Stefanie Gislason

Der Ruf der wilden Insel


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Kristíns Hand ergriff und lächelte.

      „Ich bin Hekla.“

      Sie machte eine ausschweifende Bewegung mit der Hand um sich herum.

      „Ich lebe hier auf diesem Hof.“

      Dann legte sie einen Arm um Kristín und wendete sich mit ihr dem roten Suzuki zu.

      „Ich wusste doch, dass ich diesen Rosthaufen von einem Auto kenne.“

      Alle drei brachen in ein Lachen aus.

      Das Eis war gebrochen.

      Die Unsicherheit gebannt.

      „Lasst mich kurz nach den Pferden sehen, dann zeige ich euch, wo ihr schlafen könnt. Ihr bleibt doch über Nacht, nicht wahr?“

      Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt,

      wartete sie eine Antwort gar nicht erst ab, drehte auf dem Absatz um und verschwand hinter dem Wohnhaus.

      Halli wandte sich belustigt Kristín zu.

      „Sie macht ihrem Namen alle Ehre. Kennst du die Bedeutung ihres Namens?“

      Die blonde Frau verneinte kopfschüttelnd.

      „Sie heisst wie ein isländischer Vulkan.“

      Dann wandte er sich um, machte sich am Kofferraum des Autos zu schaffen und trug ihren roten Begleiter und seine Tasche ins Haus.

      Erneut fragte sich Kristín, in welcher Beziehung die Beiden zueinander standen, als sie ihm wortlos folgte.

      Es herrschte eine entspannte Stimmung beim Abendessen, als Halli in allen Einzelheiten erklärte, wie er zu seiner Begleiterin aus Deutschland kam.

      Immer wieder verfiel er in seine Muttersprache.

      Ganze Sätze redete er in diesen fremden Worten, leichtfüssig und mit einer spürbarem Stolz, bevor er sich wieder bewusst wurde, dass seine Begleiterin kein bisschen davon verstand und wieder ins Englische zurückkehrte.

      Kristín nippte indes an ihrem Glas Wasser und lauschte lächelnd.

      Sie ertappte sich dabei, wie ihr Blick an dem grossen Mann hängen blieb.

      Seine Wangen glühten leicht.

      Ob es an seiner Begeisterung oder am Bier lag, welches er genüsslich trank, wusste sie nicht genau.

      Sie bemerkte aber auch die leichten, nebensächlichen Berührungen zwischen Hekla und Halli.

      Die Vertrautheit.

      Die sichtbare Zuneigung.

      Wie ihr rotes lockiges Haar seine Schulter streifte, wenn sie sich zu ihm hinüberbeugte.

      Wie sein Blick auffallend oft über ihren Körper huschte, wenn sie sich erhob, um in der Küche etwas zu erledigen.

      Dann plötzlich war es still im Raum.

      Zwei Augenpaare sahen sie erwartungsvoll an.

      Und Kristín fühlte sich ertappt.

      Röte stieg in ihre Wangen und sie senkte beschämt den Blick.

      „Würdest du Hekla dein Foto zeigen?“

      Unsicherheit machte sich in ihr breit, als sie leicht zitternd in ihre Tasche griff.

      Sie trug es immer bei sich, seit sie es gefunden hatte.

      Dicht an ihrem Körper.

      Aus Angst, sie könnte es verlieren.

      Die einzige Spur, die sie hatte…

      Die Isländerin schien zu spüren, dass dieses Foto von grosser Bedeutung für Kristín war, denn sie nahm es ihr nicht aus der Hand, sondern kam um den Tisch herum und setzte sich neben die junge Frau.

      Lange war nichts zu hören ausser dem Ticken einer Uhr.

      Dann atmete Hekla aus, als hätte sie die Luft angehalten.

      „Wow...“

      Sie suchte Hallis Blick und er begann unruhig auf seinem Stuhl herum zu rutschen, sagte jedoch kein Wort.

      Kristín bemerkte diesen Austausch sehr wohl, wusste aber nicht, wie sie ihn zu deuten hatte.

      Dann schüttelte Hekla bedauernd den Kopf.

      „Es tut mir leid, elskan mín. Ich kann euch leider nicht weiterhelfen.“

      Sie tätschelte Kristíns Hand, bevor sie sich erhob und sich in der Küche zu schaffen machte.

      Den erneuten Blickaustausch der beiden Isländer bekam Kristín nicht mit.

      Enttäuschung breitete sich in ihrem Körper aus.

      Tränen traten in ihre Augen, die sie jedoch nicht wagte, freizulassen.

      Was hatte sie denn erwartet?

      Dass ein Foto reichen würde in diesem Land?

      Ein schneller Blick und jeder wusste Bescheid?

      Wie naiv sie doch war!

      Sie erhob sich so rasch von ihrem Stuhl, dass dieser über den Boden kratzte.

      „Ich bin müde…“

      Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwand hastig im Gästezimmer, welches Hekla ihr für die Nacht vorbereitet hatte.

      Die aufgebrachte Diskussion, die plötzlich losbrach in der Küche, begleitete sie auf ihrem Weg ins Bett.

      Immer wieder konnte sie ihren Namen hören, während die Beiden in ihrer eigenen Sprache mal lauter und mal leiser debattierten.

      Hekla machte ihrem Namen wirklich alle Ehre.

      Und erst als die Haustür nach einiger Zeit scheppernd ins Schloss fiel, versiegten auch Kristíns Tränen.

      Stattdessen überkam sie Panik.

      Hatte Halli sie alleine gelassen?

      Hatte Hekla ihn rausgeschmissen?

      Doch in diesem Moment erklang seine Stimme leise vor ihrem Fenster.

      Er telefonierte.

      Die junge Frau entspannte sich leicht und liess sich in die Kissen sinken.

      Er war noch da…

      Sie hörte, wie er vor ihrem Fenster auf und ab lief.

      Das Knirschen der Steine unter seinen Schuhen verriet ihn.

      Was waren das nur für Telefonate, die er immer wieder führte?

      Doch weiter kam sie mit ihren Überlegungen nicht, als der Schlaf sie übermannte.

      Mitten in der Nacht schlich Kristín durchs Haus auf der Suche nach der Toilette.

      Auf dem Rückweg zu ihrem Zimmer blieb sie an der Wohnzimmertür stehen.

      Sie genoss den Anblick, der sich ihr bot, einige Sekunden lang.

      Genau wie im Flugzeug war Halli zu gross für das Sofa, auf dem er schlief.

      Sein Arm und ein Teil seiner Schulter lag auf einem Hocker, den er sich herangezogen hatte, damit er wohl bequemer liegen konnte.

      Seine Beine baumelten halbwegs in der Luft, sein Kopf lag in einem ungesunden Winkel zwischen Kissen und Rückenlehne, doch er schlief tief und fest.

      Dieser Anblick und sein leises Schnarchen liess sie schmunzeln und begleitete sie auf ihrem Weg zurück ins Bett.

      Am nächsten Morgen sass Halli ziemlich wortkarg und zerknittert am Küchentisch, während er abwesend an seiner Kaffeetasse nippte.

      Hekla hob belustigt eine Augenbraue, als Kristín die Küche betrat und deutete mit einem amüsierten Lächeln auf den Isländer.

      „Möchtest du auch einen Kaffee?“

      Doch ehe die junge