Peter Empt

Hull Storys


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Wenn du mal einen Tag, nur einen Tag, nichts zu futtern kriegst, Phil, geht dein Lichtlein aus wie eine vom Wind ausgeblasene Kerze!“

      Phil hielt dagegen: „Ich bekomme jeden Tag etwas zu essen. Ich brauche keine Reserven. Mir reicht zum Beispiel ein Stück Fisch in Daumengröße zum Leben!“

      Big: „Und, wie stellst du das an, jeden Tag, du Däumling, hahaha?“

      Phil: „Ein Stückchen Fisch erhalte ich an jeder Haustüre!“

      Big: „Und, wie lange soll das funktionieren?“

      Phil: „Das funktioniert immer, denn ich gebe den Menschen etwas zurück!“

      Big: „Das wäre?“

      Phil: „Das Gefühl, dass ich ihnen dankbar bin, dass ich ehrlich bin, dass ich sie achte. Ich bin ein reicher Mensch im „Sein“. Im „Haben“ bin ich dafür ein armer Mensch!“

      Big dröhnte: „Zum Donnerwetter, jetzt höre sich einer dieses Gefasel an. Das ist typisch der Philosoph, den versteht kein Schwein!“

      Phil: „Eben!“

      Diese letzte feine Spitze hatte Big nicht verstanden.

      Big: „Was soll der ganze Scheiß? Komm, Phil, wir hauen uns ein Stündchen hin!“

      Beide verabschiedeten sich.

      Robert schaute Frank fragend an. Dora bog sich vor Lachen.

      Frank informierte: „Big ist hier der einzige Fischer, der nicht der Genossenschaft beigetreten ist. Er wollte frei bleiben, wie er sagte. Phil fand das gut und schloss sich als zweiter Mann auf dem Kutter an!“

      Robert meinte: „Aber Phil kann doch kaum mehr als zwanzig Kilogramm in jeder Hand heben?“

      Frank: „Ja, das stimmt, aber Phil ist ein Fuchs im Aufspüren von Edelfischen, die die beiden übrigens an Langleinen fangen!“

      Robert: „Und was machen die mit ihrem Fang?“

      „Sie verkaufen den Fang täglich hier im Ort vom Kutter aus, immer so gegen elf Uhr!“

      „Was sagt der Bürgermeister dazu?“, fragte Robert.

      „Josh und Raff schauen freundlich weg!“, meinte Frank.

      Robert bedankte sich bei Dora und Frank und ging nach Hause in sein Boganson-Cottage.

      6.

      Später, gegen Abend, rief er wie versprochen seine Cousine Susan an.

      Susan, kurz angebunden: „Die Testamentseröffnung findet nächste Woche, am 10. Mai, in unserem Kontor statt! Ich rate dir dringend vorab zu einem Abstimmungsgespräch!“

      „Ja, Susan, ich sagte dir doch bereits, dass ich ein Vorabgespräch richtig finde. Bitte mach einen Terminvorschlag!“

      Susan: „Am kommenden Montag, den 5. Mai, 15.00 Uhr, bei uns!“

      Robert: „O. k., ich werde da sein!“

      Der Tag endete mit angenehmer Temperatur. Rötlich leuchtendes Abendlicht erzeugte eine feierliche Atmosphäre auf dem Sund.

      Robert dachte: „Ich möchte einmal im Sund schwimmen, wie in meiner Kindheit. Das würde sich wie ein wenig „Nach-Hause-Kommen“ anfühlen!“

      In Badeshorts und mit Badetuch ging er in den verwilderten Garten an der Ostseite des Hauses zu der Badestelle, an der sein Grandpa Knuth ihm das Schwimmen beibrachte. Er war vier oder fünf Jahre alt gewesen. Es befand sich dort noch ein Fleckchen Gras. Er legte das Badetuch aus, setzte sich und schaute. Gegenüber sah er die Sund-Promenade von Hull-City. Einzelheiten konnte er wegen der Entfernung von etwa tausend Metern ohne Fernglas nicht ausmachen. Die Abbruchkante des Karstplateaus über der Stadt leuchtete in rosa Farbtönen. Küstenschiffe fuhren in der stadtnahen Fahrrinne von West nach Ost und umgekehrt. Bei schwachem Südwestwind vernahm Robert das leise Wummern der Schiffsmotoren. Möwen gab es zur Abendstunde keine am Sund. Die Fischer hatten ihr Tagewerk beendet.

      Vorsichtig ließ er sich in das Wasser gleiten. Es roch frisch, schmeckte salzig und war wärmer als vermutet. Er schwamm etwas in den Sund hinaus, eine Strömung war kaum spürbar. Ein Glücksgefühl ließ Robert genüsslich erschauern.

