Burkhard Wetekam

Greifswalder Gespenster


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nicht.«

      »Du verteidigst sie, is’ klar. Bei dir schleimt sie sich auch ein. Merkst du nicht, dass sie einen Keil zwischen uns treiben will? Wenn ich könnte, dann würde ich …«

      Sylke wollte sich das nicht länger anhören. Sie tat so, als habe sie von dem Gespräch zwischen den beiden Kollegen nichts mitbekommen, klopfte an die Tür und trat im gleichen Augenblick schwungvoll ein.

      »Habt ihr schon versucht, Dirk Pölzner zu erreichen?«

      »Klar haben wir das«, gab Philipp übertrieben eilfertig zurück. »Aber er meldet sich nicht. Hat ja vielleicht seine Gründe.«

      »Sollen wir hinfahren und ihn holen?«, fragte Lisa, ebenfalls sehr dienstbeflissen.

      Sylke schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Philipp, du warst doch gestern in der Nachbarschaft unterwegs. Was haben die über Pölzner gesagt? Hat der Mann eigentlich einen Beruf?«

      Philipp hatte sich an diesem Tag für eine Banane entschieden. Während er über Pölzner Auskunft gab, machte er sich über das Obststück her. Es fiel Sylke schwer, beim Anblick des bärtigen Jungkommissars nicht an einen Schimpansen zu denken.

      »Er hatte mal einen Klempnerbetrieb«, erläuterte Philipp, »der ist aber pleite gegangen. Später hat er für andere Handwerker gearbeitet. Vor zwei Jahren musste er wegen gesundheitlicher Probleme ganz aufhören. Ist schon seit einiger Zeit Vorsitzender im Heimatverein und engagiert sich da wie blöde, neuerdings eben auch für dieses Biberschutzgebiet. Ich würde sagen, dass ihm das Anerkennung bringt, die ihm sonst fehlt. Er ist unverheiratet, hat keine Kinder und lebt bei seiner 80-jährigen Mutter. Knapp zusammengefasst: Norman Bates aus Vorpommern. Ein Sonderling mit starkem Kompensationsbedürfnis.«

      Sylke konnte sich eine spitze Bemerkung nicht verkneifen. »Gibt viele Möglichkeiten, Frustration zu kompensieren, oder? Ist jemand schon ein Sonderling, weil er sich um seine gebrechliche Mutter kümmert?«

      Philipp zuckte trotzig mit den Schultern. Er blickte Lisa an, aber seine Worte zielten zweifellos auf Sylke. »Jeder sollte wissen, wo sein Platz ist, würde ich sagen.«

      Sylke lag eine Erwiderung auf der Zunge, aber sie hielt sich zurück. So durften sie nicht weitermachen, es war nicht der richtige Weg. »Telefonier doch bitte etwas rum. Vielleicht hat jemand Pölzner heute schon gesehen. Auf den Dörfern stehen die gern mal hinter den Gardinen und gucken, was der Nachbar macht; gerade, wenn so etwas passiert ist wie gestern. Und Lisa, du könntest dir jetzt die Wohnung von Dr. Krohnhorst ansehen. Du weißt ja, wonach wir suchen: Wichtige Kontakte, Terminkalender, Hinweise auf den Streit mit Pölzner, aber auch auf Erkrankungen oder sonstige Besonderheiten.«

      Sie ging zurück in ihr Büro. Es roch wie das gesamte Gebäude noch neu, Wände und Tische waren unberührt, frei von den Kratzern und Kerben, die das Leben früher oder später in einen Ort schlug. Sie hatte das Gefühl, dass dieses Büro sie abstoßen wollte, als wäre sie ein Fremdkörper. Dass Pölzner nicht zur Vorladung erschien, bestätigte Philipps Misstrauen. Hatte sie ihn zu Unrecht ausgebremst? Wäre es doch besser gewesen, den dicken Naturschützer direkt vor Ort hart anzugehen, in der Hoffnung auf ein schnelles Schuldeingeständnis?

      Noch während sie mit aufkommenden Zweifeln kämpfte, steckte Philipp seinen Kopf durch die Türöffnung. »Pölzner wurde gesehen. Er hat vor einer Viertelstunde sein Haus verlassen und ist zusammen mit einem Mann Richtung Prägelbach gegangen.«

      »Prägelbach?«

      »Dieses Rinnsal, an dem Krohnhorst seinen letzten Atemzug getan hat.«

      »Und wer ist dieser Mann?«

      »Die Nachbarin hat ihn im Dorf noch nie gesehen.«

      »Interessant. Lass uns mal nachsehen, was die beiden da draußen zu tun haben.«

       9

      Sylke überließ es Philipp, den Wagen zu steuern. Als sie auf die Wolgaster Straße eingebogen waren und der Weg nur noch geradeaus aus der Stadt führte, hielt sie die Zeit für ein paar offene Worte für gekommen. Sie bemühte sich um einen freundlichen, aber doch verbindlichen Tonfall.

