Burkhard Wetekam

Greifswalder Gespenster


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– warum nicht gleich zwei Hundertschaften von der Bundespolizei? Pölzner ist bislang Zeuge, nicht mehr.«

      »Ich hasse diesen Wald.«

      Sylke sah amüsiert zu ihm rüber. Mit seinem struppigen Bart und dem Rollkragenpullover unter dem Sommermantel hatte er beste Voraussetzungen für einen anständigen Waidmann. Aber manche Leute wollten ihre Bestimmung einfach nicht erkennen. Philipp nahm ihr das Fernglas aus der Hand und suchte ein weiteres Mal den Waldrand ab. »Ist doch merkwürdig, dass er zwei Tage, nachdem die Leiche gefunden wurde, mit einem Typen hier herumstreunt, den im Dorf niemand kennt.«

      »Kann Zufall sein«, sagte Sylke. »Vielleicht ein ehemaliger Kollege, dem er das Naturschutzgebiet zeigen will.«

      »Oder der Typ soll ihm helfen, Spuren zu beseitigen, die wir noch nicht gefunden haben. Die Tatwaffe fehlt ja auch noch.« Er hielt plötzlich inne. Dann sprach er weiter, ohne das Fernglas abzusetzen, im Flüsterton eines Großwildjägers. »Da sind sie. Wir haben sie.«

      Sylke wollte ihm das Fernglas abnehmen, aber Philipp hielt es fest. »Warte. Der Typ neben Pölzner ist bestimmt kein Handwerkerkollege. Lederjacke, Cordhose, Schiebermütze. Seine Tasche sieht aus wie der Ranzen meines Großvaters.«

      Sylke musste lachen. »Dein Großvater war damals sicher stolz auf seinen Ranzen. Jetzt gib mir endlich das Fernglas.«

      Philipp reichte ihr den Feldstecher. »Immerhin hat er es bis auf die höhere Schule geschafft und dann vierzig Jahre lang als Schiffsbauingenieur gearbeitet. Na ja, heute ist das auch kein sicherer Job mehr.«

      Sylke hörte nur noch mit halbem Ohr zu. Als sie die beiden Gestalten, die am Waldrand entlang stapften, endlich in voller Größe vor die Linse bekam, erstarrte sie. Das Lachen verging ihr. »Das ist ja … Scheiße. Das ist …«

      Philipp sah sie misstrauisch an. »Wie … kennst du den Vogel?«

      »Und wie ich den kenne. Ich hatte schon öfter mit ihm zu tun.«

      »Und das bedeutet was?«

      »Er heißt Tom Brauer und ist Privatermittler.« Sie schüttelte den Kopf. »Er ist unberechenbar und ziemlich eigensinnig. Leider auch nicht ganz dumm.«

      Sie stiegen die morschen Stufen vom Hochsitz ab. Sylke musste an ihre bisherigen Begegnungen mit Tom denken. Es war ja nicht alles schlecht, was sie mit ihm erlebt hatte. Sie war sogar mal etwas verliebt gewesen in ihn.

      »Wo bleibst du denn?« Philipp hatte es eilig und ging schon einige Schritte voraus. »Scheint dich ja sehr zu beschäftigen, dass dieser Tom Brauer hier rumläuft.«

      Sylke winkte ab. Sie versuchte, sich wieder auf das eigentliche Ziel zu konzentrieren. Tom war im Augenblick nicht wichtig und sie würde alles dafür tun, dass sich daran auch nichts änderte. Hinter einer Wegbiegung kamen die beiden Waldspaziergänger in Sicht. Pölzner war die Begegnung mit den beiden Ermittlern sichtlich unangenehm. Aber für eine plötzliche Umkehr war es längst zu spät, das hätte ausgesehen wie Flucht. Sylke sah, dass Tom auf den Dicken einredete. Sicher gab er ihm Tipps, wie er sich nun verhalten sollte. Trotzdem stotterte Pölzner wie ein ertappter Lausbub herum, als sie ihm gegenüberstanden. »Also, ich weiß, dass Sie mich ja gebeten hatten … ich hatte auch vor … also ich wollte …«

      Sylke beachtete ihn für den Moment gar nicht, sondern wandte sich Tom zu, in dessen Gesichtsausdruck sie Argwohn, aber auch eine gewisse Belustigung zu erkennen glaubte. »Können wir mal kurz unter vier Augen sprechen?«

      Tom sah sie beinahe mitleidig an, folgte ihr aber brav, bis sie außer Hörweite der beiden anderen waren.

