Bekim Sejranović

Ein schönerer Schluss


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möchte die Cola bezahlen, sie winkt sofort ab, sagt, das sei nichts, sie habe sich Sorgen gemacht, sie habe mich schon von Weitem taumeln gesehen. Ich nehme endlich den Blick von ihren Brüsten und sehe ihr in die Augen. Unter der gut fünfzigjährigen gestylten Maske sieht mich ein trauriges Mädchen an. Ich kenne solche Blicke und, um ehrlich zu sein, ich habe immer Angst vor ihnen gehabt.

      Ich bedanke mich, nehme den Rucksack auf den Rücken, drehe mich um und gehe ins Freie.

      Als ich draußen bin, fällt mein Blick auf die Titelseiten der Zeitungen.

      „Prinzessin Mette-Marit die Eleganteste auf dem Ball“, „Sparen Sie 1.000 Kronen beim Strom“, „Vierzig Tote im Irak“, „Big Brother – Kristine hat sich die Brust operieren lassen“ …

       3.

      Ich setze mich in den Zug und fahre in die Stadt, steige in Oslo Sentralstasjon aus, verlasse das Bahnhofsgebäude und bleibe erst einmal stehen. Es ist Abend, die Neonreklamen gehen an und aus, die Straßenbahnen surren und klingeln, an den Ampeln wechseln Rot, Gelb und Grün, wie auf Kommando gehen die Menschen los und bleiben stehen, treffen aufeinander und gehen wieder auseinander, sie kommen von ihren langweiligen Geschäften, streben ihrem Zuhause entgegen, gehen die Kinder vom Kindergarten abholen, setzen sich mit auf die Schnelle zubereitetem Essen an Tische, sprechen über ihren Tag, bringen die Kinder ins Bett, schalten die Fernseher ein, warten auf ihre Lieblingsserie, schlafen.

      Links vom Hauptbahnhof erstreckt sich die Plata, eine weitläufige Wiese, auf der sich die Fixer versammeln. Sie hängen in kleinen Gruppen herum, bilden größere, gehen wieder auseinander, organisieren Ware, wechseln Flüche und für sie wichtige Informationen, fordern aggressiv Geld von den Vorübergehenden, zoffen sich mit der Polizei, die sie von Zeit zu Zeit auseinandertreibt.

      Ich begebe mich in die dunkle U-Bahn-Station und erwische den Zug in den Osten Oslos, nach Tøyen.

      V

       1.

      Damals, vor zwei Jahren, als ich mit der Metro nach Tøyen fuhr, presste ich die letzten Tropfen Optimismus aus mir heraus. Ich versuchte zu denken, dass alles noch gut werden könne, dass man von vorne anfangen müsse, dass die Menschen alles Mögliche erleben, dass sie fallen und wieder aufstehen, dass man nicht aus allem ein Drama oder eine Tragödie machen muss. Was zum Teufel bildest du dir ein? Glaubst du, dass es nur dir schlecht geht, dass sich die ganze Welt nur deinetwegen dreht? Das glaubst du? Genau wie dein Alter immer gesagt hat.

       2.

      In Tøyen steige ich aus und gehe die Hagegata hinauf. Drei junge Somalierinnen kommen mir entgegen. Eine ist verhüllt und trägt einen Schleier vor dem Gesicht, die anderen beiden sind in Jeans gezwängt und stechen ihre hohen Stöckel in den Gehsteig. Sie lachen und wedeln mit den Armen in der Luft. Auf dem Tøyen-Platz sitzen zwei unnatürlich magere, junge Männer auf einer Bank. Einem fällt der Kopf auf die Brust, der andere starrt auf etwas, das er in der halb offenen Faust hält. Der erste hebt den Kopf für einen Moment, flucht, dann fällt sein Kopf wieder nach vorn.

      Ich komme zu Nummer 52. Neben einer der Klingeln finde ich Egils Nachnamen: Johansen. Ich läute. Eine Stimme antwortet, ich sage meinen Namen, und die Tür wird geöffnet. Ich gehe hinein und steige die Holztreppe in den zweiten Stock hinauf. In der offenen Tür steht Egil und begrüßt mich herzlich. Es gibt kein Küssen und Umarmen wie auf dem Balkan.

      Da unten musst du dich mit Leuten küssen, die du jeden zweiten Tag siehst. Mit Mädchen könnte ich das noch irgendwie ertragen, aber mit Männern geht mir das echt auf den Keks. Am schlimmsten sind die, die noch beleidigt sind, wenn du sie ihrer Meinung nach nicht leidenschaftlich genug abknutschst. Und dann musst du auch noch genau darauf achten, ob du jemanden zwei oder drei Mal küsst, und es gibt auch solche, die empfindlich darauf reagieren, auf welche Wange du ihnen den ersten Kuss gibst. Ich habe wegen dieser Küsserei mehrere Menschen verloren, von denen ich geglaubt hatte, dass sie meine Freunde sein könnten.

