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Weiterwohnlichkeit der Welt


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Sie sich bitte für jetzt mit meinem ernsthaften Dank und dem Ausdruck, den ich ihm in diesem Briefe zu geben versucht habe. Als erstes werde ich mich zum Objekt zurückbegeben und in meinen knappen Mußestunden die Kapitel lesen, zu denen ich bisher nicht gekommen war.“6

      Scholems Widmung und Jonas’ Dankesbrief sind einzigartig in der gegenseitigen Öffnung, die sich bei Scholem verhüllter, „symbolischer“, im Medium des Widmungsgedichtes vollzog, während Jonas seine Empfindungen offener aussprach: den Dank, aber auch ein gewisses Leiden an der Distanz und „Sprödigkeit“ eines Freundes, der sich ihm offenbar allzu oft hinter der „Maske“ seiner wissenschaftlichen Forschung verbarg. Zugleich illustrieren diese Texte, was Jonas meinte, als er später in seinen Erinnerungen über das „ungelöste Scholemrätsel“ reflektierte, nämlich über die Frage, die sich auch die nächsten Freunde stellten, „ob Scholem selbst ein gläubiges Verhältnis zum Judentum hatte“: „Was glaubte er, wie viel wollte er glauben, konnte es aber nicht? Niemals hat er sich darüber deutlich erklärt“.7 Was Jonas in seinem Brief als „Verschwiegenheit“ des Forschers beschreibt, die er in der Widmung mit den Anspielungen auf religiöse Suche, Faszination von mystischen Texten, Ernüchterung und bleibender Fremdheit andeutungsweise durchbrochen sah, haben andere Scholem als Ausweichen vor klaren Antworten hinsichtlich seines Verhältnisses zur religiösen Tradition und säkularen Moderne vorgeworfen. Die Deutungen seiner Haltung zum Judentum oszillieren zwischen der These, er habe die Kabbala völlig distanziert und aus säkularer Perspektive als historische Erscheinung betrachtet und der Auffassung etwa Theodor W. Adornos, „der mystische Funke [müsse] in ihm selbst gezündet haben“,8 sowie Ernst Simons Vermutung, hinter Scholems Schweigen von Gott verberge sich ein Bekenntnis zu ihm – nämlich als „indirekte Mitteilung“.9 Scholem selbst brachte seine Haltung erstmals in späteren Zeugnissen zur Sprache, etwa in seinem Essay „Einige Betrachtungen zur jüdischen Theologie in dieser Zeit“ aus dem Jahr 1973 und in einem 1973/74 geführten biographischen Interview.10 In diesem Gespräch distanzierte sich Scholem vom Atheismus und bekannte sich dazu, „daß ich ein religiöser Mensch bin, weil ich mir meines Glaubens an Gott sicher bin“.11 Er gab zu verstehen, daß er trotz seines streng wissenschaftlichen Zuganges zur Mystik zumindest das Grundgefühl der Kabbalisten teile – „daß es in der Welt ein Geheimnis gibt“.12 Es klingt – natürlich ohne daß dies intendiert gewesen wäre – fast wie eine späte Antwort auf Jonas’ Reaktion auf den Widmungstext des Jahres 1943, wenn Scholem auf die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Glaube in seiner Erforschung und Lehre der Geschichte der Kabbala erwiderte:

      „Doch daß ich über die Kabbala nicht nur als ein historisches Kapitel sprach, sondern aus einer dialektischen Distanz, aus gleichzeitiger Identifizierung und Entfernung, resultierte wohl aus meinem Empfinden, daß es in der Kabbala einen lebendigen Kern gab, daß sie Dinge in einer jener Generation entsprechenden Form zum Ausdruck brachte, die sich aber vielleicht auch in anderer Form in etwas anderem und in einer anderen Generation hätten ausdrücken können. Jenseits aller Tarnungen, Masken und philologischen Spiele, in denen ich mich auszeichne, hat mich wohl etwas Verborgenes dieser Art angetrieben. Ich kann verstehen, daß etwas Derartiges sich in den Herzen meiner Zuhörer – unter den Säkularen – entzündete, wie es sich auch in mir entzündet hatte.“13

