Peter Empt

Hull Storys


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einzunehmen. Ein Lieferservice brachte asiatische Speisen. Es herrschte eine steife Stimmung, als sie mit dem Essen begannen. Robert erwähnte, dass sein Grandpa Knuth bemerkenswerte Ideen zu seinem Dinghy gehabt hatte. Dick bestätigte das und brachte seine Freude darüber zum Ausdruck, dass dieses Dinghy jetzt wieder in der Hand der Familie sei.

      9.

      Susan hatte nachdenklich geschwiegen: „Robert“, sagte sie, „ich bin beunruhigt über das Ergebnis unserer Absprachen! Bitte erkläre uns deinen Erbverzicht!“

      „Das Thema wollte ich nicht mehr zur Sprache bringen, weil es euch und mich schmerzt. Ist es nicht besser, einen Schlussstrich zu ziehen?“

      „Noch nie haben wir über die Ereignisse zwischen der Finnly-Familie und dir von deiner Seite, aus deiner Sicht etwas erfahren. Für uns ist es vergleichbar mit einem Puzzle, in dem noch ein wichtiger Baustein fehlt!“, erwiderte Susan.

      „Dann Susan, müssen wir in der Rückschau weit ausholen. Ich bin in der Boganson-Familie aufgewachsen, praktisch ohne Vater und Mutter. Den Verlust meiner Eltern konnte ich im Alter von fünf Jahren weder emotional noch verstandesmäßig wahrnehmen, denn ich habe sie nicht gekannt. Stattdessen lebte ich mit meinem Großvater Knuth, einem liebvollen Menschen, und meiner Ersatzmutter, Conchita Hernandez, eine einfache ebenfalls liebevolle Frau auf Hull-Island in einem Dorf. Ich erlebte eine schöne Kindheit, meiner Meinung nach mit allem, was ein Kind benötigt. Meinen Großvater Jonathan Finnly sah ich bis zum zwölften Lebensjahr nur wenige Male hier im Finnly-Stammhaus. Die Finnlys lebten in einer fremden Welt, die mich ängstigte. Jedenfalls war ich immer froh, wenn ich nach Westchapel zurückkehrte. Als ich mit zwölf Jahren die Elementary-School beendete, müssen die beiden Großväter eine Einigung darüber erzielt haben, dass ich von nun an mein Leben in der Finnly-Familie fortsetzen sollte.

      Ich zitiere aus dem Gedächtnis Grandpa John: „Jetzt, mein Junge wechselst du in die Highschool. Es ist besser für dich, wenn du bei uns lebst. Hier kannst du dich besser entwickeln!“

      Als zwölfjähriger Junge verstand ich diese Worte als Anordnung, der man nicht widerspricht.

      „Hier war ich gut untergebracht, es fehlte mir an nichts, außer Nähe und Wärme zu Menschen in meinem neuen Umfeld. Doch ich hatte auch Glück! Grandma Emy gab mir zweifellos Liebe und Wärme.

      Grandpa John empfand ich als harten, aber wirklich interessanten Menschen. Er baute Boote von A bis Z, komplette Boote! Das faszinierte mich! Ich fand schnell heraus, wie ich die Gunst meines Grandpa John erwerben konnte. Ich verbrachte meine Freizeit ausschließlich in der Werft bei Grandpa. Mutter Natur hatte mich begünstigt mit guter Lernfähigkeit. In der Highschool gab es fast nur beste Noten für mich und bei Grandpa in der Werft begriff ich schnell und war handwerklich geschickt. Ich wurde, glaube ich, der Lieblingsenkel von Grandpa John. Aber da ich mich aus Zeitmangel an keiner Freizeitaktion meiner Mitschüler beteiligte, geriet ich in den Ruf, ein Sonderling zu sein. Mobbingversuche wehrte ich mit ziemlich brutalen Methoden ab. Als Folge ließen sie mich in Ruhe und ich entwickelte mich zum Außenseiter. Westchapel besuchte ich sporadisch. Meine Beziehungen zu den Menschen dort verkümmerten allmählich. Conchita hatte ein kostbares Pflänzchen in mir entwickelt: die Liebe zu Musik! Im Finnly-Haus wurde dieses Pflänzchen unterdrückt, so glaube ich heute. Mein echtes Interesse am Schiffbau lebte ich als Schüler aus, indem ich mit etwa 16 Jahren bereits produktiv in der Werft mitarbeitete. Grandpa John bezahlte meine Arbeit, obschon ich gar nicht darum gebeten hatte. Ich, der seltsame Finnly, trug in der Schule moderne Klamotten, besaß ein kleines Motor-Dinghy. In der Sportgruppe „Leistungssegeln“ gewann ich jede Regatta. Das war eine Zeit, in der ich mich im Erfolg sonnte. Dass ich vereinsamte, fiel mir nicht auf. Kein Mädchen interessierte sich für mich. Das führte ich darauf zurück, dass ich selbst meinte, mich nicht für Mädchen zu interessieren!“

      Für Grandpa John und mich war es selbstverständlich, dass ich Schiffbau studierte. Ich glaube, er sah mich zu der Zeit schon als technischen Leiter einer aufstrebenden Finnly-Werft!

