Peter Empt

Hull Storys


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fünfhundert Meter von der Bellman-Reederei entfernt. Robert entschloss sich, durch die Hafenanlagen zu Fuß zu seinem Schiff zurückzugehen. Gegen 16.30 Uhr traf er George Bennon in der Schiffsmesse. Er bat George in seine Kapitänsunterkunft und berichtete vom Verlauf des Gesprächs mit Bellman und Blocker. George wirkte erleichtert und bedankte sich knapp, aber herzlich, bei seinem Kapitän.

      Robert ließ die anwesende Mannschaft in die Messe beordern. Er teilte die neueste Entwicklung mit, bedankte sich bei allen und kündigte an, dass morgen, am 30. April, mit Beginn der dritten Tagwache, das Kommando an den neuen Kapitän, George Bennon, übergeben werde, und er dann das Schiff verlasse.

      Der Maat (Vorarbeiter der Mannschaft) bedankte sich im Namen der Mannschaft. Er fand einige kernige Worte der Anerkennung für Kapitän Finnly und stellte unter fröhlichem Gejohle der Kameraden die Frage: „Kapitän Finnly, ist eine Abschiedsparty vorgesehen?“

      Robert antwortete: „Männer, feiert nicht den Abschied von mir, sondern den Neuanfang mit Käpten Bennon. Ich übertrage euch hiermit das Kommando über die Gestaltung der Feierlichkeiten des Kommandowechsels und sponsere das mit 600 Dollar!“ Anerkennendes Gegröle! Jetzt war es 18.00 Uhr. Es entstand heftige Betriebsamkeit und zwei Stunden später glänzte die Beluga 3 festlich erleuchtet und geschmückt. Die Entwicklung dieser Festlichkeit machte schnell die Runde und nahm noch nie in Hull gesehene Dimensionen an. Die Seeleute der umliegenden Schiffe strömten in Richtung Liegeplatz der Beluga 3, brachten Getränke und Speisen mit, ein riesiger Grill wurde auf der Pier angefeuert, auf dem wie aus dem Nichts zwei Lämmer bräunten. In Windeseile sprach sich das Ereignis auch in der Stadt herum und gegen 22.00 Uhr erschienen etliche Liebesdienerinnen aus der Stadt auf dem Festgelände. Bereits um 19.00 Uhr telefonierte Robert mit der Polizei in Hull und kündigte ein Spektakel an, das nicht mehr abzuwenden sei. Er bat die Verantwortlichen, das Ereignis wohlwollend zu beobachten und zu beschützen.

      Gegen 23.00 Uhr brüllte der Beluga-Maat durch ein Mikro, dass jetzt die Bordband der Beluga-Musik zum Tanz spiele, da inzwischen die schönsten Frauen der Stadt anwesend seien.

      Die B3 lag mit der Steuerbordseite an der Pier. Hinter dem niedrigen Schanzkleid, etwa in der Mitte des Schiffes, hatten die B3-Männer Musikverstärker aufgebaut und Instrumente platziert.

      Der Maat drängte Robert, seine Bassgitarre einzustöpseln und mitzuspielen.

      Darauf hin bat Robert George Bennon, das Ganze im Auge zu behalten, und nahm in der zusammengestoppelten Musikformation Platz mit seiner Bassgitarre. Mit Drums, Bass, Gitarre, Banjo, Akkordeon präsentierten die Männer das, was sie in etlichen Freiwachen auf See einstudiert hatten. Die Stimmung stieg, die Getränke gingen zur Neige. George Bennon sprach den Polizeisergeant an und bat um Hilfe. Die Polizei solle bitte Getränke in der Stadt holen und cash bezahlen. Er drückte dem Sergeant 200 Dollar und eine Bestellliste in die Hand.

      Der Sergeant wusste nicht, wie ihm geschah: „Wieso wir, die Polizei?“

      Bennon argumentierte: „Meine Leute haben keine Fahrzeuge und dürften auch nicht mehr fahren. Ihr wisst, wo man Getränke kaufen kann. Euch überlassen die Händler gegen Cash auch um diese Zeit noch Getränke, weil ihr es als,notwendig‘ erklärt!“ Der Sergeant nickte, ergriff Dollars und Warenzettel, gab Befehle und fünfunddreißig Minuten später war der Nachschub unter riesigem Beifall an der B3.

      Robert fand die Idee genial, bei seinen Hobbymusikern mitzuspielen, er wurde nicht weiter zum Alkoholgenuss genötigt und es bestand für ihn die Aussicht, seinen ersten Tag in „Freiheit“ mit einem klaren Kopf zu beginnen. Gegen 4.00 Uhr kroch er weitgehend nüchtern in seine Koje.

      2.