      »Philipp, ich habe den Eindruck, dass du mit meiner Vorgehensweise nicht immer einverstanden bist. Wenn du ein Problem damit hast, dann kannst du das sagen. Wir sind ein Team.«

      Der junge Kollege hielt seinen Blick auf die Straße gerichtet. Seine Miene war unbewegt. Sylke wartete einen Moment. »Willst du irgendetwas dazu sagen?«

      »Ist schon okay.«

      »Wenn es dir gegen den Strich geht, dass mir die Leitung übertragen wurde, dann kannst du das auch sagen.«

      Wieder eine Pause. Auf der linken Seite schimmerte für Sekundenbruchteile rötlicher Backstein durch Hecken und Bäume – die Klosterruine von Eldena.

      »Wie gesagt: Ist schon okay.«

      Sylke wartete, aber es kam nichts mehr. »Kannst du auch etwas anderes sagen als ›ist schon okay‹?«

      Vor ihnen rumpelte ein Tanklastfahrzeug durch Schlaglöcher. Philipp setzte zum Überholen an. Der Wagen schoss nach vorn, als er das Gaspedal durchtrat. Es war nicht ohne Risiko. Sylke musste sich beherrschen, um nicht laut zu werden. Dass er auf diese Art und Weise seinen Ärger abreagierte, war beschämend. Einschüchtern ließ sie sich aber nicht. Das hatte sie noch nie getan. »Ich habe doch gemerkt, dass du sauer bist. Das ist dein gutes Recht. Aber denk dran: In dem Moment, als uns dieser Fall angetragen wurde, hast du zurückgezogen. Das war deine Entscheidung. Du kannst dich dann nicht hinterher darüber beschweren, wenn andere dir das dann auch nicht mehr zutrauen. Ich will, dass wir gut zusammenarbeiten. Je eher du deine Vorbehalte überwindest, umso besser ist deine Chance, am Ende dieser Ermittlung die Dienstgruppenleitung zu übernehmen.«

      Philipp schnaufte. »Du willst doch, dass Lisa das macht.«

      »Ich will, dass es der Beste macht. Das sage ich auch Lisa.«

      »Aber du hast dir längst eine Meinung darüber gebildet, wer der Bessere von uns beiden ist.«

      Immerhin, dachte sie, das war ein Standpunkt. Etwas, womit man weiterarbeiten konnte. »Ich glaube, du solltest uns beiden mehr Offenheit zugestehen. Du gibst dich gern spontan und aktiv, aber im Grunde versuchst du, an einem einmal gefassten Urteil um jeden Preis festzuhalten. Es ist richtig: Ich war gestern sehr angetan von Lisa. Sie ist sofort engagiert auf die Herausforderung eingestiegen, während du damit beschäftigt warst, dich für den Vortag zu rechtfertigen. Wenn ich einen guten Eindruck von Lisa hatte, dann heißt das aber nicht, dass ich irgendein Urteil über eure Qualifikation gefällt hätte. Wirklich nicht. So schnell geht das nicht.«

      Philipp schob die Unterlippe vor und sagte nichts mehr. Sie fuhren jetzt durch kleine Dörfer, vorbei an der Abzweigung, die zum Fundort der Leiche führte, bis nach Katzow, dem Ort, aus dem Pölzner stammte. Am Ortseingang ging es scharf nach rechts, dann weiter über Feldwege. Wiesen und Waldstücke wechselten sich ab, hier und da passierten sie einzelne Gehöfte. Von Pölzner und dem Unbekannten war nichts zu sehen. Philipp wurde ungeduldig. »Hier hätten sie eigentlich sein müssen. Was sollen wir machen?«

      »Wir suchen zu Fuß weiter.«

      Eine halbe Stunde später liefen sie noch immer durch den Wald. Philipps Laune hatte sich stetig verschlechtert und Sylke bereute, dass sie keinen Mittagsimbiss eingepackt hatte. Sie ärgerte sich weniger darüber, dass sie Pölzner nicht fanden, sondern vor allem, weil sie die gesamte Aktion inzwischen für Zeitverschwendung hielt.

      Auf einer Anhöhe entdeckte sie einen Hochsitz. »Lass uns da oben Pause machen. Wir halten noch etwas Ausschau, aber wenn sich Pölzner in einer Viertelstunde nicht blicken lässt, brechen wir das Ganze ab. Soll der Staatsanwalt ihn vorladen. Dann bleibt ihm keine Wahl.«

      Sylke stieg todesmutig die etwa fünf Meter lange Holzleiter hinauf.

      »Na toll«, hörte sie Philipp sagen. Er folgte ihr wie ein unwilliger Schüler beim Wandertag. Dann saßen sie in luftiger Höhe