Kodex in der Normenhierarchie
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Wie vorstehend dargelegt, ist der DCGK ein von einer Regierungskommission der Bundesrepublik Deutschland erarbeitetes Regelwerk. Der DCGK gibt zum einen wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften wieder und stellt zum anderen international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung dar. Er richtet sich zunächst unmittelbar nur an börsennotierte Gesellschaften, soll aber nach allgemeinem Verständnis auch nicht börsennotierten Gesellschaften als grundsätzliche Richtlinie für eine gute Unternehmensführung dienen. Darüber hinaus werden vermehrt Stimmen laut, die eine Anwendung des DCGK auf solche Gesellschaften fordern, deren Aktien auf eigenen Antrag hin im Freiverkehr einer Wertpapierbörse gehandelt werden.[9]
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Der Umstand, dass das Bundesministerium für Justiz den DCGK im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht, macht deutlich, dass das Ministerium, als Teil der Bundesregierung, den Kodex vom Inhalt und der Art und Weise seines Zustandekommens billigt und bezüglich seiner materiellen und formellen Rechtmäßigkeit überprüft hat.[10] Dennoch darf aus diesem Umstand nicht der Rückschluss gezogen werden, die Kommission des DCGK handele mit Gesetzgebungsbefugnis oder im Auftrag der Bundesregierung.
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Bei dem DCGK handelt es sich nicht um ein formelles Gesetz. Vielmehr wurde durch die Schaffung des Kodex eine neue Gattung von Normen in das deutsche Recht eingeführt, die in der Vergangenheit teilweise als „Soft Law“ bezeichnet wurden. Dieser Terminus wird mittlerweile jedoch als irreführend angesehen, da es sich gerade nicht um parlamentarisch legitimiertes Recht handelt. Der Kodex hat im Ergebnis eine Informationsfunktion und gibt die Vorstellungen der Kommission von einer „Best Practice“ der Unternehmensführung wieder. Der DCGK muss sich dabei jedoch stets im Rahmen des zwingenden Aktien- und Kapitalmarktrechts bewegen und kann daher die gesetzlichen Spielräume nur ausfüllen und konkretisieren, aber unter keinen Umständen ausdehnen.[11]
III. Zielsetzung und Inhalt des Deutschen Corporate Governance Kodex
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Der DCGK enthält zum einen eine zusammenfassende Darstellung der wesentlichen gesetzlichen Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften sowie zum anderen die Wiedergabe international und national anerkannter Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung.[12] Dadurch soll der DCKG die aktuelle Best Practice der Unternehmensführung vermitteln und darüber hinaus auch dazu beitragen, dass sich die in der Praxis vorherrschenden Verhältnisse in den Unternehmen den veränderten Zeiten und Umständen anpassen. Der DCGK fungiert insofern nicht nur als Standard-Ermittler sondern auch als Standard-Setzer.[13]
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Inhaltlich enthält der DCKG im Wesentlichen Regelungen, die das Verhältnis der Organe einer Aktiengesellschaft untereinander sowie zur Gesellschaft betreffen. Im Mittelpunkt stehen dabei der Vorstand und der Aufsichtsrat.
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Durch die am 7.2.2017 beschlossene Kodexänderung wurde die Ausrichtung an ethischen Prinzipien, dem „Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns“ in der Präambel verankert. Dies wurde in der juristischen Literatur überwiegend kritisiert mit dem Argument, dass mangels Konkretisierung der Interpretationsspielraum zu Lasten der Rechtssicherheit zu weit sei, da auch das Aktiengesetz keinen entsprechenden Maßstab kenne.[14]
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Der DCGK bedient sich aus rechtstechnischer Sicht dreier unterschiedlicher Instrumente:
1. Gesetzeswiedergaben
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Seiner Zielsetzung entsprechend, über das geltende Recht der Unternehmensführung und die Kontrolle kapitalmarktorientierter Unternehmen zu informieren, besteht der DCGK etwa zur Hälfte aus der Wiedergabe geltender gesetzlicher Regelungen zur Corporate Governance.[15] Den Schwerpunkt bilden die Vorschriften des Aktiengesetzes. Die Passagen des DCGK, die lediglich geltendes Recht wiedergeben, sind stets an den Worten „ist“, „muss“ oder „hat“ erkennbar. Der DCGK macht dadurch deutlich, dass es sich insofern um zwingendes Recht handelt und eine Abweichung daher nicht zulässig ist.
