Stefanie Gislason

Der Ruf der wilden Insel


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      Erneut knallte Halli seine Tür zu, setzte sich zurecht und startete dann den Motor.

      Dann lenkte er den Suzuki auf einen Parkplatz und kam dann um das Auto herum auf ihre Seite.

      Wie ein Gentleman hielt er ihr die Hand hin.

      Seine Hand war gross und rau, als er ihr aus dem Auto half und hielt sie einige Sekunden länger als nötig.

      Dann ging er eilig voraus und sie betraten gemeinsam den Supermarkt.

      Kapitel 5

      Als sie wieder ins Auto einstiegen, war jeder mit einer Tüte vollgepackt, die zum Bersten gefüllt war mit Kleinigkeiten, bei denen Halli angemerkt hatte, die müsste sie unbedingt einmal in Island gegessen haben.

      Kristín war so belustigt über die Art, wie er sie durch den Supermarkt lotste, dass sie mit einem leichten Lächeln auf den Lippen alles in den Einkaufswagen packte, was er ihr begeistert in die Hand drückte.

      Jetzt sassen sie beide draussen im Auto, jeder eine Flasche Limonade zwischen die Beine geklemmt und bissen hungrig in ihre belegten Brote.

      „Was hältst du davon…“, schmatzte Halli, schluckte geräuschvoll und spülte mit einem Schluck Limonade nach, ehe er sich ihr zuwandte.

      „… wenn wir unsere erste Nacht in Reykjavík verbringen?“

      Kristín verschluckte sich beinahe an ihrem Sandwich, als ihr die Zweideutigkeit dieses Satzes bewusst wurde.

      Als sich ihr Hustenanfall wieder beruhigt hatte, begegnete sie dem schelmischen Blick des Isländers.

      „Unsere erste Nacht?“, lachte sie und trank erneut einen Schluck aus der Flasche.

      „Werden denn noch viele folgen?“

      Sie bemerkte die Verlegenheit in Hallis Gesicht, als er ihr antwortete.

      „Ich kann es dir nicht sagen, Kristín. Kommt darauf an, wie schnell wir deine Schwester finden. Und auch wo genau sie hier auf Island lebt.“

      Er suchte ihren Blick.

      „Du hast wirklich keine weiteren Hinweise? Nur dieses Foto?“

      Kristín schüttelte traurig den Kopf.

      „Nein, leider nicht. Nur die Namen Sigrún und Guðrún und dieses alte Foto.“

      Sie war sich im Klaren darüber, dass sie die Namen völlig falsch aussprach, schliesslich hatte sie keinerlei Kenntnisse über die isländische Sprache, aber der Isländer verstand sie trotzdem.

      „Sigrún...“, ,wiederholte Halli abwesend und schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein.

      Dann seufzte er tief.

      „Das ist nicht viel…“

      Er stupste sie leicht in den Oberarm und grinste breit.

      „Aber wir Isländer sind ja nur ca. 330‘000. Da wird wohl jemand darunter sein, der deine Schwester oder deine Mutter kennt und uns weiterhelfen kann. Und genau den Menschen suchen wir jetzt. Ich bin überzeugt, wir werden ihn finden.“

      Halli tätschelte aufmunternd ihr Knie, bevor er nach seiner Flasche griff, den letzten Schluck nahm und sie dann hinter sich auf den Rücksitz warf.

      Der Blick der jungen Frau folgte dieser Bewegung missbilligend.

      Der Isländer kratzte sich verlegen am Kopf, als er sich das Chaos auf der Rückbank wieder ins Gedächtnis rief.

      „Ich verspreche dir, mich in Reykjavík um dieses Dilemma zu kümmern.“

      Kristíns Blick wanderte erneut über all den Müll.

      In diesem Moment spürte sie, wie er sie sanft am Kinn anfasste und sie so zwang, ihn anzusehen.

      Er lächelte warm.

