Ueli Kraft

Lerntherapie – Geschichte, Theorie und Praxis (E-Book)


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sie sich in der aktuellen Situation verhält, bringt dabei auch eigene Beobachtungen und Eindrücke ein, fragt Sophia, was ihr selbst beim Arbeiten durch den Kopf geht, wie sich das Lernen für sie anfühlt. Diese Gespräche verlangen von der Lerntherapeutin Sensibilität und kommunikative Kompetenz, denn weder soll sich Sophia in einer Art Kreuzverhör fühlen, noch sollen die Beobachtungen der Lerntherapeutin als Vorwurf gehört werden. Grundsätzlich ist seitens der Lerntherapeutin wiederum Zurückhaltung angesagt. Statt Sophia mit einer auf Fachwissen beruhenden, lerntherapeutischen Hypothese zu konfrontieren, geht es vielmehr darum, einen Dialog zu initiieren, in dem sie über sich selbst zu sprechen beginnt und so auch einen reflektierenden Zugang zu ihrem Verhalten, ihren Wünschen und Ängsten finden kann.[25] Hier nähert sich das lerntherapeutische Gespräch dann auch einem psychotherapeutischen Gespräch an. Die Rolle der Lerntherapeutin besteht primär darin, Sophia sorgfältig zuzuhören, darauf zu achten, was sie sagt und wie sie es sagt. Im Verlauf der gemeinsamen Arbeit und des Gesprächs wird sich eine Spur verdichten, und dann ist es die Aufgabe der Lerntherapeutin, Sophia darauf aufmerksam zu machen und mit ihr an der zum Thema gewordenen Spur weiterzudenken. Dabei muss sich aber nicht nur die Klientin, sondern auch die Lerntherapeutin auf die entdeckende Suche einlassen, denn sie kann zwar eine vorläufige Hypothese zur Herkunft einer Lernschwierigkeit aufstellen, aber wirklich wissen, was der Grund und Sinn und Zweck einer Lernschwierigkeit ist, kann sie trotz all ihres Hintergrundwissens nicht. Ist die Lernschwierigkeit nämlich ein Symptom und hat als solches mit der Geschichte des Subjekts zu tun, so kann diese Schwierigkeit einzig im gemeinsamen Gespräch und Schritt für Schritt ent-deckt, ent-wickelt, präzisiert und verstanden werden.

      4.3 Fazit

      Die lerntherapeutische Arbeit – so das Fazit – basiert also auf Kenntnissen und Fertigkeiten aus verschiedenen Disziplinen und geht auch interdisziplinär vor. Nebst einem breiten Fach- und Methodenwissen aus dem Bereich Lerntechniken und -Methoden brauchen der Lerntherapeut und die Lerntherapeutin neuropsychologischen Wissen – als ein Beispiel sei das Wissen über Teilleistungsstörungen genannt –, wie auch Fachwissen aus weiteren Teilbereichen der Psychologie: Entwicklungspsychologie, pädagogische Psychologie, klinische Psychologie. Die konkrete Vorgehensweise ist jeweils vom Rat suchenden Subjekt und dessen Lernschwierigkeiten abhängig und ist folglich kaum je dieselbe, auch dann nicht, wenn die Lernschwierigkeit vordergründig dieselbe ist. Hinter Phänomenen wie fehlende Lernstrategien, Konzentrationsschwierigkeiten, Motivationsprobleme und Prüfungsangst steckt stets eine individuelle Geschichte, und genau für diese müssen die Lerntherapeutin und der Lerntherapeut offen sein, denn diese gilt es gemeinsam mit den Klienten zu entdecken.

