Peter Empt

Hull Storys


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Besuch der Hull-Weststadt, ganztags

      Mittwoch: Termin in der Musikfakultät der UNI, mittags bis abends

      Donnerstag: Termin mit Reverend O’Bready von 11 bis 12 Uhr

      Freitag: Testamentseröffnung in der DF-Werft, ganztags

      Samstag: offen

      Sonntag: offen

      Conchita lud Robert für Sonntag zum Essen ein. Robert bedankte sich und sagte zu. Ihm war bewusst, dass Conchitas Familie an Neuigkeiten interessiert war. Das verstand er gut und er hatte ja versprochen, die Familie auf dem Laufenden zu halten.

      Der Hull-Sunday bestand geschätzt zu achtzig Prozent aus Anzeigenwerbung. Im Veranstaltungskalender fand Robert die „Hull-City-Rollers“ mit einem Auftritt im Story-Ville, Mittwoch, 29. Mai angezeigt. Er staunte, wer im Story-Ville auftrat, erhielt damit den Ritterschlag als etablierte Größe in der Hull-Öffentlichkeit.

      Robert verstand jetzt, dass die Rollers dringend einen Bassisten benötigten. Bei dem Gedanken, mit den Rollers im Story-Ville auftreten zu können, lief ihm ein angenehm kalter Schauer über den Rücken.

      Während seiner Seefahrtzeit hatte er an die tausend Samplings in den verschiedensten Musikrichtungen gesammelt und diese mit seinen Bassinstrumenten immer wieder bespielt. Ein gutes Gehör für Musik und eine ausgefeilte Basstechnik waren das Ergebnis. Auch spielte er bei mehrtägigen Hafenaufenthalten in Jazzformationen als Bassist. Er würde am Mittwoch zur Übungssession seine eigene E-Bassgitarre mitnehmen, eine Rickenbacher 4003 FG.

      Die Hull-Sunday enthielt auch eine Werbeanzeige der DF-Werft. Es wurden Dinghys von zehn bis dreißig Fuß Länge angeboten (ein Fuß entspricht etwa dreißig Zentimetern).

      Im Hull Country wurden Dinghys gleichbedeutend mit Autos benutzt, denn das Kanal- und Wasserverkehrsnetz war gut ausgebaut, sowohl für den fließenden als auch für den ruhenden Bootsverkehr. DF-Dinghys waren hochwertig, das wusste Robert, aber auch hochpreisig. Er musste möglichst bald ein Dinghy anschaffen, um seine Mobilität zu verbessern.

      Spät am Abend legte Robert die Hull-Sunday beiseite und ging schlafen.

      8.

      Robert erwachte gegen sieben Uhr am Montag, dem 5. Mai. Das Geräusch von Schiffs- und Bootsmotoren im Chapel-Harbour klang wie vertraute Musik in seinen Ohren. Eine neue Arbeitswoche lag vor den Menschen im Hull-Country. Am Himmel zeigten sich Schönwetterwolken, die im Zusammenspiel mit der Sonne fantasievolle Licht- und Schatteneffekte auf der Sundoberfläche erzeugten.

      Robert empfand Anspannung in Erwartung des heutigen Gespräches mit seiner Cousine Susan.

      Er pflegte sich, wählte eine konservative zivile Kleidung mit Anzug, Hemd und Krawatte, ging ohne Frühstück zum Fähranleger. Frühstücken wollte er in der Stadt, nachdem er sich erkundigt hatte, wie sein Termin in der DF-Werft mit öffentlichen Bootsverkehren sicher einzuhalten war.

      Am Steuer der Fähre stand Don. Sie begrüßten sich durch Handzeichen, während das Ablegemanöver die volle Aufmerksamkeit des Kapitäns erforderte. Auf halber Strecke zum Westcorner blickte Robert zurück, in die südliche Westbay. Im Frühdunst sah er den Teil des Inselkopfes, der von Boganson-Cottage aus nicht sichtbar war. Grau-schwarz stiegen Klippen fast senkrecht aus der Westbay auf zum Leuchtturm. Zahlreiche Seevögel kreisten vor der Steilwand.

      Am Westcorner Pier verließ Robert die Fähre kurz vor 9 Uhr und schaute zum Westcorner-Inn. Der Pub war nicht geöffnet. Es war zu früh! Dann fiel ihm ein, dass der Pub montags geschlossen war. Er ging zu den Wassertaxi-Liegeplätzen und erkundigte sich nach Fahrmöglichkeiten und Fahrzeiten. Es gab eine Wasserbuslinie, die in Westhull einen Rundkurs in Endlosschleife fuhr.

      Damit konnte Robert zum Central Place gelangen und von dort einen Wasserbus nehmen, der den Eastchannel bis in die East-Bay befuhr. Die DF-Werft lag am südlichen East Boulevard.

      Robert stieg in den Westhull-Wasserbus zum Central Place. Er freute sich darauf, die Stadt in aller Ruhe vom Boot aus betrachten zu können. Es ging am Sund-Pier vorbei an der Stadtlinie, die er von Boganson-Cottage aus morgens im Frühdunst als flache Linie erkannte.

