die übliche Praxis, nicht zuletzt vor allem bei Bauprojekten mit mehreren Parteien: Ein Bauträger kauft oder baut die Liegenschaften, bevor die einzelnen Einheiten weiterverkauft werden.
Andererseits kann, wie oben beschrieben, sich die Interessengruppe mit einer solidarischen Dachorganisation zusammenschließen, um gemeinsam das Wohnprojekt zu realisieren. Klingt spannend? Ist es auch. Diese Kollektive zeigen, wie Wohnen abseits von Profitgier und Spekulation funktionieren kann: solidarisch, gemeinschaftlich und vor allem mit leistbaren Mieten. Ein paar solcher Beispiele zeigen wir dir ab Seite 180.
Hier hat die Gruppe das Sagen: das selbstverwaltete Wohnen
Nach der Planungs- und Bauphase – also in der Wohnphase – verwaltet, organisiert und bewirtschaftet die Gruppe das Projekt selbstbestimmt. Im Zentrum eines gemeinschaftlichen Wohnprojekts stehen die von allen genutzten Innen- wie Außenräume (z. B. Gemeinschaftsräume, Spielplätze, Gemeinschaftsgärten etc.) sowie Sharing-Angebote wie z. B. Car-Sharing oder Food-Coops. Es können auch Räume geschaffen werden, die öffentlich genutzt oder anderen Vereinen und Initiativen zur Verfügung gestellt werden.
In der Selbstorganisation spielen gegenseitige Unterstützung, Solidarität, Integration, Inklusion und häufig auch Klimaschutz eine große Rolle. In diesem Sinne können solche Wohnprojekte auch als Teil der Sustainable Development Goals (SDG) aufgefasst werden. Auch in der Transition-Towns-Bewegung des britischen Permakulturisten Rob Hopkins4 spielt die Idee des gemeinschaft-lichen Wohnens in nachhaltig gebauten und solidarisch organisierten Siedlungsgemeinschaften eine große Rolle.
Jetzt fragst du dich wahrscheinlich: Wie wird das Ganze finanziert? Auch hier gibt es viele verschiedene Herangehensweisen, die zeigen, welche nachhaltigen und kreativen Lösungen es abseits von Kredithaien und Co. gibt. Näheres dazu erzählen wir dir ab Seite 177.
› So kann kollektives Wohnen aussehen. Unser Start in den Tag: mit Kaffee auf der Bauwagen-Veranda und einem guten Gespräch.
Unsere Kollektivpartner*innen: Gemeinschaften und Hofkollektive in Österreich
Du hast nun also schon einiges über Kollektive gelernt. Und du hast wahrscheinlich erkannt: Es gibt ziemlich viele Arten von Kollektiven! Vereine, Betriebe, Genossenschaften, jegliche Zusammenschlüsse unter einem gemeinsamen, solidarischen Ziel … Die Art von Kollektivität, wie wir sie leben, geht gewissermaßen noch einen Schritt weiter. Denn: Wir leben in der Gemeinschaft und bewirtschaften zusammen einen Hof. Unser kollektiver Gedanke zieht sich nicht nur durch ein bestimmtes Vorhaben, sondern ganz existenziell durch unsere gemeinsamen Ziele, unser gemeinsames Leben und Schaffen. Wir teilen uns einen Lebensmittelpunkt. Diese Art und Weise des gemeinsamen, kollektiven Lebens ist in Österreich insgesamt nicht sehr verbreitet. In der Vergangenheit gab es, vor allem im Anschluss an die 68er-Bewegung, einige Versuche. Manche existierten für ein paar Jahre.
Kommune oder Kollektiv? Was das eine (nicht) mit dem anderen zu tun hat
Der bekannteste darunter war in Österreich wohl die Otto-Muehl-Kommune Friedrichshof. Lass uns gleich zu Beginn sagen: Was dort alles passiert ist und gelebt wurde, hat sehr wenig bis gar nichts mit dem zu tun, was wir hier und heute unter Gemeinschaft verstehen. Es würde zu weit führen, darauf im Detail einzugehen. Mit (vermutlich) besten Absichten versuchten die damaligen Menschen in kollektiven Zusammenhängen Schritte zu setzen, die mit dem vorherrschenden System brechen wollten.
Im Verlaufe ihres fast 20-jährigen Bestehens entfernte sich die Kommune von diesem ursprünglichen Gemeinschaftsgedanken, bis Muehl selbst eine immer destruktivere Herrschaft über das Projekt ausübte. Letztlich wurden gegen ihn zahlreiche Vorwürfe erhoben, er wurde strafrechtlich verurteilt. Wer Näheres dazu erfahren möchte: Zu diesem Thema kann ich einen sehr interessanten, kritischen Dokumentarfilm empfehlen: In „Meine keine Familie“5 berichtet der Regisseur Paul-Julien Robert von seinem Aufwachsen und Leben inmitten der Kommune.
