Weg auch im Hinblick auf finanzielle Aspekte. Wir haben zwar persönlich kein Eigentum angehäuft in den Jahren. Gemeinsam haben wir aber doch so einiges an Besitz: Autos, Maschinen, Infrastruktur, Produktionsmittel, Direktkredite (Seite 178) für Projekte von Freund*innen.
All das würde jede*r Einzelne von uns, mit demselben Lebensstil und Einkommen, nie besitzen. Gemeinsam tun wir das aber! Wir haben Zugang zu einer Fülle von Ressourcen, ohne sie persönlich erworben zu haben. Und auch auf immaterieller Ebene profitiert jede*r von uns von einer Vielzahl an Aktivitäten, auch wenn er*sie nicht direkt etwas damit zu tun hat.
Was ein Leben im Kollektiv wirklich bedeutet
Was auf der einen Seite das Schöne an der Gemeinschaft ist – nämlich die Menschen –, hat natürlich auch eine Kehrseite. So viel steht fest: Bei einer größeren Ansammlung von Menschen, die gemeinsam leben und entscheiden, kommt es immer wieder zu konfliktreichen Situationen.
Dabei kann es um gemeinsame Vorstellungen gehen, um persönliche Befindlichkeiten oder einfach um den tagtäglichen Alltagstrott, in dem mensch sich in die Quere kommt. Es kann beunruhigend sein, wenn der gemeinsame Weg nicht so eindeutig ist. Oder wenn mensch sich einsam fühlt inmitten einem Kreis von nahestehenden Menschen. Wenn mensch sich nicht gehört oder verstanden fühlt, wenn das Gefühl entsteht, dass die anderen nicht so agieren, wie mensch es sich nach seinen*ihren persönlichen Bildern und Idealen vorstellt. Dann verliert die Gruppe an Stärke. Dann stehen manchmal vereinzelte Individuen nebeneinander.
Wir sind stark, wenn jede*r in sich stark ist und wenn wir in guter Beziehung mit uns selbst und jedem*jeder einzelnen Bewohner*in stehen. Und alle zusammen als Gruppe funktionieren. Das bedeutet viel Beziehungsarbeit mit uns selbst und allen anderen.
In den ersten Jahren war sehr viel unserer Energie nach außen gerichtet: auf Aktionen, Veranstaltungen, es waren ständig viele und andere Menschen da, die uns besuchen kamen. Gruppendynamiken und -prozesse und innere Befindlichkeiten waren Begleiterscheinungen, die irgendwie mitliefen.
Je länger wir aber im Kollektiv zusammenwohnten, desto mehr richtete sich unser Blick nach innen. Das Wohlbefinden und der psychische Zustand eines*einer jeden wurden wichtiger. Gruppenprozesse wurden bewusster wahrgenommen und behandelt. Es stand immer mehr im Mittelpunkt, wie es dabei allen geht. Denn das Kollektiv ist das, was jedes Mitglied ist und einbringt. Wenn es dem*der Einzelnen gut geht und es ihnen miteinander gut geht, dann geht es auch dem Kollektiv gut. Diese Momente sind wunderbar, wenn alle ausgeglichen und happy sind und wir uns alle gut miteinander verstehen.
In vielen Momenten zwickt es jedoch bei irgendwem irgendwo. Das muss gar nicht mit dem Leben im Kollektiv selbst zu tun haben. Manchmal fühlt mensch sich nicht ganz rund, hat ungeklärte Lebensfragen in sich oder findet einfach alle blöd. In solchen Momenten probieren wir, uns gegenseitig, soweit es uns möglich ist, zu unterstützen, und versuchen, uns geduldig und verständnisvoll beim Durchmachen solcher Situationen zu begleiten. Zum Glück sind es alles Phasen, die einander abwechseln, kommen und wieder gehen. Die permanente, achtsame und bewusste Auseinandersetzung mit den Beziehungen untereinander und mit sich selbst gehört dabei zu den essenziellen Voraussetzungen.
Ein harmonisches Ganzes? Das Kollektiv von außen betrachtet
Das Kollektiv selbst ist mehr als nur die Summe seiner Einzelteile. Es wächst zu einem eigenen Wesen, das Zuwendung, Administration und Leitung braucht. Wenn die Bewohner*innen (also die Einzelteile) das Gefühl bekommen, dass das Kollektiv-Wesen seine eigene Richtung eingeschlagen hat oder der Gruppe über den Kopf wächst, muss es wieder in seine Einzelteile zerlegt werden. Denn Entwicklungen, die sich unbeabsichtigt ergeben, hinter denen aber niemand wirklich steht, oder die im Grunde alle überfordern, können und sollen bewusst in die gewünschte Richtung angepasst werden. Dann heißt es, einzelne Aspekte zu überdenken, Altes, nicht mehr Dienliches abzulegen und sich für Bewährtes wieder bewusst zu entscheiden. Es gilt, eine offene Haltung und Motivation zu kultivieren und voranzutreiben, aus der Neues entstehen kann, das unserem Weg förderlich ist.
