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Weiterwohnlichkeit der Welt


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Herzen lägen. Befremdlicherweise antwortete der Unterredner auf diese mit edler Wärme vorgebrachten Worte, die gleichsam an sein besseres Ich zu appellieren und eine höhere Gemeinsamkeit über den Standpunkten anzurufen schienen, mit dem einzigen Worte ‚Backobst!’ – dessen möglicher Zusammenhang mit dem verhandelten Gegenstande den Freunden schlechterdings unverständlich blieb, das aber jedenfalls auf irgendeine Weise, trotz der Untadelhaftigkeit des in Rede stehenden Erzeugnisses der Fruchtverwertungsindustrie, von Herrn Settembrini mit Recht oder Unrecht als eine nicht eben schmeichelhafte Kennzeichnung seiner Einrede empfunden wurde, wie die flüchtige, auf Gekränktheit schließen lassende Bewölkung seiner angenehmen Züge bewies. Diesen Anflug von Verstimmung überwand er indessen sofort mit Eleganz, als er jetzt daran ging, die Herren miteinander bekannt zu machen – was denn also im Gehen und halben Stehenbleiben mit verbindenden Handbewegungen und unter Scherzreden seitens Settembrinis geschah, wobei er den Stand des Vorzustellenden nach italienischer Art möglichst pomphaft herausstrich …“1

      Dieser Text legt auf lebendige Weise Zeugnis ab von einer aufrichtigen, von Humor, Ironie und der Begegnung starker Charaktere geprägten Freundschaft. In seinen Studienzeiten in Berlin hatte Jonas Scholem einmal von ferne auf einer turbulenten zionistischen Versammlung beobachtet und ihn schon damals als „ungemein eigenwillig denkende, originelle und aufs tiefste von geistigen Motiven durchdrungene Persönlichkeit“ wahrgenommen.2 Nachdem Jonas Deutschland im August 1933 endgültig verlassen hatte, knüpfte er an diesen Kontakt an und bat den auf Grund seiner Studien zur jüdischen Mystik bewunderten Kollegen um ein Empfehlungsschreiben, das dieser ihm bereitwillig ausstellte. Scholem empfand seinerseits bereits zu dieser Zeit große Achtung vor Jonas’ philosophisch-religionsgeschichtlicher Interpretation der spätantiken Gnosis und bescheinigte ihm „ein ungewöhnliches Talent zur scharfen Fassung und Durchleuchtung überaus schwieriger Gedankenkreise“, nicht ohne ihn offenbar brieflich auf die mangelhafte Rezeption seiner eigenen Arbeiten hinzuweisen – ein Thema, das später dringlicher werden sollte, hier aber lediglich vorsichtig anklang.3

      Der Jerusalemer PILEGESCH-Kreis, über den Jonas in seinen Erinnerungen so anschaulich berichtet,4 ein schabbatlicher Debattierclub, in dem neben ihm und Scholem vor allem der Physiker Shmuel Sambursky, der Orientalist Hans Jakob Polotsky, der Altphilologe Hans Lewy und der Publizist George Lichtheim in deutscher Sprache miteinander ernste und weniger ernste Diskussionen führten, ermöglichte wenig später, nach Jonas’ Übersiedlung nach Palästina im Jahre 1935, die intellektuelle Begegnung der beiden Gelehrten, aus der bald eine intensive Freundschaft erwuchs. Sie war getragen von wechselseitiger Achtung und einem humorvollen Miteinander, wie es sich in dem oben angeführten „literarischen“ Text widerspiegelt. Andere – ernstere – Zeugnisse deuten auf eine im gemeinsamen Forschungsinteresse an der Welt der Gnosis und frühjüdischen Mystik gründende intensive Nähe, hinter der jedoch bei genauer Betrachtung eine bleibende Distanz aufscheint, die symbolisch vielleicht im lebenslang aufrechterhaltenen „Sie“ zum Ausdruck kam. So hatte etwa Scholem 1942 seinem Freund eine Ausgabe seines soeben erschienenen Buches Major Trends in Jewish Mysticism mit folgender Widmung geschenkt: „Dem gnostischen Kollegen / zum warnenden Geleit / beim ferneren Abstieg / in die Tiefen des Nichts / widmet diesen kleinen Traktat / über Mystik und Dialektik / freundschaftlich / der analysierende und / nicht-analysierte Autor. G. Scholem, Jerusalem 8.3.1942.“ Am 15. Januar 1943 – Jonas war zu dieser Zeit mit der britischen Armee nahe Haifa stationiert – ließ Scholem ihm ein weiteres Exemplar mit einer zweiten Widmung zukommen. Sie enthält ein vorsichtig angedeutetes Bekenntnis Scholems über die Wirkung der Auseinandersetzung mit der jüdischen Mystik auf sein eigenes Denken. Seinem Freund Jonas gestattete er damit einen kurzen Blick in ansonsten völlig verborgene Seelenlandschaften:

      In die alten Bücher ging ich hinein –

      Mich dünkten die Zeichen groß.

