Die Kenngröße Haftzugfestigkeit impliziert die Annahme einer zentrischen Zugbeanspruchung, die senkrecht zur Grenzfläche zwischen Mauerstein und Mauermörtel angreift. Das Vorhandensein eines Biegemoments, das nur in einem Teilbereich (Zugzone) eine Zugspannung hervorruft, erfordert die Definition einer weiteren Kenngröße, genannt Biegehaftzugfestigkeit. Diese Kennwerte sind u. a. für die Biegezugfestigkeit senkrecht zu den Lagerfugen von Relevanz.
Eine Norm bzw. Richtlinie für die Prüfung der zentrischen Haftzugfestigkeit existiert nicht. Die Prüfung der Biegehaftzugfestigkeit mit dem Bondwrench-Verfahren ist in DIN EN 1052-5 [25] geregelt. In Tabelle 7 sind Versuchsdaten aus [1] zusammengefasst.
Tabelle 7. Stein/Mörtel; Haftzugfestigkeit; Prüfalter im Allgemeinen mind. 14 Tage (aus [1])
6 Mauerwerk
6.1 Allgemeines
Die Eigenschaftswerte von Mauerwerk können aufgrund seiner ausgeprägten Anisotropie und Heterogenität in Abhängigkeit der zahlreichen in der Praxis vorkommenden Mauerstein-Mauermörtel-Kombinationen sehr unterschiedlich sein und weichen zudem teilweise deutlich von denen anderer Baustoffe ab. Mauerwerk ist ein Baustoff, der sich in erster Linie für druckbeanspruchte Bauteile eignet. Die Beanspruchbarkeit auf Zug, Biegezug und Schub ist wesentlich geringer als die auf Druck. Die nachfolgenden Abschnitte enthalten eine Übersicht über die für die unterschiedlichen Beanspruchungen maßgebenden Festigkeits- und Verformungseigenschaften von Mauerwerk.
6.2 Festigkeitseigenschaften
6.2.1 Druckfestigkeit senkrecht zu den Lagerfugen
Die Druckfestigkeit von Mauerwerk senkrecht zu den Lagerfugen kann sowohl experimentell als auch rechnerisch ermittelt werden.
Die Prüfung der Mauerwerkdruckfestigkeit ist in DIN EN 1052-1 [26] geregelt.
Zur Ermittlung eines charakteristischen Wertes fk der Mauerwerkdruckfestigkeit, bezogen auf eine Schlankheit λ = 5, kann folgende Gl. (1) nach DIN EN 1996-1-1/NA [17] angewendet werden:
(1)
mit
fk | charakteristische Druckfestigkeit von Mauerwerk in N/mm2 |
K, α, β | Faktor und Exponenten, ermittelt über Regressionen (β = 0 für LM und DM) |
fst | umgerechnete mittlere Mindeststeindruckfestigkeit in N/mm2 |
fm | die der Mörtelklasse zugeordnete Festigkeit des Mauermörtels in N/mm2 |
Werte für die Parameter K, α und β sind DIN EN 1996-1-1/NA [17] zu entnehmen. Diese wurden für die gebräuchlichsten Mauerstein-Mauermörtel-Kombinationen aus zahlreichen Versuchsergebnissen von Mauerwerkdruckversuchen abgeleitet. Die umgerechnete mittlere Mindeststeindruckfestigkeit fst ergibt sich aus der Druckfestigkeitsklasse multipliziert mit dem Faktor 1,25. Bei der Mauermörtelfestigkeit fm sind DIN EN 1996-1-1/NA [17] und DIN 20000-412 [22] zu beachten.
Die Druckfestigkeit von Mauerwerk hängt nicht nur von den Festigkeitseigenschaften seiner Ausgangsstoffe ab, sondern von einer Vielzahl weiterer Parameter. Diese sind u. a. die horizontalen Verformungsunterschiede von Mauerstein und Mauermörtel unter vertikaler Druckbeanspruchung sowie die hygrische Wechselwirkung zwischen dem Wasserabsaugverhalten des Mauersteins und dem Wasserrückhaltevermögen des Mörtels. Es gibt Bestrebungen, ein Ingenieurmodell zur rechnerischen Bestimmung der Mauerwerkdruckfestigkeit unter Berücksichtigung dieser Parameter zu entwickeln.
