Stefanie Gislason

Der Ruf der wilden Insel


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trank einen grossen Schluck Kaffee.

      „Hast du gut geschlafen?“

      Neugier stand in seinem Blick.

      Offenheit.

      Warum war er hier bei ihr?

      Sass mit ihr am Tisch und frühstückte seelenruhig?

      Warum half er ihr?

      Einer unbekannten Frau… Ohne Ziel und ohne Plan?

      Doch sie traute sich nicht, ihn zu fragen.

      Aus Angst, dass er ihr keine Antwort geben würde.

      Sie alleine liess.

      Ohne diesen bärtigen Mann, der seine Augen nicht von ihr liess, als er den letzten Schluck seines Kaffees trank und noch immer auf ihre Antwort wartete, wäre sie vollkommen verloren.

      Sie tastete unbemerkt nach dem Foto und atmete deutlich leichter, als sie es fand.

      Ein leichtes Lächeln erschien in ihren Mundwinkeln.

      „Überraschend gut, danke der Nachfrage. Und du?“

      Er lachte leise.

      „Ich bin daheim. Dann schlafe ich immer gut.“

      Sein Blick huschte über ihren Teller, zu ihrer Tasse und schliesslich lag er prüfend auf ihr.

      „Können wir los?“

      Kapitel 11

      Nach anfänglichen Startschwierigkeiten tuckerte der alte Suzuki auf den Strassen dahin, während Halli immer wieder zu einer Geschichte ausholte.

      Er wurde nicht müde, ihr die Natur und ihre Wunder zu erklären.

      Deutete einmal links, dann wieder rechts aus dem Auto.

      Und Kristín hörte ihm staunend wie ein kleines Kind zu.

      Fasziniert von seiner Stimme, seiner Begeisterung und der spürbaren Liebe zu diesem Land und seinen Leuten.

      Die anfängliche Furcht bei der Fahrt durch den Tunnel, der unter dem Meer durchging, geriet in Vergessenheit, als Halli ihr geduldig erklärte, wie er entstand.

      Fast machte es den Anschein, als wäre er es gewesen, der damals den ersten Spatenstich tat.

      Seine Augen strahlten, während er sprach.

      Und da war sie wieder.

      Diese Anziehung, die sich Kristín nicht erklären konnte.

      Doch bevor sie sich weiter damit befassen konnte, blendete das Tageslicht die junge Frau regelrecht.

      Sie hatten das Ende des Tunnels erreicht.

      Was sie sah, verschlug ihr die Sprache.

      Zu ihrer linken Seite erstreckte sich ein Fjord.

      Die Sonne spiegelte sich in seiner Oberfläche und rückte ihn so ins perfekte Licht.

      Noch nie hatte sie so etwas gesehen.

      Diese Weite.

      Diese Schönheit.

      Ein leises Lachen holte sie in die Gegenwart zurück.

      „Gefällt dir, was du siehst?“

      Halli zwinkerte ihr zu.

      Er wusste um die Magie dieses Augenblickes.

      „Das ist Island, Kristín.“

      Mit diesen Worten wandte er sich wieder der Strasse zu, lenkte das Auto zielsicher auf seinem Weg weiter und überliess sie ihren Gedanken.

      Island.

      War es das, was ihren Vater immer wieder von ihr weg auf den Dachboden zog?

      Dieses Island?

      Diese Natur?

      Diese Weite?

      Erneut wanderte ihr Blick über das Wasser.

      Und so etwas wie Verständnis huschte über ihr Gesicht.

      „Hattest du Fernweh oder Heimweh, Pabbi?“

      Ihre Stimme war nur ein Flüstern, mehr für sich selbst, als für andere Ohren bestimmt.

      Halli schien nichts davon mitbekommen zu haben.

      Er war zu beschäftigt damit, das Radio in Gang zu bekommen.

      Leise, unverständliche Worte verliessen seinen Mund, während er immer wieder an den Knöpfen auf dem Armaturenbrett herumdrückte.

      „Na los.. komm schon. Lass mich jetzt bloss nicht im Stich...“

      Und als hätte das Auto dies verstanden, erklang plötzlich ohrenbetäubende Musik durch die Lautsprecher.

      Kristín wie auch Halli zuckten zusammen, ehe er die junge Frau entschuldigend ansah und die Lautstärke massiv herunter drehte.

      Sanfte Klänge erfüllten nun die Luft und begleiteten sie auf der weiteren Fahrt.

      Als der Suzuki auf die Schotterpiste abbog, bemerkte Kristín erst, wie ruhig es im Auto war.

      Sie warf einen Blick auf die Rückbank und erkannte staunend, dass alle Flaschen, der ganze Abfall, verschwunden war.

      „Du hast ja wirklich aufgeräumt.“, lachte sie, als sie sich wieder dem Fahrer zuwendete.

      Dieser hob stolz sein Kinn, die Augen jedoch weiterhin konzentriert auf die Strasse gerichtet.

      „Natürlich.“, brummte er abwesend.

      Dann trat er überraschend auf die Bremse, wich geschickt einem Schlagloch aus und nutzte den kurzen Zeitraum, um die junge Frau intensiv anzusehen.

      Ein Blick, der ihr durch und durch ging.

      „Ich habe es schliesslich versprochen, Kristín.“

      Da war ein Unterton in seiner Stimme, der ihr nicht entging.

      Doch bevor sie nachfragen konnte, erreichten sie die Einfahrt eines Hofes und Halli sprang regelrecht aus dem Auto.

      Kapitel 12

      „Hallgrímur?“

      Eine Frau stand in der Tür eines alten Bauernhofes.

      Die Hand schützend über ihre Augen haltend, versuchte sie herauszufinden, wer zu Besuch erschien.

      Ihr Kopftuch flatterte im Wind, als sie einige Schritte auf den Suzuki zuging.

      „Hekla!“

      Seine tiefe Stimme bekam einen solch zärtlichen Unterton, dass Kristín sich fragte, in welcher Beziehung diese Frau wohl zu ihm stand.

      Ihr Lachen war so frei und offen und in ihren Augen war eine intensive Wärme, als sie zu dem grossen Mann aufschaute.

      Gleichzeitig spiegelte sich Unglauben in ihrem Gesicht.

      Als könnte sie nicht fassen, dass der Isländer wirklich vor ihr stand.

      „Hallgrímur...“

      Ihre Hand hob sich zu seiner Brust, doch ehe sie weiter kam, hob er sie kurzerhand in die Luft und wirbelte sie im Kreis.

      Ihr glückliches Lachen hallte über den Hof.

      Kristín betrachtete dies alles in leichter Entfernung.

      Da war ein kleiner Stich.

      Irgendwo in ihr drin.

      Doch sie liess ihrem Kopf keine Zeit, sich damit auseinander zu setzen.

      Beherzt trat sie einen Schritt nach vorn und streckte der unbekannten Frau ihre Hand hin.

      „Hallo. Ich bin Kristín. Ich komme