      „Ich schwöre.“

      Er legte sich die Hand auf seine Brust, um sein Versprechen zu unterstreichen.

      Als sie die Röte auf ihren Wangen spürte, weil ihr sein Lächeln so durch und durch ging, wandte sie sich hastig ab und gab vor, in der Plastiktüte aus dem Supermarkt etwas zu suchen.

      Dann zog sie zufrieden eine kleine Kartonschachtel heraus.

      „Lass uns auf dem Weg nach Reykjavík diese Schokoladenrosinen testen.“

      Sie öffnete die Packung und hielt sie dem Isländer unter die Nase.

      Beherzt griff dieser hinein und liess eine Hand voll in seinem Mund verschwinden.

      „Na dann, los. Die Hauptstadt wartet auf uns.“

      Er startete das rote Ungetüm und lenkte es zurück auf die Strasse.

      Kapitel 6

      Dass Halli sein Auto parkierte, nahm Kristín nur unbewusst wahr.

      Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf die riesige Kirche gerichtet, die der Isländer ihr unbedingt zeigen wollte.

      „Und von da oben kannst du wirklich die ganze Stadt sehen?“, fragte sie ungläubig und drehte ihren Kopf so, dass sie die Kirchturmspitze durch das Autofenster sehen konnte.

      Halli gluckste vergnügt, als er die Frau auf dem Beifahrersitz betrachtete und öffnete die Autotür.

      „Na los, steig aus und lass mich es dir zeigen.“

      Und ehe Kristín etwas darauf erwidern konnte, hastete sie bereits schon wieder hinter dem grossen Mann her, der unter all den Touristen verschwunden war.

      Doch mitten auf dem Platz musste sie stehen bleiben und den Anblick des Bauwerks auf sich wirken lassen.

      Noch nie hatte sie eine Kirche wie diese gesehen.

      Sie schien aus lauter kleinen Säulen zu bestehen und als die junge Frau ihren Blick nach oben zu dem Kreuz auf der Spitze richtete, kam sie sich unglaublich klein vor.

      Eine Windböe wehte ihr ins Gesicht und erinnerte sie daran, dass ihre Kleidung wohl nicht geeignet für eine Reise auf Island war.

      Und so beeilte sie sich, zu Halli aufzuschliessen.

      Erst in der Halle fand sie ihn wieder und bemerkte amüsiert, wie sich immer wieder Köpfe nach dem rothaarigen Isländer umdrehten.

      „Ich habe uns bereits Tickets für unsere Reise nach oben besorgt.“, grinste er und hielt sie ihr vor die Nase.

      „Aber als Erstes musst du dir die Kirche von innen ansehen. Lassen wir den grössten Teil dieser Leute hier zuerst mit dem Aufzug nach oben fahren. Die schauen uns schon nichts weg.“

      Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Menschenmenge, die sich vor dem Aufzug dicht an dicht drängte.

      Jeder wollte der Erste sein, der mit seinem Fotoapparat ein Bild von der Stadt schoss.

      Kristín schmunzelte belustigt und wandte sich wieder dem grossen Mann an ihrer Seite zu.

      „Das Aussehen dieser Kirche ist sehr speziell...“

      Genau wie in dem Moment, als er ihr den Suzuki vorstellte, reckte Halli nun seine Brust erneut stolz nach vorne.

      „Sie ist schön, nicht wahr? Die Säulen spiegeln einen Teil unserer isländischen Natur wider. Sie sind Basaltsäulen nachempfunden. Vielleicht ergibt sich ja eine Gelegenheit für uns, in der ich dir die Echten näher zeigen kann.“

      Dann suchte er wie selbstverständlich ihre Hand und zog sie durch die Menschenmassen hinter sich in den Bauch der Kirche hinein.

      Kristín war völlig gebannt von der Magie und der Anziehung, die in dieser Kirche herrschte.

      Die Ruhe und die Andacht, mit der die Menschen sich in ihr bewegten.