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Weiterwohnlichkeit der Welt


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argumentieren ließ. Die Denkfiguren nachzuzeichnen, die Jonas und Anders entwarfen, kann nicht nur helfen, die Hintergründe ihrer kontroversen Positionen aufzuhellen, sondern auch einen Beitrag zum Verständnis der entscheidenden Problematik leisten, mit der sich jede Ethik des technologischen Zeitalters auseinandersetzen muß.

      Sowohl Hans Jonas als auch Günther Anders gingen von der These aus, daß die traditionellen philosophischen Moralkonzepte zur Fundierung eines Handelns im Interesse der Menschheit angesichts der destruktiven Tendenzen technischer Naturbeherrschung und vor allem angesichts der Möglichkeit der Selbstauslöschung der Gattung Mensch durch die atomaren Arsenale nicht mehr ausreichten. Jonas verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß alle bisherigen ethischen Entwürfe von den Handlungsmöglichkeiten und dem Erwartungshorizont des einzelnen Subjekts ausgegangen waren und deshalb nicht mehr genügten, um das Problem nachhaltiger Eingriffe in die Natur, die die Lebensmöglichkeiten künftiger Generationen schmälern oder gar irreversibel schädigen könnten, zu lösen. Die traditionelle Ethik, namentlich die Immanuel Kants, habe den Menschen aufgefordert, in Übereinstimmung mit seiner Vernunft zu handeln, in der sich gleichsam die Idee der Menschheit repräsentiert, und damit das Unmoralische als logischen Selbstwiderspruch definiert. Es liegt aber, so Jonas, „kein Selbstwiderspruch in der Vorstellung, daß die Menschheit einmal aufhöre zu existieren, und somit auch kein Selbstwiderspruch in der Vorstellung, daß das Glück gegenwärtiger und nächstfolgender Generationen mit dem Unglück oder gar der Nichtexistenz späterer Generationen erkauft wird.“ Daß die Reihe der Generationen überhaupt weitergehen, also die Menschheit auch weiterhin existieren soll, stellt angesichts der Destruktionspotentiale moderner Technologien die eigentlich entscheidende ethische Frage dar, und sie ist nicht mit Rückgriff auf eine Individualmoral, sondern nur „metaphysisch“ zu beantworten.7

      Jonas sieht sich also auf Grund der Krise der traditionellen Ethik vor der Herausforderung, einen neuen Imperativ zu formulieren, der den Fortbestand der Gattung Mensch mit im Blick hat und gleichzeitig die implizite Voraussetzung, daß auch zukünftig Leben sein soll, metaphysisch zu begründen vermag. Die Formulierungen, die Jonas diesem Imperativ gegeben hat, haben in den ökologischen und technikkritischen Debatten der achtziger Jahre eine entscheidende Rolle gespielt. An sie ist an dieser Stelle aber in erster Linie zu erinnern, um den Kontrast zur Reformulierung von Imperativen bei Günther Anders hervorzuheben. Jonas formulierte diesen Imperativ unter anderem folgendermaßen: „Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“, oder, negativ formuliert: „Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftigen Möglichkeiten solchen Lebens.“8 Jonas wollte damit letztlich aussagen, daß wir zwar – aus welchen Gründen auch immer – „unser eigenes Leben, aber nicht das der Menschheit wagen dürfen.“ Dabei war er sich darüber im klaren, daß diese Formulierungen in einer bisher nicht bekannten Form den „Zeithorizont“ zu einem bestimmenden Kriterium ethischen Verhaltens machten, insofern sie die „Zukunft“ zum letzten Sinnhorizont verantwortlichen Handelns erklärten.9

      Der entscheidende Aspekt des neuen kategorischen Imperativs liegt – abgesehen von der Frage, wie sich Begriffe wie „echtes menschliches Leben“ qualitativ in Hinblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen bestimmen lassen – im Versuch von Hans Jonas, die Forderung, die Menschheit solle auch in Zukunft fortexistieren, metaphysisch – das heißt für ihn: ontologisch – zu bestimmen. Die alte, unter anderem auch von Leibniz und Schelling geltend gemachte und von Heidegger aufgegriffene Frage, warum etwas sei und vielmehr nicht nichts, wird auch für Jonas zum Leitmotiv seines Begründungsversuchs, in dessen Zentrum die These steht, daß das Sein gegenüber dem Nichts einen Wert darstellt, der dem Sein einen Vorrang gegenüber dem Nichts einräumt.10 Die Plausibilität dieser These gewinnt Jonas über den Nachweis, daß in der Natur selbst schon Zwecke, die als Werte interpretiert werden können, angelegt sind, woraus er in einem weiteren Schritt folgert, daß „in der Fähigkeit, überhaupt Zwecke haben zu können“, ein „Gut-an-sich“ gesehen werden kann, von dem zumindest „intuitiv“ gewiß zu sagen ist, es sei aller Zwecklosigkeit des Seins unendlich überlegen. Unterstellt man diese als selbstevident verstandene Einsicht als „ontologisches Axiom“, so folgt daraus eine „Selbstbejahung des Seins im Zweck“, der ein emphatisches „Nein zum Nichtsein“ korrespondiert.11 Der Mensch nun, der nicht allein Produkt der Natur ist, sondern dieser reflexiv gegenübersteht, muß dieses „Ja“ zur Maxime seines Handelns und somit nicht nur zu einem Moment seines „Wollens“, sondern auch zu einem „Sollen“ machen: Daß weiterhin Menschen sein sollen, ergibt sich für Jonas letztlich daraus, daß ihrer Existenz und den damit verbundenen Lebensmöglichkeiten ein höherer ontologischer Wert innewohnt als ihrer Nichtexistenz. Angesichts der Bedrohung des Lebens auf diesem Planeten ergibt sich aus seiner Sicht daher zwingend das Konzept einer Ethik der Verantwortung, welche die Erhaltung des Lebens in Hinblick auf seine Zukunftsmöglichkeiten zum Kriterium individuellen wie kollektiven Handelns erhebt.