      Es gibt keine Zeugnisse dafür, daß Scholem diese Antwort und vor allem das Zugeständnis der ja auch von Jonas angesprochenen „Tarnungen“ und „Masken“ diesem gegenüber persönlich formuliert hätte. Ohne daß ersichtlich wäre, ob Scholem und Jonas nach ihren in den Gedichten und Briefen aus dem Jahre 1942/43 vorsichtig formulierten Andeutungen den Faden des Gespräches über Religion, Glauben und Zweifel jemals wieder aufgenommen haben, läßt Scholems Essay von 1973 eine überraschende Nähe zu Jonas’ Denken feststellen. Trotz mancher unterschiedlicher Akzente, die schon darin begründet liegen, daß der Jerusalemer Gelehrte aus einem weit tieferen Fundus jüdischer Gelehrsamkeit schöpfen konnte, gelangten beide Denker – wohl unabhängig voneinander und doch um die gleichen Fragen ringend – zu sehr ähnlichen Einschätzungen. Wie Jonas, der zeitlebens ein zwiespältiges Verhältnis zur jüdischen Tradition hatte, das sich zwischen grundsätzlicher Bejahung und Zurückweisung zentraler Elemente bewegte,14 bekennt Scholem, nicht zu „diesen Glücklichen“ zu gehören, die eine „positive Theologie eines unverrückbaren Judentums“ besitzen – allenfalls könne er Fragen aufwerfen. Zu diesen Fragen zählen, abgesehen von jener nach der Autorität der Tradition, vor allem die nach der „Stellung des Judentums und seiner Überlieferung in einer säkularisierten und technologisierten Welt“ sowie die nach der Bedeutung der „Katastrophe der Vernichtung“ und der Gründung des Staates Israel. Wie Jonas in seinen Überlegungen über den Gottesbegriff nach Auschwitz reflektiert Scholem über die Folgen der „Hitlerjahre, die auf so überwältigende, unfaßbare und im Grunde wohl auch unausdenkbare Weise in unser Leben als Juden eingegriffen“ haben, so daß sich jüdische Tradition nicht mehr einfach ungebrochen fortschreiben läßt.15 Die Herausforderung der Schoah, aber auch jene der fortschreitenden Säkularisation, betrifft aus Scholems Sicht die drei entscheidenden Grundpfeiler des Judentums: die Autorität der Offenbarung, den Schöpfungsglauben und die Hoffnung auf Erlösung, also genau jene Aspekte, die auch in Jonas’ Reflexion über das Judentum eine entscheidende Rolle spielten.16

      Wie Jonas ging Scholem davon aus, daß der verbindliche Charakter der Offenbarung zerbrochen, die Überzeugung vom Dasein Gottes aber auch unabhängig von einer Offenbarung konkreter Glaubensinhalte denkbar sei. Die Bejahung der Existenz Gottes und daraus abgeleiteter religiöser oder ethischer Folgerungen sei in der Moderne vielfach in philosophische Überzeugungen übersetzt worden und besitze „den Wert von Provokationen, die sich vielleicht im Schmelztiegel des modernen Nihilismus als unauflösbar und zukunftsträchtig behaupten können“.17 Das entspricht nicht nur Jonas’ These vom Fortwirken der jüdisch-christlichen Überlieferung in der westlichen Philosophie,18 sondern auch der Art und Weise, in der er in seinen theologischen Reflexionen Autonomie der Vernunft, Ohnmacht Gottes und Wirksamkeit Gottes im Handeln des Menschen miteinander in Einklang zu bringen versuchte. Obwohl Gott weder durch geschichtsmächtiges Handeln noch durch autoritative Offenbarung in den Lauf der Welt einzugreifen vermag, kann er sich doch hörbar machen: Durch den Geist des Menschen „kann Gott gleichsam Macht zurückgewinnen, ebenso wie er auch scheitern kann durch das Versagen der Menschen. Es ist nicht gesagt, daß Gott Gehör findet in den Seelen und daß die von ihm erleuchteten Propheten sich durchsetzen […]. Aber grundsätzlich gibt es dieses Einfallstor, durch welches das Überweltliche in das Weltliche hineinwirken kann – die einzige Kausalität, die ich Gott noch einräume.“19 Alle „theologischen“ Texte des Philosophen zeugen davon, daß er, wie Scholem, darauf hoffte, daß – trotz Säkularisation – die philosophische Plausibilität zentraler Elemente jüdischen Glaubens wie die Heiligkeit geschöpflichen Lebens und die Gottesebenbildlichkeit des Menschen kraft des menschlichen Geistes dem nihilistischen Weltverständnis der Gegenwart widerstreiten könne.20

      In der Frage nach der Bedeutung der Schöpfungsvorstellung für das Judentum im säkularen Zeitalter und ihrem Verhältnis zur Hoffnung auf die messianische Erlösung wird die Nähe von Jonas und Scholem besonders eindrucksvoll erkennbar. Ein auffälliges Merkmal der Philosophie von Hans Jonas besteht darin, daß die gegen Ernst Bloch gerichtete Fundamentalkritik utopischen Denkens im Prinzip Verantwortung21 mit einer eindeutigen Distanzierung von der jüdisch-messianischen Tradition korrespondiert, die als eschatologische Flucht vor der Bejahung der Zweideutigkeit und Fragilität geschöpflichen Seins erscheint.22 Diese Haltung hängt vor allem mit der für Jonas’ Ethik charakteristischen starken Akzentuierung der Vorstellung von einem dem Leben selbst innewohnenden Wert – theologisch: die Güte der Schöpfung und die „Heiligkeit“ des Geschaffenen – zusammen, der das „Sollen“, den Imperativ der Bewahrung des Lebens, begründet. Ähnlich ging auch Scholem von der kritischen Beobachtung aus, die Idee der Erlösung habe sich, sei es unmittelbar, sei es in säkularisierten Metamorphosen, „viel nachdrücklicher im Denken weiter Kreise behauptet“ als jene der Schöpfung. „Grade die, die am lautesten von Erlösung und deren Implikationen sprechen, wollen oft am wenigsten von der Welt als Schöpfung hören. Aber daß die Welt Schöpfung sei, einmalige oder kontinuierliche,