Was wir dir damit jedenfalls und ganz klar verdeutlichen möchten: Wir wollen uns von dem Wort Kommune ganz bewusst abgrenzen. Nicht zuletzt, da dieser Begriff durch solche gescheiterten Beispiele aus der Vergangenheit wie die Otto-Muehl-Kommune stark gefärbt wurde. Sehr viele, vor allem Menschen älterer Generationen, assoziieren dieses Wort sofort damit, was damals und dort passiert ist.
Stattdessen verwenden wir die Bezeichnung Kollektiv: Sie bezieht sich auf eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, gleichwertiges Stimmrecht, Konsensentscheidungen. Hier gibt es keinen Guru an der Spitze. Es ist ein Ausdruck, der sich vor allem in der anarchistischen Bewegung durchgesetzt hat. In dieser verorten auch wir uns. Das Hofkollektiv ist demnach ein Kollektiv, das einen Bauernhof bewohnt und bewirtschaftet.
Diese Bezeichnung hat sich für ähnliche Orte wie das Wieserhoisl in Österreich im Moment durchgesetzt. Synonym dazu wird der Begriff Gemeinschaft verwendet. Als Kommune bezeichnen sich unseres Wissens keine aktuellen oder neuen Projekte – eben weil dieser Begriff im Verlaufe der Zeit eine bestimmte ungünstige und auf uns und andere nicht zutreffende Konnotation erhalten hat.
Anarchie in … wenigen Worten erklärt
Es gibt viele Missverständnisse dazu, was der Begriff Anarchismus wirklich bedeutet. Viele denken, wenn sie das Wort Anarchist*innen hören, an Umstürzler*innen, die die Welt ins Chaos befördern möchten. Das ist nicht korrekt, zumal sich der Begriff primär auf eine ideologische Ebene bezieht und eine friedvolle Umsetzung jeder gewaltvoll-aktionistischen Herangehensweise vorzieht. Anarchismus bezeichnet eine bestimmte politische Philosophie, die davon ausgeht, dass jegliche Art von Hierarchie die Menschen in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt und somit unterdrückt. Gefordert werden eine Aufhebung hierarchischer Strukturen und damit eine hohe Selbstverantwortung der Individuen. Anhänger*innen des Anarchismus stehen also für Gleichheit, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung ein. Sie verurteilen den staatlich sanktionierten kapitalistischen Konkurrenzkampf eines „Jede*r gegen jede*n“, der soziale Ungerechtigkeiten fördert und eine kleine Elite immer reicher werden lässt, während die Mehrheit zunehmend verarmt.
Longo maï – unsere Wegweiser und Wegbegleiter
Die einzige Gemeinschaft, die es seit der Zeit der Alternativbewegungen in den 1970er-Jahren in Österreich noch immer gibt, ist ein Kollektiv, das Teil der weltweit tätigen Gemeinschaft Longo maï ist. Diese wurde 1973 in Basel gegründet. Die erste Kooperative entstand in der französischen Provence. Aus der Regionalsprache Provenzalisch stammt auch der Name für die Initiative. „Longo maï“ bedeutet so viel wie: Es möge lange dauern. Heute gibt es insgesamt 10 Kooperativen mit rund 200 Mitgliedern, die weltweit in 5 Ländern tätig sind: in Frankreich, der Schweiz, Deutschland, Österreich, der Ukraine und in Costa Rica. Sie sind alle über eine gemeinsame Stiftung verbunden und kooperieren in verschiedenen Bereichen miteinander. Einmal jährlich findet eine Vereinsversammlung statt. Zusätzlich zum Vorstand gibt es eine Finanzkommission, bestehend aus Mitgliedern aus den unterschiedlichen Kooperativen, diese trifft sich 3-mal jährlich.
Der Hof Stopar im kärntnerisch-slowenischen Bad Eisenkappel zählt zu den ältesten Longo-maï-Höfen. Das Kollektiv wurde im Jahr 1977 gegründet und feiert somit sein 45-jähriges Bestehen. Die Menschen am Hof Stopar waren für uns das greifbarste Beispiel einer Gemeinschaft in jener Form, die auch wir uns wünschten, vor allem in den Anfangsjahren. Und sie haben uns seit jeher unterstützt: Da gab es einen regen Austausch von Wissen und gegenseitiger Hilfe sowie gemeinsame landwirtschaftliche und politische Aktionen und Workshops. Inspiriert von ihren Erfahrungen schufen wir dann unser eigenes System.