      Der Sund Boulevard war dicht besetzt mit Schiffsbedarfsgeschäften, kleineren Supermärkten, Pubs und Bordellhäusern (das Anschaffen auf Straßen und Plätzen im Hull-Country ist untersagt). Die Pier war fast vollständig mit Arbeitsschiffen und Yachten aller Klassen und jeden Alters belegt.

      Die Einfahrt vom Sund in den Central-Channel überspannte eine weite Bogenbrücke mit einer Durchfahrthöhe von acht Meter. Sie verband die Weststadt mit der östlichen Stadt. Auf der rechten, östlichen Seite des Central-Channel reihten sich Bankhäuser, Handelszentralen, Reedereien aneinander. Auf der linken westlichen Kanalseite zweigten etwa alle 200 Meter Stichkanäle in die westliche Stadt ab. In diesem Stadtgebiet gab es extravagante Villen mit Gärten und vornehme Stadthäuser.

      Der Central-Place, ein weitläufiger Platz mit einer ellipsenförmigen Grundfläche, beherbergte als dominantes Gebäude die St. Andrew Cathedral gegenüber der Einmündung des Central-Channels, das Rathaus, das Opernhaus, das Story-Ville, Museen und Hotels.

      Ein kreisrundes Hafenbecken, der „Circle“, in Platzmitte bildete den Kanalknotenpunkt der Stadt.

      Das Story-Ville, ein Rundbau im klassizistischen Baustil, befand sich auf dem Eckpunkt Central-Channel und West Channel. Auf der gegenüberliegenden Seite, am Eingang zum West Channel, lag das Hotel-Restaurant „Amiral“.

      Robert erreichte den Central-Place gegen 11.30 Uhr. Der Wasserbus zur Eastbay fuhr alle dreißig Minuten und benötigte eineinhalb Stunden. Grob gerechnet blieben bis zu seinem Termin, 15.00 Uhr, etwa zwei Stunden. Zeit genug, hier am Central-Place in Ruhe ein Frühstück einzunehmen. Das Amiral bot eine schöne Außengastronomie am Central-Place mit Blick auf den Circle. Robert wählte einen schattigen Platz, von dem aus er das geschäftige Treiben um sich herum beobachten konnte. Das Frühstück wählte er mit Toast, Ham and Eggs und warmen Bohnen in Tomatensauce, dazu Tee.

      Gegen 13 Uhr erschien an seinem Tisch ein elegant gekleideter Herr, Alter etwa sechzig Jahre, mit lichtem, schwarzem Haupthaar. Er lächelte und stellte sich vor: „Antonio Romani, ich bin der Eigentümer des Amiral. Bitte verzeihen Sie, neuen Gästen unseres Hauses stelle ich mich persönlich vor. Darf ich fragen, ob Sie sich wohlfühlen bei uns?“

      Robert reagierte etwas überrascht: „Ja, sehr angenehm, Mr. Romani! Aber woher wissen Sie, dass ich ein neuer Gast bin?“

      „Mein Personal hat Anweisung, mir jeden Gast sofort zu zeigen, der erstmalig gesehen wird. Und glauben Sie mir, wir haben uns noch nie geirrt!“

      Robert lächelte anerkennend. Antonio Romani wirkte natürlich freundlich, Robert war er sofort sympathisch.

      Er stand von seinem Platz auf, reichte Romani die Hand und stellte sich vor: „Robert Finnly, Bürger im Hull-Country seit Anfang Mai. Bitte nehmen Sie doch einen Augenblick Platz, Mr. Romani!“

      Antonio Romani, angenehm berührt, setzte sich zu ihm.

      Er sagte: „Wissen Sie, Mr. Finnly, ich bin zum Inventar dieser Stadt geworden, jeder kennt mich. Von meinen Gästen werde ich Antonio genannt. Es würde mich freuen, wenn auch Sie bald zum Kreis der vertrauten Personen gehören.“

      „Sehr gerne, Mr. Romani!“ Robert berichtete von sich und seiner zurzeit ungewissen Zukunft. Es machte ihm nichts aus, diesem doch eigentlich fremden Menschen seine Situation zu schildern. Romani berichtete von sich, seiner Familie und dem Gastronomiebetrieb, er war, wie Robert auch, völlig offen.

      Robert schaute auf die gewaltige Turmuhr von St. Andrew und erschrak. Es war fast 14 Uhr, zu spät für eine Fahrt mit dem Wasserbus. Romani bemerkte sein Schreckmoment und fragte nach. Robert erklärte ihm das Problem. Romani winkte einen Angestellten heran und gab Anweisungen in italienischer Sprache. Dann sagte er lächelnd: „Mr. Finnly, das Problem lösen wir gemeinsam. Warten Sie bitte ein paar Minuten!“ Romani bat ihn, ihm zu folgen. Sie gingen zur Pier und einige Minuten später legte ein schickes Dinghy mit Amiral-Werbung