gott in seiner Eigenschaft als Offenbarer und Erlöser“, ja, daß sich eine Theologie denken lasse, „in der die einzige Offenbarung eben die Schöpfung selber wäre“,25 so wird in Scholems These der Unerläßlichkeit einer spezifisch religiösen Schöpfungsethik für die Herausforderung durch die Technologie ein gewisser Dissens sichtbar. Jonas’ skeptische, aber letztlich positiv bewertete Frage, ob sich eine Ethik der Verantwortung ohne Rekurs auf die religiöse Kategorie des „Heiligen“ wirksam begründen lasse,26 hätte Scholem sehr dezidiert mit dem Hinweis beantwortet, die Forderungen der religiösen Ethik – die „Forderungen der Gottesfurcht, der Liebe zu Gott, der Demut und vor allem der Heiligung, die ohne eine Beziehung zur religiösen Sphäre nicht gedacht werden können“ – stünden „zu einer säkularisierten Welt in Widerspruch“ und seien „in einer rein innerweltlichen Ethik nicht vollziehbar“.27 Für Jonas’ Versuch, Sinn und Wert des Lebens aus einer inneren Teleologie der Natur heraus zu begründen und eine säkulare Tradition der Verantwortung für die „Heiligkeit des Lebens“ zu stiften,28 läßt Scholems Schöpfungstheologie und seine starke Akzentuierung des Gegensatzes religiöser und säkularer Ethik allerdings keinen Raum. Im Gegenteil: Konnte Jonas auf Grund seiner Philosophie des Lebens eine nicht-religiöse Begründung des „Heiligen“ voraussetzen und fordern: „Wir müssen wieder Furcht und Zittern lernen und, selbst ohne Gott, die Scheu vor dem Heiligen“,29 so formulierte Scholem: „Die säkularisierende Rede von der ‚Heiligkeit des Lebens’ ist eine Quadratur des Zirkels. Sie schmuggelt einen absoluten Wert in eine Welt hinein, die ihn aus ihren eigenen Voraussetzungen heraus niemals bilden könnte und welcher versteckt auf eine Teleologie der Schöpfung hinweist, die doch von der rein naturalistischen Weltanschauung geleugnet wird.“30 Könnte man sich einen Dialog von Scholem und Jonas im Himmel vorstellen (eine natürlich angesichts von Jonas’ Interpretation des Todes und des Begriffes der Unsterblichkeit undenkbare Möglichkeit),31 so wäre es mehr als spannend, Zeuge der Konfrontation dieser beiden unterschiedlichen Perspektiven zu werden. Ungeachtet der gegensätzlichen Auffassung, die in den zuletzt angeführten Formulierungen aufscheint, hätte Jonas Scholems Kritik der Schöpfungsvergessenheit der modernen Gesellschaft und seiner Überzeugung, eine „technologische Welt“, die sich hemmungslos optimistisch auf die Beherrschung der Natur stürze, müsse mit der Welt des Judentums zwangsläufig in einen Konflikt „von ungemilderter Vehemenz“ geraten, wohl bedingungslos zugestimmt. Wenn Scholem die Befürchtung äußert, der Mensch wäre in einer solchen Welt unbegrenzter technologischer Macht „ein hilfloses Instrument ihn überrollender Gewalten und zugleich ein atomisiertes, isoliertes Detail, das schutzlos vor Einsamkeit und Sinnlosigkeit steht“,32 so erinnert das unweigerlich an Jonas’ Diagnose der Gefährdung der Würde und Verantwortung des Menschen in einer der Dimension des Transzendenten und des Anspruches der Gottesebenbildlichkeit beraubten säkularen Gesellschaft.33 So verwundert es nicht, daß beide Denker angesichts der Entzauberung des Kosmos und der Welt durch die moderne Naturwissenschaft mit ihrem Hang zur technologischen Bemächtigung die Kategorie der Ehrfurcht, des Heiligen und des Geheimnisses neu zur Geltung zu bringen versuchten – Jonas in seinem persönlichen Glauben an den ohnmächtigen Schöpfergott und dem Hinweis, es gebe „ein Geheimnis, das uns alle über die zeitgebundenen, privaten, persönlichen Stellungnahmen hinaus, die wir geistig und bewußt vollziehen, bindet“,34 Scholem im Verweis auf das Grundgefühl jüdischer Mystik und der eindringlichen Warnung vor ihrem Verlust: „Wenn das Gefühl, daß die Welt ein Geheimnis birgt, je aus der Menschheit entschwindet – ist alles zu Ende. Ich glaube aber nicht, daß es so weit mit uns kommen wird …“35

       II.

