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Weiterwohnlichkeit der Welt


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Aussagen zum sittlichen Eigenrecht der Natur sehr vorsichtig,51 und man spürt, daß er froh ist, daß sich die Frage praktisch gar nicht stellt, „da […] das Interesse des Menschen mit dem des übrigen Lebens als seiner Weltheimat im sublimsten Sinn zusammenfällt.“52 Und doch ist klar, daß es auf der Grundlage von Jonas’ philosophischer Biologie sehr schwierig ist, dem Lebendigen einen Eigenwert abzusprechen: Einerseits die Kontinuität der biotischen Evolution, zu der der Mensch wesentlich gehört, andererseits jene ontologisch so faszinierende Eigenart des Organischen legen nahe, es in einer Axiologie zu berücksichtigen. Hierin liegt nun in der Tat ein enormer Fortschritt Jonas’ über Kant hinaus, für den die Natur, auch und gerade die organische, in dem, was an ihr erkennbar ist, menschliches Konstrukt bleibt und damit bar jedes intrinsischen Wertes.

      Ein umfassendes philosophisches System hat Jonas, wie gesagt, nicht vorgelegt. Aber er hat in einem Zeitalter immer weitergehender Spezialisierung nicht nur zwei sehr unterschiedliche Disziplinen, die Philosophie der Biologie und die Ethik, auf höchst originelle Weise behandelt, sondern auch viele Bezüge zwischen ihnen deutlich gemacht. Jonas’ Originalität besteht im wesentlichen darin, daß er Heideggers Tiefenanalyse von Zeitlichkeit ebenso wie seine Kritik des modernen technologischen Zeitalters weiterentwickelt hat zu einer Ontologie der Natur und einer Ethik, die nach der Heideggerschen Diagnose der Gegenwart eine Therapie zu bieten sucht. Er ist dabei, zum Teil ohne es selbst zu wissen, zu entscheidenden Theoriebestandteilen der Naturphilosophie des deutschen Idealismus und der Ethik Kants zurückgekehrt und hat in einer Welt, die von der deutschsprachigen Philosophie nicht mehr viel erwartete, die Gegenwart, ja Zukunftsbezogenheit einer scheinbar veralteten Tradition gezeigt. Etwas übertreibend kann man sagen: Jonas hat in seinem Denken wie in seiner Sprache nicht nur das Beste aus dem präfaschistischen Deutschland bewahrt, sondern ist wahrscheinlich auch der letzte deutsche Nationalphilosoph gewesen – vor dem Aufgehen der Nationalphilosophien in einer entscheidend im Medium des Englischen erfolgenden Weltphilosophie. Daß der letzte deutsche Nationalphilosoph ein Jude mit US-amerikanischem Paß war, war natürlich eine besonders schmerzliche, wenn auch auf eine höhere Gerechtigkeit verweisende Erfahrung, weil sie zeigte, daß das Erlöschen der deutschen Seele ganz entscheidend eine Folge der nationalsozialistischen Vernichtung des Judentums war.

      Konrad Paul Liessmann

       Verzweiflung und Verantwortung. Koinzidenz und Differenz im Denken von Hans Jonas und Günther Anders

      Es gehört zu den Besonderheiten der philosophischen Rezeptionsgeschichte im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert, daß zwei Denker, deren Lebenswege sich mehrmals kreuzten, die als von den Nazis vertriebene deutsche Juden ein ähnliches Schicksal erlitten und deren Philosophie sich zumindest in einem gewichtigen Punkt – der Sorge um die Zukunft der Menschheit – berührte, selten in einem Atemzug genannt werden: Hans Jonas und Günther Anders.1 Bereits die biographischen Berührungspunkte lassen dieses Versäumnis höchst erstaunlich erscheinen. Hans Jonas und Günther Anders – der Sohn des berühmten Psychologen William Stern – hatten sich Anfang der zwanziger Jahre in Edmund Husserls Freiburger Seminar kennengelernt, wenig später in Berlin in einem Seminar Eduard Sprangers wiedergetroffen und angefreundet. Jonas erkannte in dem wenig älteren Husserl-Schüler eine geniale Begabung,2 und ihre intensive Freundschaft erhielt dadurch eine besondere Note, daß Günther Anders die vertraute Freundin von Hans Jonas und Geliebte Martin Heideggers, Hannah Arendt, wenige Jahre später heiraten sollte. Im Rückblick will sich Jonas über diese Heirat sehr gefreut haben, habe doch immerhin sein bester Freund seine beste Freundin zur Frau genommen.3 Beide Philosophen verbanden darüber hinaus ähnliche Motive: Sie waren ursprünglich nach Freiburg gekommen, um bei Husserl zu studieren, vermochten sich dort dem Bann von Martin Heideggers unorthodoxem Philosophieren nicht zu entziehen und folgten ihm nach Marburg, standen seinem Denken jedoch durchaus kritisch gegenüber. Während Anders bei Husserl promovierte und sich Ende der zwanziger Jahre auf den Entwurf einer negativen Anthropologie sowie auf eine musikphilosophische Habilitation konzentrierte, die dann unter anderem am Einspruch Adornos scheitern sollte, promovierte Jonas noch bei Heidegger mit einer Arbeit über den Begriff der Gnosis, aus der dann später sein berühmtes Werk Gnosis und spätantiker Geist erwuchs.