2. Empfehlungen
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Der größte Anteil der Regelungen des DCGK – in Summe ca. 40 % – stellen sogenannte Verhaltensempfehlungen, die sich insbesondere an Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates von börsennotierten Gesellschaften richten. Gekennzeichnet werden die Empfehlungen im Kodextext durch das Wort „soll“. Die Empfehlungen sind juristisch ohne jede Bindungswirkung.Die Kommission hat stets die Freiwilligkeit der Befolgung ihrer Empfehlungen betont und wirbt seit jeher für eine „Abweichungskultur“, die heute auch im Kodex selbst klar angesprochen wird (Präambel Abs. 10 S. 4).[16] Empfehlungsabweichungen sind jedoch gem. § 161 AktG zu begründen und offenzulegen. Es gilt der Grundsatz „comply or explain“. Nach § 161 AktG muss jede börsennotierte Gesellschaft jährlich eine Erklärung abgeben, dass dem Kodex entsprochen wurde und auch zukünftig entsprochen wird. Zudem muss dargelegt werden, welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder von welchen Empfehlungen zukünftig abgewichen werden wird. Durch diese gesetzlich vorgesehene „Entsprechenserklärung“ wurde den in den Empfehlungen des DCGK niedergelegten Prinzipien über eine reine Signalwirkung hinaus Nachdruck verliehen.
3. Anregungen
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Ergänzend zu der Gesetzeswiedergabe und den Empfehlungen enthält der DCGK weitere Verhaltensanregungen. Diese Anregungen sind in keiner Weise verbindlich und eine Abweichung muss weder offengelegt noch begründet werden. Bei den Anregungen handelt es sich in der Regel um Vorschriften, bei denen die Kommission davon ausgeht, sie könnten sich im Laufe der Zeit zur „Best-Practice“ entwickeln. Die Anregungen sind stets an der Verwendung der Wörter „sollte“ und „kann“ erkennbar. Solche Anregungen werden jedoch von der Kommission nur in geringem Umfang verwendet.
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Die im DCGK enthaltenen Vorgaben für Vorstand und Aufsichtsrat mit Bezug auf Compliance lassen sich in organisatorische Pflichten, welche das jeweilige Organ insgesamt betreffen, und persönliche Verhaltenspflichten, die die einzelnen Organmitglieder betreffen, unterscheiden.
4. „Apell“
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Die am 7.2.2017 beschlossene Kodexänderung sieht eine neue Regelungsmechanik vor: in Ziff. 2.1.3 DCGK wird der „Appell“ an institutionelle Anleger ausgesprochen („sind angehalten“) ihre Eigentumsrechte aktiv und verantwortungsvoll auszuüben. Der zuletzt viel diskutierte Themenkomplex „shareholder activism“ („aktivistische Aktionäre“) sowie Fragen zu eventuell erforderlichen weiteren gesetzlichen Regelungen von Investitionsverhalten haben damit Eingang in den DCGK gefunden. Dabei wird die Neuregelung nach überwiegender Meinung in der Literatur als ungenau kritisiert und entfacht die Diskussion neu.[17]
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Für den Fall der Nichtbeachtung eines Apells sind keine Konsequenzen vorgesehen, allerdings kann der Appell als Indiz dahingehend verstanden werden, dass sich Aktionäre deutscher Unternehmen zukünftig darauf einstellen müssen, vermehrt in den Fokus der DCGK zu rücken.[18]
2. Teil Emittenten-Compliance › 6. Kapitel Der Deutsche Corporate Governance Kodex und dessen Bedeutung für die Kapitalmarkt Compliance › B. Organisatorische Compliance-Vorgaben des Deutschen Corporate Governance Kodex