Burkhard Wetekam

Greifswalder Gespenster


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Rand des Radkastens. Ein klackendes Geräusch verriet, dass er dabei ein Souvenir hinterließ, einen kleinen schwarzen Kasten, der sich mittels starker Magnetkräfte am teuren Blech festsaugte.

      Tom richtete sich wieder auf, zog sein Jackett zurecht und macht sich auf den Weg zum Leihwagen. Nachdem er um einige Straßenecken gefahren war, hielt er wieder an. Er aktivierte die App für den GPS-Tracker, den er unter dem Radkasten des Porsche angebracht hatte. Das Display zeigte einen Kartenausschnitt mit dem Stadtgebiet von Anklam. Dort, wo sich der Parkplatz der Starkwind AG befand, blinkte ein roter Punkt. Tom nickte zufrieden und fuhr zurück nach Greifswald.

       6

      »Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache es kurz: Kriminaloberkommissarin Sylke Bartel war ja nun einige Tage hier, um mit Ihnen die zukünftigen Arbeitsabläufe zu trainieren. Wie sie mir berichtet hat, ist dieser Prozess noch nicht abgeschlossen. Zugleich sind wir mit einem Tötungsdelikt konfrontiert, das dringend aufgeklärt werden muss. Daher freue ich mich Ihnen mitteilen zu können, dass Frau Bartel in Absprache mit ihrer Dienststelle in Stralsund für eine kurze Zeit die Dienstgruppenleitung bei uns übernehmen wird – so lange, bis der Fall Krohnhorst aufgeklärt oder eine Aufklärung in Sichtweite ist.«

      Damit war es raus. Polizeirat Klüver, ein hölzern wirkender Endfünfziger mit dünnem Haar, blickte in die Runde. Ein gutes Dutzend Beamte waren im Raum, sie alle würden in irgendeiner Weise an den Ermittlungen beteiligt sein. Sylke war vor allem auf die Reaktion der Personen gespannt, mit denen sie eng zusammenarbeiten sollte. Da war zum einen Lisa Kaup, eine zierliche und zurückhaltende Kollegin, deren Intelligenz Sylke sehr schätzte. Sie war immer gleichbleibend freundlich, hatte aber auch etwas Geheimnisvolles – man wusste nie genau, was sie wirklich dachte. Das wiederum war nicht das Problem von Philipp Danofski. Es war ein offenes Geheimnis, dass er die Dienstgruppenleitung übernehmen und Lisa seine Stellvertreterin werden sollte. Sylke hatte Philipp spüren lassen, dass sie ihm diese Aufgabe im Augenblick noch nicht zutraute. Er erschien ihr einfach zu ungestüm und zu sehr auf sich selbst bezogen. Ihm fehlte die Distanz, der einordnende Überblick.

      Nach Klüvers Ankündigung, dass Sylke vorübergehend in Greifswald bleiben würde, drehte sich Lisa kurz zu ihr um und deutete ein Lächeln an – es wirkte bemüht, war aber immerhin eine Geste. Philipp hingegen starrte vor sich hin und knetete dabei seine Unterlippe. Seine Gleichgültigkeit war ein klares Statement. Er regte sich auch nicht, als Klüver eine kurze Pause machte, um den Anwesenden Gelegenheit für einen kurzen Begrüßungsapplaus zu geben. Es trat aber nur einen Moment betretener Stille ein, bevor der Polizeirat noch einige anspornende Worte hinzufügte, die Sylke sofort wieder vergaß. Sie stand auf, bedankte sich und erklärte, dass sie sich auf die Herausforderung freue – was der vollen Wahrheit entsprach. »Lasst uns gleich loslegen«, sagte sie. »Je zügiger wir ermitteln, umso schneller seid ihr mich wieder los.« Pause. Niemand lachte, niemand sagte etwas. Polizeirat Klüver verabschiedete sich und eilte davon.

      Nach einer kurzen Pause kam das Kernteam zu einer ersten Besprechung zusammen. Sylke nahm sich vor, sich ganz auf die Sache zu konzentrieren und alle Vorbehalte gegen ihre Person vorläufig zu ignorieren. »Wir sollten heute alle Informationen sichten, die wir bislang haben. Was liegt vor?«

      Lisa schlug ihre Mappe auf. »Zunächst zum Opfer: Dr. Roland Krohnhorst, 72 Jahre, alleinstehend. Er hat zwei erwachsene Kinder, die im Rheinland und in München leben und inzwischen benachrichtigt wurden. Krohnhorst stammt aus Köln, war in den 1990er-Jahren in leitender Funktion in der Greifswalder Kreisverwaltung tätig. Eigentlich sollte er Landrat werden, hat dann aber einen Posten im Innenministerium in Schwerin übernommen. Nach seiner Pensionierung ist er nach Greifswald zurückgekehrt. Er hat hier wohl noch viele Freunde und auch gute Verbindungen in die Politik. Soweit ich das sehe, lebt er allein und hat kürzlich eine Wohnung in einem dieser neuen Häuser in der Hafenstraße bezogen.«