      »Nanu, neues Revier, Frau Oberförsterin?«

      »Darf ich fragen, was du hier machst?«

      »Ich gehe spazieren und informiere mich über die Belange des Naturschutzes. Wusstest du, dass Biber die intelligentesten Nagetiere sind, die man sich vorstellen kann, und beim Bau von Dämmen …«

      »Tom, hör auf mit dem Mist. Wieso bist du mit dem Mann hier unterwegs – einen Steinwurf entfernt von dem Ort, an dem er vorgestern eine Leiche entdeckt hat? Wenn das Zufall ist, dann … «

      »… dann bist du Lady Gaga. Nein, keine Sorge, du musst jetzt nicht singen lernen. Und ja, du hast recht: Es kommt selten vor, dass ich mich rein zufällig so weit von meinen Heimatgewässern wegbewege.«

      »Hast du dem Pölzner eingeredet, nicht auf dem Polizeirevier zu erscheinen?«

      »Ich habe ihn nur über seine Rechte aufgeklärt.«

      »Du bringst mich hier in eine blöde Situation.« Sie sah sich zu den anderen um. Philipp redete auf Pölzner ein, der im Wald herumstand wie eine gerupfte Birke nach einem Orkan. Es war nicht gut, die beiden allein zu lassen. »Können wir uns mal unterhalten, also abseits des rein Dienstlichen?« Tom sah Sylke mit schief gelegtem Kopf an. »Klar. Immer. Gern.«

      »Ich rufe dich an«, sagte sie, während sie bereits wieder auf dem Weg zu Philipp und Pölzner war.

      »Herr Pölzner wird uns jetzt begleiten«, verkündete Philipp staatstragend.

      Sylke drehte sich noch einmal zu Tom um. Er war stehen geblieben, als wolle er mitten auf dem Waldweg zum Denkmal werden, und blickte ihnen versonnen hinterher. Seine Gelassenheit reizte sie. Merkte er mal wieder nicht, wie sehr er ihre Ermittlungen behinderte? Andererseits war es beinahe schon ein vertrautes Gefühl, den Störenfried in der Nähe zu wissen. Sie schüttelte sich innerlich. Es war ja nichts Dramatisches passiert. Trotzdem hatte sie die Begegnung mit Tom aus dem Konzept gebracht.

       10

      Lisa traf den Hausmeister auf einem der Zuwege, die den Parkplatz mit den quaderförmigen Gebäuden des Wohnquartiers verbanden. Der Mann trug einen grauen Kittel und bot ihr an, die Wohnung von Dr. Krohnhorst aufzuschließen, aber Lisa wollte auf neugierige Begleiter lieber verzichten. Sie ließ sich den Schlüssel aushändigen und erklärte dem Hausmeister, dass sie ihn anrufen werde, wenn sie fertig sei.

      Niemand machte ihr später einen Vorwurf deswegen, auch dass sie die Wohnung des Toten allein aufsuchte, wurde nicht als leichtsinnig betrachtet. Es bestand kein Grund, von einer Gefahr auszugehen. Die Tatsache, dass die Wohnungstür nicht richtig verschlossen, sondern einfach nur zugezogen worden war, hätte Lisa stutzig machen können. Aber auch dafür konnte es ja eine Erklärung geben: Einer wie Krohnhorst wischte sicher nicht selbst den Staub von den Möbeln und Fensterbänken – vielleicht hatte die Reinigungskraft vergessen abzuschließen. Bedenkenlos öffnete Lisa die Tür im fünften Stockwerk.

      Im nächsten Moment war sie hingerissen von der hellen und geräumigen Wohnung. Großflächige Fenster ließen das milde Licht einer leicht verschleierten Sonne herein. Marmorplatten im Eingangsbereich, hellgraue Teppichfelder im Wohnzimmer. Vorhänge in einem warmen Rotton, Gemälde mit Jagd- und Naturmotiven. Wenige gediegene Möbelstücke: ein antiker Schrank aus glänzend poliertem Holz, ein schwarzes Ledersofa, dazu ein Tisch mit Rauchglasplatte. Es fügte sich stilistisch nicht perfekt zusammen und regelrecht abstoßend fand Lisa die ausgestopften Tierköpfe an der Wand. Aber die Wohnung insgesamt: ein Traum.

      War sie zu sehr abgelenkt, weil sie sich vorstellte, wie es wäre, in solch einer Wohnung zu leben? Weil der Gedanke an ihre Gehaltsgruppe sie beschäftigte und auch der Brief vom Gericht, demzufolge ihr Vater wohl seit Monaten seine Stromrechnungen nicht bezahlt hatte? Sie registrierte einen kleinen Sekretär im Wohnzimmer, rötlich schimmerndes Holz, handgedrechselte Beine. Dann war da ein Schreibtisch mit eigenartig geschwungener Tischplatte. Im Schlafzimmer würde sie den Nachttisch unter die Lupe nehmen, außerdem einige Schubladen im Küchenschrank. Es war also einiges zu tun.

      Bevor sie mit der Arbeit begann, gönnte sie sich einen Abstecher auf die Dachterrasse, mindestens fünfzig Quadratmeter, mit geriffelten Holzplanken belegt. Sie bot einen herrlichen Ausblick: Ganz vorn der Ryck, gekräuseltes Grün-Blau, dahinter links die Museumswerft mit den urigen alten Segelschiffen und direkt daran angrenzend das hochmoderne Betriebsgelände der Hansewerft, das sich bis zum Rand