      Während des Schiffbaustudiums kam mir der Gedanke, dass es auch reizvoll sein müsste, Schiffe zu steuern und dabei die Länder der Kontinente kennenzulernen. Unbedarft trug ich solche Ideen Grandpa John vor. Gebetsmühlenartig vertrat er die Meinung, dass Schiffebauen der kreative Teil der Seefahrt und Schiffesteuern im Vergleich etwas Minderwertiges sei. Inzwischen hatte ich mir im Alter von etwa 21 Jahren eine eigene Denkweise zugelegt. Die Ansichten von Grandpa John zweifelte ich an. Heimlich begann ich parallel zum Schiffbaustudium ein Nautikstudium. Als ich das Schiffbaudiplom in der Hand hatte, ging Grandpa John davon aus, dass ich sofort Vollzeit in der Werft arbeite. Jetzt musste ich ihm eröffnen, dass ich noch ein Nautikstudium machte. Zum ersten Mal sah ich ihn zornig. Er war außer sich vor Zorn. Wir sprachen mehrere Tage nicht miteinander. Dann machte Grandpa einen Vorschlag. Ich sollte in der Finnly-Werft mit vollem Gehalt eingestellt werden und das Nautikstudium zu Ende bringen. Darauf ging ich ein. Es begann eine intensive, kreative Zusammenarbeit mit meinem Onkel Henric. Die Werft schien in Quantensprüngen vorwärtszukommen. Wir arbeiteten wie besessen und staunten, dass die Finnly-Werft international ins Gespräch kam. Das Nautikstudium hatte ich erfolgreich beendet. Mit etwa 25 Jahren spürte ich, dass etwas nicht mit mir stimmte. Ich steuerte auf ein Burnout zu. Die Ursache konnte ich mir nicht erklären. Grandpa ließ mich psychotherapeutisch behandeln. Mir wurde empfohlen, weniger zu arbeiten. Das war aus meiner Sicht undenkbar (außer meiner Arbeit hatte ich nichts). Immer öfter musste ich die Büros, in denen ich arbeitete, für kurze Zeit verlassen. Öffentliche Auftritte bei Schiffbausymposien, in denen ich über unsere Schiffstechnik referieren sollte, verursachten mir Zittern und Schweißausbrüche.

      Ich bekam das Gefühl, dass ich mir selbst helfen musste. Bei der Bellman-Reederei bewarb ich mich um einen Offiziersposten auf einem der Schiffe. Als ich eine Zusage erhielt, eröffnete ich Grandpa, dass ich nicht wie bisher weitermachen konnte. Ich glaube, es war die größte Enttäuschung seines Lebens. Es entstand nachhaltige Missstimmng zwischen uns. Mit 27 Jahren trat ich die Stelle eines Dritten Offiziers an. Inzwischen hattest du, Susan, dein BWL-Studium beendet. Du warst mit Dick verheiratet. Ihr wart beide in der Firma. Dick, das hatte ich gesehen, war als Ingenieur voll in das Geschäft integriert und kam mit seinem Schwiegervater gut zurecht.

      Ich fühlte keine moralische Verpflichtung, in der Finnly-Werft zu verbleiben.

      Mit dreißig Jahren übernahm ich als Kapitän mein erstes Schiff, einen Trampfrachter von Bellman.

      Nun sind wir hier angekommen in der Geschichte. Warum ich jetzt der großen Seefahrt Ade sage, ist schwer zu erklären. Ich trage die Gene meines Vaters und meiner Mutter in mir. Diese Genkonstellation scheint ein nachhaltiges Arbeiten an einer Linie nicht vorzusehen.

      Deshalb ist es für euch und für mich das Beste, wenn wir voneinander lassen.

      Susan schwieg lange. Sie sagte: „Das ist deine Version der Geschichte, Robert. Sie klingt glaubwürdig! Wir haben unterschiedlichste Versionen gehört und nie gewusst, was wirklich vorgefallen ist. Dein Vorschlag ist der einzig vernünftige, das sehe ich ein!“

      10.

      Es wurde gemeldet, dass das Dinghy fertig an der Pier liegt. Robert konnte mit dem letzten Tageslicht das Dinghy nach Westchapel steuern. Sie verabschiedeten sich. Robert ließ die Motoren an, steuerte am East Boulevard entlang in den East-Channel und fuhr zum Central Place. Hier bog er ab in den Central-Channel und von dort steuerte er über den St. Andrew Sund Richtung Westchapel. Er spürte ein Glücksgefühl, das dem eines Kindes gleicht, das unverhofft ein wertvolles Geschenk erhält: das Dinghy eines Grandpa Knuth!

      Inzwischen hatte die Dunkelheit eingesetzt. Robert machte das Dinghy am Boganson-Liegeplatz fest.

      Am folgenden Morgen frühstückte Robert nicht zu Hause, denn er beabsichtigte heute bei Antonio im Amiral vorbeizuschauen, seine ausstehenden Schulden vom Vortag zu begleichen und auch hier wieder das Frühstück einzunehmen. Etwa um 10 Uhr ging er sorgfältig gekleidet zum Dinghy und nahm es bei Tageslicht noch einmal in Augenschein. Es zeigte geringe Gebrauchsspuren, technisch und optisch war es in einem guten Zustand. Die Überdachung des Vorderbootes hatte verhindert, dass der Steuerstand vom Morgentau so nass war wie