      Die Machtergreifung Hitlers beendete Jonas’ Habilitationspläne ebenso wie Anders’ begonnene journalistische Karriere in Berlin. In ihrer politischen Haltung unterschieden sich die Freunde allerdings beträchtlich. Hatte sich Jonas schon früh der zionistischen Bewegung angeschlossen, die sich die Bildung einer säkularen jüdischen nationalen Heimstätte in Palästina zum Ziel gesetzt hatte, so verstand sich Anders wohl eher als linker, gesellschaftskritischer Autor, der im Umkreis von Bert Brecht verkehrte, ohne sich allerdings der kommunistischen Partei oder ihrer Doktrin zu unterwerfen. Die von Anders gerne erzählte Geschichte, wonach er schon frühzeitig die Gefahr Hitlers erkannt hatte, weil er es als einziger Intellektueller nicht für unter seiner Würde erachtet hatte, Mein Kampf zu lesen, findet in den Erinnerungen von Hans Jonas allerdings keine Bestätigung.4 Auf dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen ideologischen Prägung erscheint es nur folgerichtig, daß Anders 1933 zunächst nach Paris und 1936, nach der Trennung von Hannah Arendt, weiter in die USA floh, während Jonas ebenfalls unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung über London nach Palästina ging, dort während des Krieges Soldat bei der Jewish Brigade Group wurde und im Zuge des Vormarsches der Alliierten über Italien im Juli 1945 als Offizier der britischen Armee wieder nach Deutschland kam. Jonas kehrte dann nach Palästina zurück, wurde 1948 erneut eingezogen, diesmal von der israelischen Armee, und nahm nach vergeblichen Versuchen, eine Professur an der Hebräischen Universität in Jerusalem zu bekommen, ein Angebot nach Kanada, später eines nach New York an. Dort kam es Weihnachten 1949 auch zum Wiedersehen mit Anders, an dem er bereits damals einen „Zug von Bitterkeit“ festgestellt haben will.5 Während Anders mit seiner zweiten Frau Elisabeth Freundlich 1950 nach Wien ging, wo er bis zu seinem Tode leben sollte, blieb Jonas in den USA, besuchte später allerdings auf zahlreichen Reisen immer wieder Europa und Deutschland. Auch wenn er es in seinen Erinnerungen nicht erwähnt, geht aus einem Brief an Hannah Arendt hervor, daß er auf einer dieser Reisen gemeinsam mit seiner Frau auch Günther Anders noch einmal getroffen hatte, und auch der Briefwechsel zwischen Jonas und Anders reicht offenbar bis in die späten achtziger Jahre.6

      Im Denken von Günther Anders und Hans Jonas sind einige auffallende Affinitäten, aber auch Differenzen festzustellen. Vor allem zwei Themenkreise erscheinen in diesem Zusammenhang maßgeblich. Beiden Philosophen ging es in einem eminenten Sinn um die Frage nach dem Fortbestand der Menschheit unter den Bedingungen technischer Selbstvernichtungskapazitäten, und beide setzten sich eindringlich mit den Konsequenzen auseinander, die Auschwitz nicht nur für das Denken und Handeln der Menschen, sondern auch für das religiöse Bewußtsein haben müsse. Die Antworten, die beide Fragestellungen bei Hans Jonas und Günther Anders gefunden haben, könnten – trotz gleicher oder ähnlicher Ausgangs- und Erfahrungslage – unterschiedlicher kaum sein.

      Angesichts der Bedrohung der Gattung Mensch versuchte Hans Jonas in seinem späten Werk Das Prinzip Verantwortung (1979), die Frage, warum menschliches Leben auch zukünftig sein solle, auf dem Wege der Metaphysik zu beantworten, indem er aus einer besonderen Seinswürdigkeit des Menschen auf das Erfordernis einer Kontinuität seiner Existenz schloß. Günther Anders hatte dagegen schon Jahrzehnte früher im ersten Band der Antiquiertheit des Menschen (1956) die Frage nach der potentiellen Vernichtung der Gattung reflektiert und dabei allen Versuchen, ein besonderes Seinsrecht des Menschen abzuleiten, eine Absage erteilt. Daß die Fortexistenz der Menschheit nicht zwingend begründbar sei, implizierte für ihn allerdings nicht, daß man sie der Vernichtung preisgeben dürfe. Beide Denker versuchten, die grundlegenden ethischen Maximen für das technologische Zeitalter mittels einer Neuformulierung des kategorischen Imperativs zu bestimmen. Die dabei auftretenden Differenzen sind nicht nur strategisch, sondern auch moralphilosophisch höchst aufschlußreich. Wollte Hans Jonas die „Permanenz echten menschlichen Lebens“ zum Kriterium des Handelns machen, so war für Anders die Menschenverträglichkeit der verwendeten Technologien entscheidend. Und während Jonas mit dem Prinzip Verantwortung eine moralphilosophisch begründete Antwort auf die Bedrohung der Menschheit zu geben suchte,