Stefanie Gislason

Der Ruf der wilden Insel


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      Vorsichtig, auf kein unnötiges Geräusch bedacht, näherte sie sich dem Bett und zog den Stuhl heran.

      Es schien Martin sehr anzustrengen, seine Augen zu öffnen, als Kristín mit ihrer Hand zärtlich über seine, inzwischen eingefallene, Wange fuhr.

      „Hallo Pabbi.“, begrüsste sie ihn leise.

      Er lächelte schwach, als er sie erkannte.

      Dann schlossen sich seine Augen wieder.

      Kristín liess sich in den Stuhl sinken, der neben dem Bett stand und betrachtete ihren Vater lange.

      Seine Atmung ging gleichmässig, war jedoch stets von einem rasselnden Geräusch begleitet.

      Der Anblick ihres Vaters in diesem Krankenbett brach ihr das Herz.

      Dieser einst so starke und stolze Mann wirkte so verloren in diesem Gewirr aus Schläuchen und Maschinen.

      Erneut spürte sie, wie ihre Augen brannten, wie ihr Körper gegen die Tränen kämpfte, doch dieses Mal verlor sie den Kampf.

      Unaufhaltsam bahnten sie sich ihren Weg über ihre Wangen, benetzten den Kragen ihrer Bluse.

      Kristín legte die Hände vor das Gesicht und liess es geschehen.

      Sie weinte still.

      Sie wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, als sie plötzlich die Hand ihres Vaters auf ihrem Bein wahrnahm.

      Federleicht und kaum zu spüren.

      „Kristín.“

      Seine Stimme war rau, unsicher.

      „Du bist da… Das… das ist schön.“

      Ein schlimmer Husten schüttelte seinen Körper und sie sprang auf, um ihn zu stützen.

      „Du musst dich schonen, Pabbi. Schlaf doch noch ein wenig.“

      Kam es ihr nur so vor oder rasselte sein Atem mehr als vorhin?

      „Nein, lass mich!“, rief er lauter, doch wieder schüttelte ihn ein Hustenanfall.

      „Nein…“, sprach er dann sanfter, als er sich wieder in die Kissen sinken liess und schenkte ihr einen liebevollen Blick.

      „Schlafen kann ich später noch genug.“

      Sie wollte protestieren, doch er hob warnend die Hand und brachte sie so zum Schweigen.

      „Lass mich… bitte. Es gibt noch etwas, was du wissen musst. Etwas, was ich dir schon vor vielen Jahren hätte sagen sollen.“

      Kristín holte Luft, um etwas zu erwidern, doch ein langer Hustenanfall ihres Vaters liess ihre Gedanken in Vergessenheit geraten.

      Leichte Panik erfasste sie, als dieser nicht enden wollte.

      Ohne zu Überlegen hatte sie bereits der Schwester gerufen und versuchte verzweifelt, ihrem Vater das Atmen zu erleichtern.

      Die grauhaarige Frau erfasste die Situation sehr schnell, als sie das Zimmer betrat und begann rasch und mit ruhiger Hand an all den Maschinen und Medikamentenbeuteln Änderungen vorzunehmen.

      Tatsächlich dauerte es nicht lange und der Husten klang ab.

      Der Atem ihres Vaters wurde wieder ruhiger, entspannter.

      Erschöpft liess er sich in die Kissen zurücksinken.

      Kristín sah die Krankenschwester fragend an.

      Doch diese schüttelte nur traurig den Kopf und wies mit einer leichten Handbewegung auf all die Medikamente um sie herum.

      Sie stand bereits wieder bei der Tür.

      „Sie rufen mich erneut, wenn Sie etwas brauchen?“

      Dann war sie schon wieder verschwunden.

      „Kristín.“

      Die Stimme ihres Vaters war leise, das Sprechen schien ihn sehr anzustrengen.

      „Kristín, bitte hör mir zu.“

      Er ergriff ihre Hand mit seiner und drückte sie schwach.

      Die junge Frau betrachtete den Mann vor sich, der sie bittend ansah und versuchte sich an einem Lächeln, doch es gelang ihr nicht wirklich.

      Also legte sie ihre andere Hand auf seine.

      Die Hand ihres Vaters war eiskalt.

      Und wo war nur sein starker Händedruck geblieben?

      Wo war der starke Mann von früher?

      Seine einst schwarzen Haare, waren schon seit Jahren von mehr und mehr silbernen Fäden abgelöst worden.

      Doch seit er mit den Chemotherapien begonnen hatte, waren sie komplett ausgefallen.

      Sein ehemals rundes Gesicht wirkte eingefallen und seine Haut war fahl.

      Dadurch kamen seine Falten erst recht zur Geltung und liessen ihn älter erscheinen, als er eigentlich in Wirklichkeit war.

      Seine Augen, die erst kürzlich noch voller Leben gestrahlt hatte, sahen sie nun müde und stumpf an.

      Ihr Vater hatte nie zu den schlankesten Männern gehört, aber durch die ganzen Behandlungen hatte er stark an Gewicht verloren und wirkte nun in diesem Bett unglaublich zerbrechlich.

      Warum war ihr das alles nicht schon früher aufgefallen?

      Hatte sie die Anzeichen denn nicht bemerkt?

      Doch weiter kam Kristín mit ihren Grübeleien nicht, denn plötzlich wurde sie sich dem Blick ihres Vaters bewusst.

      Er lächelte schwach.

      „Kannst du dich noch an dein Verbot für den Dachboden erinnern?“

      Sie nickte bestätigend.

      Natürlich konnte sie das.

      Warum fragte er ausgerechnet jetzt danach?

      Seine Augen blickten zum Fenster, als wäre er mit seinen Gedanken weit weg.

      Lange Zeit war es still im Zimmer, nur der regelmässige Piepston war zu hören, bevor ihr Vater sich ihr wieder zuwandte.

      „Dann bitte ich dich nun, nachzusehen.“

      Seine Augen schlossen sich einen Moment erschöpft, dann sah er sie eindringlich an.

      „Bitte, Kristín… Versprich mir, dass du auf den Dachboden gehen wirst!“

      In seiner Stimme schwang Hoffnung mit.

      Und so nickte sie.

      „Ich verspreche es dir, Pabbi. Aber sagst du mir auch, woher der plötzliche Sinneswandel kommt?“

      Seine Augen richteten sich erneut in die Ferne und er antwortete ihr lange nicht.

      Dann wandte er ihr wieder den Kopf zu.

      Er suchte ihren Blick regelrecht und hielt krampfhaft ihre Hand fest, die noch immer in seiner lag.

      „Ich habe ein Geheimnis…“, begann er und schluckte schwer.

      Doch Kristín unterbrach ihn leise.

      „Das weiss ich doch schon längst, Pabbi.“

      „Bitte…. Lass mich ausreden. Unterbrich mich nicht. Es ist wichtig.“

      Er rügte sie nicht, seine Worte waren nur als Bitte formuliert, doch sie senkte beschämt und betreten den Kopf.

      Ihre Hand wurde erneut schwach gedrückt, damit sie ihn wieder ansah.

      Ihr Vater lächelte schwach, ehe er von Neuem begann.

      „Ich habe ein Geheimnis…“

      Er schwieg einen Moment, es war ihr, als würde er Kraft sammeln.

      „.. und es wird Zeit, dass du es erfährst.“

      Verwirrung