      Trotz der jeweiligen Einzigartigkeit jeder Lerntherapie gibt es dennoch Aspekte, die für jede Lerntherapie relevant sind. Authentizität, Empathie[26] und un-bedingte Wertschätzung[27] sind als sogenannt unspezifische Wirkfaktoren auch für die lerntherapeutische Arbeit unabdingbar, denn nur unter diesen Bedingungen kann sich das Rat suchende Subjekt mit seinen Schwierigkeiten gegenüber der Lerntherapeutin öffnen. Hinsichtlich der Wertschätzung ist es wichtig, das Adjektiv un-bedingt zu betonen, denn es kann sein, dass das von der Klientin anfänglich angestrebte Ziel der Leistungsverbesserung oder des Bestehens der Ausbildung sich im Verlauf der Lerntherapie ändert. Das kann gerade bei Jugendlichen und Adoleszenten der Fall sein, die manchmal – teils bewusst, teils unbewusst – von elterlichen Wünschen gesteuert sind, denen dann aber im Verlauf der Arbeit klar wird, dass dieses Ziel nicht wirklich das ihrige ist. Hält die Lerntherapeutin beharrlich am Ziel der Leistungsverbesserung fest und will die Klientin oder den Klienten von dessen Nutzen überzeugen, weil sie sich entweder dem elterlichen Auftrag verpflichtet fühlt oder weil sie das berufliche Selbstbewusstsein von den Leistungsverbesserungen und Ausbildungsabschlüssen der Klienten abhängig macht, übergeht sie das Subjekt und bringt es in seinen Wünschen zum Schweigen. Die Lerntherapeutin und der Lerntherapeut sind jedoch an erster Stelle dem Subjekt und nicht dem Auftrag verpflichtet, und das kann eben auch bedeuten, dass das ursprünglich formulierte Ziel aufgegeben werden muss. In solchen Situationen gilt es, mit allen Beteiligten nach neuen Wegen zu suchen.

      Wenn Empathie, Authentizität und un-bedingte Wertschätzung zu den sogenannt unspezifischen Wirkfaktoren gehören und also für jegliche therapeutische Arbeit wichtig sind, so möchte ich zum Schluss nochmals auf das hinzuweisen, was für die lerntherapeutische Arbeit ganz zentral ist, nämlich das Reflektieren der supportiven Techniken, also der unterstützenden Massnahmen, im doppelten Sinne. Unsere Klienten und Klientinnen sind – aus welchen Gründen auch immer – mit Lernproblemen konfrontiert und sie erhoffen sich von uns Hilfe und Unterstützung im Bereich des Lernens. So arbeiten wir mit ihnen oftmals auch am konkreten Lerngegenstand und lassen hierbei unser Wissen aus den Bereichen Lerntechniken, Lernstrategien und -methoden einfliessen. Es kann einesteils durchaus sein, dass die Leistungsprobleme tatsächlich durch falsche oder fehlende Lerntechniken und Ähnliches hervorgerufen worden sind; in solchen Fällen wird das Rat suchende Subjekt sein Lernverhalten aber auch relativ schnell modifizieren können. Führen jedoch diese unterstützenden Massnahmen aus den Bereichen Lerntechnik, Lernstrategien, Lernmethoden zu keiner anhaltenden Verbesserung, wird das Reflektieren in seinem zweiten Sinne wichtig. Denn dies bedeutet, dass das Problem auf einen anderen, noch unbekannten Ort verweist. Und genau dafür muss die Lerntherapeutin offen sein: Für das bislang noch Fremde, das im Rat suchenden Subjekt wirkt und seinem Lernerfolg entgegensteht. Um zusammen mit seinem Gegenüber diesem Fremden auf die Spur zu kommen, muss der Lerntherapeut sorgsam darauf achten, wie sich das Rat suchende Subjekt in der lerntherapeutischen Interaktion verhält, wie es auf Vorschläge reagiert, was es sagt, was und wie es über sich selbst spricht. Genau diese Informationen weisen nämlich den Weg zum Verstehen des Problems. Und wenn einmal erkannt worden ist, woher die Lernschwierigkeiten kommen, dann kann in der Lerntherapie auch besprochen werden, was es braucht, damit die Lernschwierigkeiten gelöst werden können oder, falls dies nicht möglich ist, wie das Subjekt zumindest besser mit ihnen umgehen kann.

      Literatur

      Eckert, Jochen; Biermann-Ratjen, Eva-Maria & Höger, Dieter (Hrsg.): Gesprächspsychotherapie. 2. Auflage. Berlin: Springer, 2012.

      Freud, Sigmund: Die Verdrängung. In: Ders.: Psychologie des Unbewussten. Studienausgabe. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1975, S. 103–118.

      Kläui, Christian: Psychoanalytisches Arbeiten. Für eine Theorie der Praxis. 3., unveränderte Auflage. Bern: Hogrefe, 2015.

      Kollbrunner, Jürg: Psychosoziale Beratung in Therapieberufen. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag, 2017.

      Metzger, Armin: Lerntherapie in Theorie und Praxis. Bern/Stuttgart/Wien: Haupt Verlag, 2008.

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