Ich glaube, das, was vom Hofkollektiv Wieserhoisl von außen oft wahrgenommen wird, ist dieses Kollektiv-Wesen. Es ist etwas Harmonisches, Einträchtiges, Ausgeglichenes, etwas, das stark zusammenhält. Ein Ort und Menschen, mit denen mensch sich wohl fühlt. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass wir als Gruppe auch dann als angenehm und wohlwollend wahrgenommen werden, wenn es gleichzeitig intern ganz schöne Spannungen und Konflikte gibt. Das mag an unserem Grundsatz des respektvollen Umgangs miteinander liegen. Oder an der Existenz des angenehmen, wohlwollenden Wesens, das wir miteinander geschaffen haben.
Ja, wir haben uns für einen gemeinsamen Weg entschieden. Dabei durchlaufen wir auch immer wieder tiefe Stimmungstäler. Es gab schon Situationen, da hat uns der Mut verlassen. Aber: Wenn es gut läuft oder wir zusammen eine schwierige Situation überstanden haben, dann ist das Hochgefühl umso intensiver, umso bestätigender. Dann wissen wir, warum wir uns für diesen gemeinsamen Weg entschieden haben. Weil es ein unglaublich starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit und Verbundenheit ist, das uns erfüllt.
Komm und begleite uns (ein Stück)
Mit diesem Buch möchten wir einen Einblick in unsere Geschichte und unseren Werdegang geben. Wir möchten davon erzählen, welche Handlungsmöglichkeiten wir für uns gefunden haben, um das konsumorientierte, neoliberale und individualistische „Business as usual“ zu durchbrechen – und stattdessen einen anderen, gemeinsamen Weg einzuschlagen.
Ganz nach dem Motto, das auf einem Plakat in unserer Küche hängt: „Resistance of the heart against business as usual“. Wir sind also mit ganzem Herzen bei der Sache. Unser Widerstand entspringt aus unserem tiefsten Inneren.
Was wir dir noch mitgeben möchten: Wir möchten damit keinesfalls eine Schablone bieten. Unsere Geschichte, unser Lebensentwurf erhebt keinen Anspruch darauf, die Lösung für alle und alles zu sein. Dinge, die für uns super funktioniert haben oder an denen wir gescheitert sind, können sich für dich, deine (zukünftigen) Mitbewohner*innen und überhaupt für andere Menschen und andere Konstellationen ganz anders gestalten. Wir möchten dir einfach zeigen, wie wir es machen, und dir dabei die Augen für diese Art von Lebensentwurf öffnen, dir den ein oder anderen Aha-Moment bescheren oder dir einfach eine dicke Portion Inspiration mitliefern. Mit der du dann anfangen kannst, was du möchtest.
Was mensch auch nicht vergessen darf: Wir haben damit nichts Neues erfunden. Vielmehr entdecken wir bereits von anderen Gelebtes für uns neu und passen es an unsere Bedürfnisse an. Probieren aus. Schreiten fragend voran. Begleite uns ein Stück durch die Geschichte des Hofkollektivs Wieserhoisl. Lache, schmunzle, staune. Lass dich inspirieren!
Das Ende unserer Träume war der Beginn unseres neuen Lebens – unsere Entstehungsgeschichte
Die Idee, in einer Gemeinschaft, selbstbestimmt und eingebunden in die Kreisläufe der Natur zu leben, schwirrte schon lange in unseren Köpfen herum. Letztendlich war die Gründung des Hofkollektivs Wieserhoisl für uns irgendwie eine logische Sache. Eins führte zum anderen. Wir hatten Landwirtschaft studiert, wir lieben die Natur, interessieren uns für unsere Umwelt und lernten auch immer mehr darüber, wie sehr sich unser Klima verändert.
› Unser Zuhause: ein gemütliches, traditionelles weststeirisches Bauernhaus.
Wir beobachteten, dass die sozialen Ungerechtigkeiten in der Welt immer größer werden und dass ein individualisierter, konsumorientierter Lebensstil nicht mit einer nachhaltigen Entwicklung einhergeht. Wir waren jung und lebten in Wohngemeinschaften in der Stadt. Und was wir wollten, war, gemeinsam am Land zu leben und Landwirtschaft zu betreiben.
Wir