      Um 9.00 Uhr am folgenden Tag, dem 30.04, tätigte Robert mit seinem Smartphone einige Telefonate:

      Mit Barnie O’Brian, dem Hafenmeister in Westchapel-Harbour, klärte er seine Abholung per Boot gegen 13.00 Uhr.

      Conchita Hernandez erreichte er nach etlichen Versuchen zu Hause bei ihrer Tochter Mercedes in Westchapel. Die alte Dame war lange Jahre Haushälterin im Boganson Cottage und seine Ersatzmutter gewesen und jetzt fragte Robert, ob sie das Haus heute noch provisorisch bewohnbar machen könne? Sie fiel aus allen Wolken angesichts dieser Entwicklung, freute sich gleichzeitig über das Wunder der „Rückkehr eines verlorenen Sohnes“!

      Ja, sie werde das gemeinsam mit ihrer Tochter hinbekommen!

      Seiner Cousine Susan van Daelen, Geschäftsführerin der „DF Shipyard, Hull“ (van Daelen&Finnly Werft, Hull), verkündete er die Rückkehr und das Ende seiner großen Seefahrt. Susan war so überrascht, dass sie zunächst nichts sagen konnte. Die Stimmung zwischen den beiden Finnlys war nie die beste gewesen.

      Schließlich sagte Susan in anklagendem Ton: „Du weißt, dass Grandpa und Grandma nicht mehr da sind!“

      Ja, Robert wusste es. An den Beerdigungstagen war er mit der B3 auf hoher See gewesen und hatte nicht anwesend sein können, hatte das seinen Verwandten aber nicht mitgeteilt.

      Susan weiter: „Am 10. Mai findet in unserem Kontor die Testamentseröffnung statt. Da du in Hull bist, wirst du eine schriftliche Einladung erhalten. Wo wirst du wohnen?“

      „Im Boganson-Cottage!“, erklärte Robert.

      Susan merkte an: „es wäre sinnvoll, wenn wir uns vorher sehen und uns abstimmen könnten!“

      „Ja, das sollten wir machen. Ich werde mich in den nächsten Tagen melden!“, versprach Robert.

      13.20 Uhr erschien Big Boulder, Fischer aus Westchapel mit einem Hafen-Dinghy. Während Big Roberts persönliche Sachen, die schon auf der Pier standen, in das Dinghy lud, verabschiedete Robert sich von jedem Crewmitglied per Handschlag. Er schaute in müde, traurige Augen, es wurde nichts mehr gesprochen. Dann fuhr Big das Dinghy aus dem Hafen hinein in den St. Andrew Golf, bog ab nach Westen, Richtung Westchapel.

      Die Fahrt dauerte eine gute Stunde. Big, knapp zwei Meter groß und 110 Kilogramm schwer, war ein Freund aus Roberts Jugendzeit.

      Er schaute Robert an, grinste wie ein Honigkuchenpferd, fragte: „Hast du Scheiße gebaut?“

      „Nein, ich habe keinen Bock mehr auf dicke Hochseeschiffe und das langweilige Herumfahren zwischen immer denselben Häfen!“, erklärte Robert.

      „Aha, und was machst du jetzt?“

      „Weiß noch nicht.“

      „Bleibst du in Chapel?“

      „Vorerst ja.“

      Sie bogen nach Süden in die Bucht von Westchapel und passierten die Hafeneinfahrt. Robert genoss das Bild seiner Heimat aus Kindertagen:

      Die fast halbrunde Pier, belegt mit Fischerkuttern und einigen Dinghys.

      Voraus, die „Chapel“ stand etwas erhöht, mit fünf aufwärts gehenden Treppenstufen.

      Rechts davon, das historische Rathaus von Westchapel.

      Links davon, das „Chapel-Inn“, der einzige Pub in Westchapel.

      Auf der rechten, westlichen Seite der Hafenbucht der Fähranleger, dahinter der Store von Raffaela Conte, weiter rechts die kleine Reparaturwerft, ein Genossenschaftsbetrieb der Fischer, oben auf dem Inselkopf, 185 Meter über dem Meeresspiegel, der Leuchtturm „Hull West Fire“.

      Auf der linken, östlichen Seite der Hafenbucht: das erste Haus, direkt am St. Andrew Golf, das „Boganson-Cottage“.

      Weiter im Halbrund Richtung Pub, Cottages mit Bootsliegeplätzen vor den Häusern.

      Zwischen dem Bogen der Pier und den Häuserlinien ein geräumiger Platz, gepflastert mit Natursteinen, darauf zwei Reihen mit mächtigen Platanen.

      Das Dinghy schwenkte nach links zum Anleger vor Boganson-Cottage. Der Bootsschuppen rechts neben dem Haus stand offen. Robert nahm dort den Schiebekarren heraus und darauf luden sie sein Gepäck. Robert verabschiedete Big, bedankte sich und schob den Karren zum Haus.

      Conchita kam Robert entgegen, als er zum