      Am folgenden Tag, Samstag, erschien gegen 10.00 Uhr Conchita und begann mit der Hausarbeit im Boganson-Cottage. Robert fühlte, dass er hier jetzt nicht richtig am Platz war und ging hinüber zum Bürgermeisterhaus.

      Josh O’Bready telefonierte in seinem Büro. Mit freundlicher Miene winkte er Robert einzutreten.

      Josh, Mitte sechzig, war ein alter Bekannter. Er war von stämmiger Statur, trug dichtes schwarzes, etwas grausträhniges Haar. Er war verheiratet, hatte mit seiner Frau drei jetzt erwachsene Kinder, wahrscheinlich auch Enkelkinder.

      Mit sonorer Stimme begrüßte er Robert: „Hi, du alter Tramper! Haben wir dich endlich wieder zu Hause?“

      Robert grinste: „Vorläufig ja!“

      „Wieso vorläufig?“

      „Nächste Woche ist bei Finnlys Testamentseröffnung, ich muss sehen, was sich ergibt!“

      „Hast du noch keinen Plan?“

      „Weißt du, Josh, meine Wurzeln habe ich hier in Chapel. Ich gehöre hier hin, ich will hierhin zurückkommen! Mein Gefühl sagt: „Wenn ich das Finnly-Erbe annehme, werde ich wahrscheinlich wieder in die unternehmerische Mühle der Finnlys geraten. Die Finnly-Werft ist ein Segen für unser County, zweifellos! Aber ich muss etwas anderes machen. Zurzeit weiß ich nicht, was, also lasse ich die Dinge auf mich zukommen! Ich überlege ernsthaft, das Erbe nicht anzunehmen. Am kommenden Montag spreche ich mit meiner Cousine vorab darüber!“

      Josh nickte verstehend: „Wir kennen uns schon lange Robert. Ja, ich glaube, dass es für dich so richtig ist!“

      Robert nickte mit dankbarer Geste.

      Er fragte: „Warum hast du die Doppelfunktion Reverend und Bürgermeister, Josh?“

      „Du weißt, ich bin gelernter Geistlicher. Aber hier in unserer kleinen Kommune konnten sie weder einen Reverend noch einen Bürgermeister bezahlen. Raffaela, die vor, ich glaube, 17 oder 18 Jahren zu uns kam, machte auf einer öffentlichen Gemeindeversammlung den Vorschlag, beide Ämter in die Hand einer Person zu geben. Den Vorschlag, die Ämter mir zu geben, brauchte sie nicht zu machen, der kam spontan aus der Versammlung!“

      Robert meinte: „Raffaela Conte scheint eine dominante Person zu sein. Weißt du, woher sie kam und warum?“

      „Sie kam mit zwei Kindern, ohne Mann. Offenbar verfügte sie über ein gut gefülltes Konto! Ich würde sie nicht dominant, sondern engagiert beschreiben. Jedenfalls genießt sie das volle Vertrauen der Bevölkerung. Den Store und das Wohnhaus hat sie von den alten Bloombergs auf Rentenbasis gekauft und den Warenwert des Stores bar bezahlt. Sie scheint keine Ambitionen zu haben, sich an einen Mann zu binden. Ihr Sohn Emilio studiert Nautik in Hull und ihre Tochter Claudia besucht die Highschool!“

      Robert erinnerte sich: „Dora erwähnte, dass Claudia mit einer Farmerstochter aus Eastchurch befreundet ist, die Drums spielt.“

      „Ja, die beiden Mädels kennen sich von der Highschool!“

      Robert verabschiedete sich von Josh und ging nach Hause. Conchita hatte ihre Arbeiten erledigt und ging zufrieden zurück zu ihrer Familie.

      Robert überlegte, was er zum Pub-Abend im Westcorner anziehen sollte. Er wählte eine Jeans, Turnschuhe, ein helles T-Shirt und eine schwarze Lederweste, dazu eine helle Hull-Cap.

      Nachdem er etwas Brot und Käse gegessen hatte, ging er gegen 19 Uhr hinüber zum Fähranleger. Donald McCancie grüßte ihn aus dem Steuerhaus, er hatte Fährdienst bis Mitternacht. Dann würde Lena Malinowski übernehmen bis 4 Uhr am Sonntag. Die Fähre war gut besetzt mit Chapel-Einwohnern, die wahrscheinlich auch die Musikveranstaltung im Westcorner-Inn besuchen wollten und Touristen,