      Egil ist hager und groß gewachsen. Er redet weder viel, noch zeigt er Gefühle auf laute Art und Weise. Würde er einen Hut aufsetzen, könnte er einen sehr hageren Clint Eastwood abgeben. Er ist zehn Jahre jünger als ich, vor ein paar Jahren hat er bei mir an der Universität in Oslo Jugoslawische Literaturen gehört. So haben wir uns kennengelernt. Manchmal haben wir uns zusammen einen Joint angesteckt oder sind nach der Vorlesung auf ein Bier gegangen. Ich machte ihn mit Zigeunermusik bekannt, die gefiel ihm sehr. Jetzt, erzählt er, studiere er Arabisch und arbeite als DJ in verschiedenen Klubs in Oslo. Er spielt arabische, afrikanische und zigeunerische Sachen, angereichert mit elektronischen Beats.

      Er sagt, dass eines der Zimmer in einer Woche frei sein werde und dass ich, wenn ich wolle, einziehen könne. Bis dahin könne ich im Wohnzimmer auf dem Sofa schlafen. In der Wohnung gebe es, außer ihm, noch zwei junge Männer. Einer der beiden ziehe nächste Woche aus.

      Ich bin einverstanden, und danach gibt es nichts mehr, worüber wir reden könnten. Nach ein paar Minuten der Stille sagt Egil, er gehe jetzt in sein Zimmer, denn er müsse lernen, und ich gehe duschen.

       3.

      Nach dem Duschen mache ich mir das Bett auf dem Sofa vor dem Fernseher. Egil und die beiden Mitbewohner kommen und gehen abwechselnd ins Bad und ziehen sich dann in ihre Zimmer zurück.

      Morgen ist ein neuer Arbeitstag, da muss man früh in die Klappe, um ausgeschlafen zu sein. Ich lege mich aufs Sofa, decke mich mit dem Schlafsack zu und schalte den Fernseher ein. Fünfzig Programme, aber kein einziges halte ich länger als fünf Sekunden aus, ich mache den Fernseher aus und versuche zu schlafen. Aber bevor ich einschlafe, gehen mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Zuerst überlege ich, was ich jetzt anfangen werde. Mir einen Job suchen, von 8 bis 16 Uhr arbeiten, allein in meinem Zimmer von 17 bis 24 Uhr Haschisch rauchen, mich am Wochenende betrinken, versuchen, eine flachzulegen, sonntags meinen Rausch ausschlafen, mir einen Porno reinziehen oder vor dem Fernseher liegen und durch die fünfzig Programme zappen, auf Montag warten, auf Dienstag warten, auf Mittwoch warten, auf … Oder mich in ein Mädchen verlieben, die Wochenenden mit ihr verbringen, auf Ausflüge gehen, ihr kleine Geschenke machen, an ungewöhnlichen Plätzen Liebe machen, sie betrügen, darauf warten, dass sie mich betrügt, die Beziehung beenden, sich wieder versöhnen, sie trösten und ihr die Tränen abwischen, die Beziehung in die Länge ziehen, bis einer von uns jemand anderen findet oder sie schwanger wird. Das stelle ich mir vor und muss fast lachen, denn ich erinnere mich natürlich an meine Ex. Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob sie real ist oder nur ein Dämon, dazu da, meine Seele zu quälen.

      Nach solchen Gedanken kann ich nicht einschlafen. Ich habe kein Haschisch und kriege allmählich die Krise. Ich nehme ein Valium, schlucke es und drehe den Kopf zur Rückenlehne.

      VI

       1.

      Als ich aufwache, ist es still in der Wohnung, es scheint, als wäre ich allein. Alle sind schon zur Uni oder zur Arbeit. In der Wohnung lebt, außer Egil, noch ein Norweger, ein Student, den ich gestern Abend, als ich ankam, kaum zu Gesicht bekommen habe. Er ist es, der demnächst auszieht und dessen Zimmer ich in einer Woche übernehmen kann. Im letzten Zimmer, gleich neben der Küche, wohnt ein Franzose, Korrespondent mehrerer französischer Zeitungen. Ihn habe ich gestern Abend kennengelernt. Er ist groß und kräftig, mit seinen roten Bäckchen erinnert er an ein wohlgenährtes verwöhntes Kind.

      Ich stehe auf und rolle den Schlafsack zusammen. Ich gehe ins Badezimmer und dusche lange und heiß. Ich rasiere mich, putze mir die Zähne, nehme frische Wäsche, ziehe Hose, T-Shirt, das Oberteil des Trainingsanzugs an, sehe mich im Spiegel an, denke an nichts.

      Ich setze mich im Wohnzimmer aufs Sofa und weiß nicht, was ich tun soll. Ich sehe durchs Fenster