      Ich blieb zu lange mit ihnen allein,

      Ich konnte nicht mehr los.

      Die Wahrheit hat den alten Glanz,

      Doch das Unglück stellt sich ein:

      Das Band der Geschlechter bindet nicht ganz,

      Das Wissen ist nicht rein.

      Verworrnes Gesicht von der Fülle der Zeit

      Habe ich heimgebracht.

      Ich war zum Sprung auf den Grund bereit,

      Aber habe ich ihn gemacht?

      Die Symbole der Väter sind hier formuliert;

      Der Kabbalist war kein Narr.

      Doch was die verwandelnde Zeit gebiert

      Bleibt fremd und unsichtbar.

      Die verwandelte Zeit sieht uns grausam an;

      Sie will nicht mehr zurück.

      Die Vision der Erlösung in Qualen zerrann.

      Was bleibt, ist verworfenes Glück.

      (Hans Jonas, dem gnostischen Kollegen, zur Beherzigung beim Abstieg in die Tiefen des Nichts und beim Aufstieg ins noch Unbekanntere freundschaftlich eröffnet von Gerhard Scholem)5

      Jonas antwortete in einem aufgewühlten Dankesbrief vom 4. Februar 1943 aus Haifa:

      „Lieber Scholem, wie soll ich Ihnen danken? Ich bin noch nie so beschenkt worden, und ich werde kaum einen zulänglichen Ausdruck finden für die Bewegung, die ich empfinde, so oft ich das großzügige und großartige Bekenntnis lese, mit dem Sie mich geehrt haben. Ich bin glücklich, daß Sie mein Exemplar dazu gewählt haben, und mehr noch, daß ich nun so im Ernste weiß, was mich und andere so oft als Frage – manche aus ‚Neugierde’ und manche als dringliches, mit dem Phänomen ‚Scholem’ verbundenes geistiges Anliegen – beschäftigt hat. Für mich persönlich könnte ich auch sagen: beunruhigt hat. Denn Sie sind sich ja selber klar darüber, daß Ihre geistige Existenz als solche, nicht nur das Forscherleben mit dem wissenschaftlichen Ertrag, in dem sie sich manifestiert, um sich zugleich dahinter zu verschanzen, eine tiefe Herausforderung an unsere – die ‚verwandelte Zeit’ – enthält; eine Herausforderung, die manches gerne aufnehmen würde, wenn sie nur unverhüllt (darf ich sagen: unzweideutig?), greifbar, sei es in bekenntnishafter, sei es in dialogfähiger Form, ihm entgegentreten würde. Jene Verschanzung im Forschungsgegenstand, legitim wie sie ist (und verpflichtend, wenn nicht durch das Objekt, dann noch durch die Objektivität des Erkennens), lehrend und wehrend in einem, Wink zugleich und Maske (und insofern so etwas wie eine Symbol-Wirklichkeit im echten Sinne) – sie macht es schwer, für die ‚Auseinandersetzung’, die doch unabdingbar darin vorgezeichnet ist, auch nur die ausdrücklichen terms festzustellen. Für die direkte wenigstens: die indirekte muß eben die gleichen ‚symbolischen’ Wege einschlagen, die Ihre Thesis (oder Herausforderung) geht – und diesen Weg immanenter Selbsterklärung und damit verhüllter Rede und Antwort gehen wir andern, jeder auf seine Weise und mit seinen (bescheideneren) Mitteln, in der Tat ja auch, unwillkürlich oder absichtsvoll, – jeder, wenn er sich forschend und deutend der Geschichte in seinem besonderen Thema stellt. Aber das Geheimnis der Beziehung zwischen dem Forscher und seinem Gegenstand, in Ihrem Falle ein berechtigteres Interesse, eine schärfere Frage als in den meisten sonst, ist gerade Ihnen gegenüber, wie Sie wissen, seit langem ein beliebter Gegenstand teils witziger Vermutungen (mit entsprechenden Formulierungen), teils ernsthaften Fragens und Kopfzerbrechens: alle diese aber, meine ich, letzten Endes ein Ausdruck jener Beunruhigung, die ich für mich oben erwähnt habe. All dies ‚lockt’ Sie nicht aus Ihrer Reserve heraus. Welcher Verstehende möchte nicht die Selbstzucht, die Enthaltsamkeit des Forschers und zugleich die Verschwiegenheit, ja Sprödigkeit der Person (in diesem Lichte sehe ich Ihre Gesprächigkeit) ehren und vor der direkten Anfrage zurückscheuen? Aber das Bedürfnis und das Warten bleibt: und es kommen Augenblicke in der Geschichte eines Geistes, wo man nach allen ihm verdankten Erkenntnissen sich ein Bekenntnis wünscht; wo ein Zipfel wenigstens des Vorhanges gelüftet und der latente Standpunkt sich in einer neuen, unmittelbareren Approximation, in der Sprache des Vertrauens, deklarieren möge – um der eigenen und um der befreundeten Seelen willen. Dies hat für mich Ihr Widmungsgedicht getan. Sie werden mir