      »Quartier am Ryck?«, warf einer der Beamten grimmig ein. »Da hab ich mir mal ’ne Wohnung angesehen. Nur so aus Spaß. Für die Hälfte der Miete hätte ich sie genommen.«

      Die anderen grinsten, der Einwurf schien Lisa aus dem Konzept zu bringen. Sylke nickte ihr aufmunternd zu. »Im Waldgebiet am Prägelbach, also am Fundort der Leiche, ist Krohnhorst Jagdpächter. Er ist seit fünfzehn Jahren geschieden und nicht vorbestraft.«

      »Danke Lisa. Gibt es schon Erkenntnisse zur Tat?«

      »Die Gerichtsmedizin war ja vor Ort. Die erste Einschätzung ist etwas merkwürdig: Krohnhorst hat einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf bekommen. Allerdings war das nicht die Todesursache – er ist ertrunken. Wie wir alle gesehen haben, lag er nicht im Wasser, müsste also nach seinem Tod noch bewegt worden sein. Dafür wiederum finden sich am Tatort keine Spuren. Das passt alles nicht so richtig zusammen.«

      »Ja, sonderbar. Wir müssen wohl den Obduktionsbericht abwarten. Was noch?«

      Lisa erläuterte, dass die Spurensuche vor Ort wenig ergeben habe. Im Gebüsch habe man ein Fernglas gefunden, das dort wohl noch nicht lange gelegen habe. Es befinde sich noch in der Kriminaltechnik. Erstaunlicherweise seien kaum Fußabdrücke zu finden gewesen. »Geht man nach den Fußspuren, war außer Pölzner in den letzten Tagen niemand direkt am Bachufer.«

      »Ich sag’s doch die ganze Zeit«, murmelte Philipp, der auf seinem Stuhl hing wie ein schlecht erzogener Neuntklässler. Vor ihm auf dem Tisch stand eine Brotdose mit Weintrauben, von denen er hin und wieder eine nahm und zwischen den Backenzähnen aufplatzen ließ. Sylke blickte ihn streng an. »Philipp, was wolltest du sagen?«

      Der Kriminalkommissar setzte sich umständlich auf und strich sich über den Bart. »Die Befragung von Pölzner wurde gestern von dir abgebrochen, obwohl sich Verdachtsmomente ergaben. Und jetzt kommen weitere dazu. Krohnhorst scheint etwas gegen die Ausbreitung der Biber zu haben, für die sich Pölzner einsetzt. Möglicherweise hat Krohnhorst den Biberdamm beschädigt, Pölzner hat ihn dabei erwischt, es kam zum Streit, Pölzner hat zugeschlagen. Peng. Ich habe den Herrn übrigens für morgen früh aufs Revier geladen.«

      Philipp lehnte sich wieder zurück, so, als solle sein Arbeitstag mit dieser Einlassung beendet sein. Sylke spürte, wie Wut in ihr hochstieg. Sie durfte sich hier nicht vorführen lassen, sie durfte auf solche Provokationen aber auch nicht überreagieren. ›Bleib bei der Sache‹, sagte sie sich. Sonst würde sie am Ende genau das tun, was sie Philipp vorwarf: Den Blick aufs Ganze verlieren.

      »Okay«, sagte sie gedehnt. »Dann verdichten sich ja die Hinweise, dass der Fall eine schnelle Lösung finden könnte. Sollen wir es drauf ankommen lassen und unsere Arbeit einstellen, bis wir Pölzner befragt haben?«

      Die anderen sahen sie erstaunt an.

      »Äh, nein«, sagte Lisa schließlich. »Ich denke, wir müssen im Augenblick in verschiedene Richtungen ermitteln und das alles noch mit weiteren Informationen stützen.«

      Sylke lächelte. »Danke. Ich hatte schon befürchtet, ihr habt das Denken komplett eingestellt.«

      Sie sah aus den Augenwinkeln, wie Philipp auf dem Tisch seine Faust ballte. In diesem Augenblick wurde ihr endgültig klar, dass es zwischen ihr und dem ungestümen Nachwuchskommissar noch laut werden würde. Vorläufig bemühte sie sich um einen milden Ton. »Was also schlagt ihr vor?«

      Lisa tippte mit dem Zeigefinger auf den Tisch. »Wir brauchen mehr Informationen über Krohnhorst. Familie, Freunde, vielleicht auch Konflikte aus seiner aktiven beruflichen Zeit.«

      »Korrekt. Lisa kümmerst du dich darum, dass wir in Krohnhorsts Wohnung kommen?«

      »Eine der wichtigsten Fragen wird die nach Pölzners Alibi sein. Die Glaubwürdigkeit seiner Angaben können wir besser einschätzen, wenn wir mehr über sein Umfeld wissen. Wir könnten uns in der Nachbarschaft umhören.«

      »Sehr gut, Lisa.«

      »Sind am Streit zwischen Krohnhorst und den Naturschützern noch weitere Personen beteiligt? Was genau macht dieser Heimatverein?«

      »Auch wichtig.«

      »Was ist das für ein Fernglas? Wem gehört