Bild 5. Druckfestigkeit von Mauerwerk aus Kalksand-Vollsteinen und Kalksand-Blocksteinen mit Normalmauermörtel der Mörtelklasse M5 in Abhängigkeit von der Steindruckfestigkeit
Bild 5 zeigt beispielhaft anhand der Auswertung von Druckversuchen an Mauerwerk aus Kalksand-Vollsteinen und Kalksand-Blocksteinen in Kombination mit Normalmauermörtel der Mörtelklasse M5, wie unterschiedlich hoch die Druckfestigkeit von Mauerwerk im Versuch bei annähernd gleichen Steindruckfestigkeitswerten ausfallen kann. Dargestellt sind zum einen die auf eine Schlankheit der Mauerwerkwände λ = 5 umgerechneten Versuchswerte der Mauerwerkdruckfestigkeit βD,mw in Abhängigkeit der geprüften Steindruckfestigkeit βD,st einschließlich Formfaktor. Zusätzlich enthält das Diagramm die gemäß DIN EN 1996-1-1/NA [17] ansetzbaren fk-Werte in Abhängigkeit der aus der jeweiligen Steinfestigkeitsklasse umgerechneten mittleren Mindeststeindruckfestigkeit fst. Diese Gegenüberstellung von reinen Versuchsdaten und normativ geregelten, charakteristischen Festigkeitswerten verdeutlicht, dass es sich bei der Ableitung der Mauerwerkdruckfestigkeit aus den einaxialen Druckfestigkeitswerten der Einzelkomponenten Mauerstein und Mauermörtel in den meisten Fällen nur um eine sehr grobe Näherungslösung handeln kann. Die Mauerwerkdruckfestigkeit einiger Mauerstein-Mauermörtel-Kombinationen kann deutlich über den gemäß der europäischen Norm ansetzbaren Druckfestigkeitswerten liegen.
6.2.2 Druckfestigkeit parallel zu den Lagerfugen
Für die Bemessung der Druckzone biegebeanspruchter Bauteile wird die Längsdruckfestigkeit des Mauerwerks benötigt.
Diese kann in Anlehnung an DIN EN 1052-1 [26] geprüft werden. Gegenüber der Druckbeanspruchung senkrecht zu den Lagerfugen wurde die Druckbeanspruchung parallel zu den Lagerfugen jedoch bislang wenig experimentell untersucht.
Die rechnerische Bestimmung der Mauerwerkdruckfestigkeit parallel zu den Lagerfugen erfolgt nach DIN EN 1996-1-1/NA [17] mit derselben Gleichung und denselben Gleichungsparametern, die für die Bestimmung der Druckfestigkeit senkrecht zu den Lagerfugen ermittelt wurden. Statt der Steindruckfestigkeit in Richtung Steinhöhe wird diejenige in Richtung Steinlänge angesetzt. Zudem wird der jeweilige K-Faktor mit 0,5 abgemindert. Diese Vorgehensweise berücksichtigt nicht das reale Tragverhalten von Mauerwerk unter einer Druckbeanspruchung parallel zu den Lagerfugen. Bei Mauerwerk mit unvermörtelten Stoßfugen müssen die im Stoßfugenbereich wirkenden Druckkräfte durch die Lagerfugen übertragen werden. Die maximal erreichbare Längsdruckfestigkeit von Mauerwerk wird deshalb maßgeblich durch die Haftscherfestigkeit zwischen Mauerstein und Mauermörtel begrenzt. Bei Mauerwerk mit vermörtelten Stoßfugen spielt neben der Längsdruckfestigkeit der Mauersteine auch die Druckfestigkeit des Mauermörtels in der Stoßfuge eine wesentliche Rolle.
Um zutreffende Mindestdruckfestigkeitswerte von Mauerwerk parallel zu den Lagerfugen zu definieren und eine vereinfachte und auf der sicheren Seite liegende Bemessung zu ermöglichen, werden in [10] Grenzfälle – in Abhängigkeit der Versagens- und Stoßfugenausbildungsart des Mauerwerks – betrachtet und fallweise Berechnungsgleichungen definiert.
6.2.3 Zugfestigkeit
Die zentrische einachsige Zugfestigkeit ist eine wesentliche Kenngröße zur Beurteilung der Risssicherheit bei Bauteilen ohne