      Auch für Günther Anders sind die traditionellen Ethiken im zwanzigsten Jahrhundert unhaltbar geworden. Sein Ansatz scheint allerdings radikaler als der von Hans Jonas: „Die bisherigen religiösen und philosophischen Ethiken sind ausnahmslos und restlos obsolet geworden, sie sind in Hiroshima mitexplodiert und in Auschwitz mitvergast worden.“12 Mit diesem Diktum hat Anders die Situation der Moral in einer Weise gekennzeichnet, die keine Möglichkeit läßt, aus der Tradition der Moral und den ethischen Reflexionen der Vergangenheit noch einen entscheidenden Nutzen für die Gegenwart zu ziehen, auch nicht im Sinne der Ableitung einer neuen Verantwortlichkeit. Es ging ihm vielmehr darum, zu analysieren, inwiefern die technisch veränderte Welt mit der damit verbundenen Möglichkeit der Menschheitsvernichtung auch die bisherigen moralischen Imperative liquidiert. Aus der Analyse lassen sich dann allerdings sehr wohl Schlüsse ziehen, die Auskunft darüber geben, an welchen Maßstäben sich das Handeln orientieren müßte, soll der Anspruch auf Humanität – und das heißt auch bei Anders schlicht: auf den Fortbestand des Menschen – nicht vollends aufgegeben werden.

      Günther Anders verzichtet jedoch im Gegensatz zu Hans Jonas prinzipiell darauf, eine Moral, die die Existenz der Gattung Mensch zum Ziel hat, philosophisch zu begründen. Gerade weil seiner Auffassung nach der Gattung Mensch keine bevorzugte ontologische Stellung zukommt, läßt sich auch und gerade angesichts der Bedrohung der Menschheit eine Ethik nicht ontologisch-metaphysisch deduzieren. In den anthropologischen Entwürfen seiner jungen Jahre hatte Anders den Menschen als weltfremdes, ja weltloses Wesen bestimmt, das im Gegensatz zum Tier in keine Welt eingepaßt ist, sondern sich Welt immer erst schaffen muß, was allerdings keine ontologische Sonderstellung bedeutet, sondern als belastende Exterritorialität, als „Pathologie der Freiheit“ zu diagnostizieren ist.13 Die noch bei Kant formulierte Ansicht, nur dem Menschen komme eine Zweckhaftigkeit zu, der gegenüber alles andere in der Natur zu einem Mittel werden könne, so daß der Mensch das Ziel, das Telos der Natur sei, hat Anders immer wieder bestritten, zumal er darin das Manko der abendländischen Ethik erblickte.14 Aus der Position des Menschen in der Welt läßt sich seine Wertigkeit ebensowenig ableiten wie aus einer vermeintlichen Hierarchie des Seins, die Anders nicht mehr gelten lassen wollte. Wohl aber resultiert aus der „Pathologie der Freiheit“, daß der Mensch ein Wesen ist, das nicht nur die Möglichkeit der Entscheidung besitzt, sondern geradezu dazu gezwungen ist. Weil wir nicht vollständig in unserem Handeln determiniert sind, sind wir mit Freiheit, das heißt aber mit der Notwendigkeit konfrontiert, bestimmte Handlungen zu wählen oder zu unterlassen. Diese Freiheit erschien Anders durchaus als eine Form von Zwang, die dem Menschen die Unausweichlichkeit des Sollens schlechthin auferlegt: „Es bleibt uns gar nichts anderes übrig: wir müssen sollen.“ Daß der Mensch sich Gesetze, Regeln, Normen geben muß, da die natürlichen Instinkte nicht ausreichen, war für Anders in erster Linie eine Not, keine Tugend. Immanuel Kants Apotheose des Sittengesetzes wurde interessanterweise gerade deshalb zum Gegenstand der Kritik: „Die philosophische […] Grundfrage muß die nach den Bedingungen der Nötigkeit sein, nicht die transzendentale nach den Bedingungen der Möglichkeit.“15 Anders griff damit übrigens einen Gedanken aus seiner frühen Auseinandersetzung mit Heidegger auf, dem er in der Studie über dessen Scheinkonkretheit vorgeworfen hatte, nur nach den Bedingungen der Möglichkeit der Freiheit, nicht aber nach der „Bedingung