      Die vorsichtig-tastende Nähe, wie sie in Jonas’ und Scholems persönlichen Zeugnissen aufscheint, hat sich offenbar nach Jonas’ Übersiedlung nach Kanada 1949 nie wieder eingestellt. Statt dessen sollte es schon bald zu einem Konflikt kommen, der ihre Beziehung dauerhaft überschattete. Zunächst ging es dabei konkret um die Frage nach der Treue gegenüber dem Zionismus und dem jungen Staat Israel. Jonas war nach seinem Militärdienst 1945 nach Palästina zurückgekehrt, fand jedoch keine akademische Wirkungsmöglichkeit und wurde 1948 bei Ausbruch des israelischen Unabhängigkeitskrieges sofort wieder eingezogen. 1949 übersiedelte er daher mit seiner Familie nach Kanada, sein weiterer Weg führte ihn dann von dort 1955 als Professor an die New School for Social Research nach New York. Dort fiel die endgültige Entscheidung, die Perspektive eines Lebens und philosophischen Lehrens in Jerusalem aufzugeben und sein Glück auf dem amerikanischen Kontinent zu versuchen. Als Jonas 1951 einen Ruf als Philosophieprofessor an die Hebräische Universität Jerusalem, für den sich Scholem persönlich eingesetzt hatte, aus familiären Gründen und weil er in den USA bereits Fuß gefaßt hatte, ablehnte, kam es zu einem scharfen Streit, in dessen Verlauf der Vorwurf des „Verrats am Zionismus“ laut wurde, den Scholem ihm über Jahrzehnte halb ernst, halb scherzhaft vorhielt.36 Was blieb, war eine zwiespältige Freundschaft, die sich fortan in einer eigentümlichen Mischung aus Zuneigung, Ironie und Streitbarkeit Ausdruck verschaffte. Mit der Zeit kam es dann zu Differenzen, die sachlich mit der unterschiedlichen Entwicklung der Forschungsschwerpunkte beider Gelehrter zu tun hatte. Jonas hatte die Gnosisforschung zu dieser Zeit längst hinter sich gelassen, um sich ganz seiner neuen Philosophie des Organischen zu widmen. Zwar wurde er auf Grund des Ruhmes seines Gnosiswerkes noch gelegentlich zu wichtigen Kongressen eingeladen, doch er verfolgte die Entwicklungen innerhalb der Disziplin nur noch am Rande, so daß die Forschung, wie er bereitwillig zugestand, in der Fülle der Details der religionsgeschichtlichen Quellenerschließung und -deutung rasch über ihn hinwegschritt.37 Im Zentrum der heftigen Dissonanzen zwischen beiden Gelehrten stand die vieldiskutierte und nach wie vor kontroverse Frage nach dem Verhältnis von Gnosis und Judentum, also immerhin einer der zentralen Aspekte der Bestimmung des Wesens und Ursprunges der gnostischen Bewegung. Seit dem neunzehnten Jahrhundert hatten sich auch jüdische Forscher mit dieser Frage auseinandergesetzt und entweder – so Heinrich Graetz – einen gnostischen Einfluß auf rabbinische Traditionen oder umgekehrt einen jüdischen Einfluß auf die Gnosis vorausgesetzt.38 Unter dem Einfluß der Religionsgeschichtlichen Schule hatte sich die Aufmerksamkeit jedoch vom Judentum hin zur iranischen Religion verlagert – der sogenannte orientalisierende Ansatz, der auch Hans Jonas prägte.39 Er postulierte von Beginn an eine dialektische, letztlich jedoch durch einen fundamentalen Gegensatz geprägte Beziehung zwischen jüdischer und gnostischer Religion. Er bestritt zwar nicht, daß sich die Gnosis jüdischer Motive und Elemente bediente, und wollte auch einen Zusammenhang der Gnosis mit einem heterodoxen okkulten Judentum nicht ausschließen, akzentuierte aber den antijüdischen Impetus, den er in ihrem vehementen Antinomismus und in der Identifikation des verhaßten gnostischen „Demiurgen“ Jaldabaoth mit dem Gott der Hebräischen Bibel verspürte. Der juden- und judentumsfeindliche Affekt galt Jonas als wesentliches Merkmal der gnostischen Rebellion gegen die Vorstellung von einer nach dem Ebenbild Gottes gestalteten guten Schöpfung. Daß die Gnosis in Gegensatz zum Judentum trat und „an dem jüdischen Weltgott ihr ganzes angesammeltes Ressentiment ausließ“, war aus seiner Sicht gerade das untrügliche Kennzeichen ihres revolutionären Charakters, der in der antidualistischen Natur des jüdischen Monotheismus seinen natürlichen Widerpart finden mußte.40 Jonas wußte sich darin mit Scholem einig, der ihm gegenüber in den dreißiger Jahren bei einem Gespräch in Jerusalem die Gnosis als bedeutendsten Entwurf eines – nicht gegen das jüdische Volk, sondern gegen den jüdischen Gott gerichteten – „metaphysischen Antisemitismus“ bezeichnet hatte.41 Diese Einschätzung wirkt bis heute nach, wenn etwa Micha Brumlik vermutet, es sei „historisch kein Zufall […], daß Antijudaismus und Antisemitismus bis heute von gnostischem Denken zehren“, da die Gnosis das Judentum auf Grund