Mila Summers

Ein Frosch zum Küssen


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der maßlos überschätzten Werbeagentur beruhte auf der Produktion von aberwitzigen Wunschvorstellungen und solchen, die ab und an Wirklichkeit wurden.

      Was hier in großem Stil produziert wurde, war in über neunzig Prozent der Fälle heiße Luft und dennoch strömten immer mehr Menschen herbei, um sich hier Rat zu suchen. Verrückt.

      »Jeder Rückschlag macht Sie nur härter. Denken Sie immer an meine Worte. So, nun muss ich aber ins nächste Meeting. Es hat mich sehr gefreut … ich meine, es ist natürlich sehr bedauerlich, dass wir uns unter diesen Umständen erst so richtig kennenlernen durften. Aber man sieht sich doch meist zweimal im Leben. Vielleicht beim nächsten Mal nur auf einer Charityveranstaltung am Büffet. Wer weiß das schon so genau.«

      Oh, liebend gerne. Vielleicht kam ich dann in den Genuss, diesem Lackaffen ein Glas des teuersten Champagners ins Gesicht zu schütten. Wer weiß. Vielleicht hatte er ja recht und man traf sich wirklich noch einmal. Dann würde ich allerdings besser vorbereitet sein.

      »Gut, Miss Havisham, die Papiere bekommen Sie die nächsten Tage per Post zugesandt. Für die kommenden vierzehn Tage erwarte ich dennoch ein Höchstmaß an Disziplin von Ihnen. Außerdem sollten Sie das Ausscheiden aus der Firma nicht unbedingt an die große Glocke hängen. Ich dulde keinen Klatsch und Tratsch in meinem Unternehmen. Haben Sie mich verstanden?«

      Endlich, meine Chance war gekommen. Und? Nutzte ich sie? Bot ich meinem Arbeitgeber endlich mal die Stirn und sagte ihm, was ich von seinen leeren Floskeln hielt? Warf ich alles in die Waagschale, um erhobenen Hauptes aus diesem Affenzirkus ausbrechen zu können?

      Als ich all meinen Mut zusammengenommen hatte und gerade loslegen wollte, hörte ich das Walross sagen: »Schön, dass das geklärt ist. Dann können Sie ja wieder an die Arbeit gehen. Rachel braucht noch Unterstützung bei dem Rosemont-Projekt. Oder ist noch etwas?«, fragte er mich allen Ernstes, nachdem ich mich nicht gleich von meinem Platz erhob und ihn nach wie vor mit offenem Mund regungslos anstarrte.

      Perplex antwortete ich schließlich: »Nein, alles in bester Ordnung.«

      Tja, und nun? Was sollte ich bloß machen? Am liebsten hätte ich meine Sachen gepackt und wäre einfach abgehauen. Wie sollte ich mich denn auf das Rosemont-Projekt konzentrieren, während in mir ein Sturm toste, der jederzeit zu einem Hurrikan mutieren konnte?

      Schließlich entschied ich mich dazu, die Damentoilette im fünfundzwanzigsten Stockwerk aufzusuchen, nachdem ich mir eine Schachtel Zigaretten besorgt hatte. Dumm nur, dass mir das Feuerzeug fehlte und ich gar keine Raucherin war. Aber irgendwie hatte ich urplötzlich das dringende Bedürfnis, eine zu qualmen.

      Seit einem halben Jahr arbeitete ich in dieser Firma, hatte unzählige Überstunden angehäuft, auf Urlaub verzichtet und hatte immer bereitgestanden, wenn Not am Mann war. Und wie dankte sie es mir? Mit einem Arschtritt kurz vor Weihnachten.

      Da wurde ich meiner Rolle als schwarzes Schaf der Familie mal wieder vollends gerecht. Mitch, der brave Anwalt, und Sue, die treuliebende Ehefrau und Mutter, meine Geschwister waren in allem, was sie taten, perfekt. Sie waren immer auf dem rechten Pfad der Tugend geblieben und hatten sich nie von den abzweigenden Gabelungen verführen lassen.

      Wobei Mitchs Image in letzter Zeit etwas gelitten hatte, als er uns eine Anhalterin, die er nur wenige Stunden vorher in seinem Wagen mitgenommen hatte, als seine Freundin präsentierte, um seiner Familie das verliebte Paar vorzuspielen.

      Aber auch aus dieser Geschichte hatte mein ach so charmanter Bruder ein Happy End gezaubert, indem er sich einfach in seine gekaufte, vorgetäuschte Freundin verliebte, sie heiratete und ein Kind mit ihr bekam. Und wenn sie nicht gestorben sind, bla, bla, bla.

      Ich war da ganz anders. Klar, ich hatte meinen Abschluss in Harvard gemacht und war eine der Jahrgangsbesten, dennoch hatte ich alles mitgenommen, was rechts und links des Weges gelegen hatte: wilde Partys, die Mitgliedschaft bei der Studentenverbindung der Delta Phis, Haschkekse und einiges mehr. Nur keine Männer. Das hatte sich irgendwie nie so recht ergeben, nachdem ich mich nach der High School von Matthew getrennt hatte.

      Die erste große Liebe vergisst man wohl nie. In meinem Fall hatte ich die Trennung nie verwunden. Meiner Ansicht nach waren Matthew und ich Seelenverwandte. Als wir auf unterschiedliche Universitäten wechselten, hielt es mein Freund jedoch für sinnvoll, die Beziehung zu beenden, damit wir uns beide frei entfalten konnten.

      Was so viel hieß wie, dass jedem die Möglichkeit gegeben war, möglichst viele Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht zu sammeln. Dabei wäre ein Partner am anderen Ende des Landes nur hinderlich gewesen. So seine These.

      Ich sah das Ganze natürlich etwas anders. Damals war ich allerdings – ebenso wie gerade eben im Büro meines Chefs – vollkommen überfordert mit der Situation gewesen. Wenn es brenzlich wurde und ich eigentlich einen kühlen Kopf bewahren sollte, legte sich irgendwo in mir ein Schalter um und setzte mein Sprachzentrum außer Gefecht.

      Sonst war ich eigentlich recht eloquent. Wirklich. Für die ein oder andere Präsentation, die ich bisher in diesem Haus hatte durchführen dürfen, hatte ich sogar Standing Ovations erhalten. Okay, vielleicht war es nur ein einziges Mal gewesen und die Leute waren nicht unbedingt aus den Sitzen gesprungen. Aber dennoch, es kam vor.

      Das war eine meiner großen Schwächen, an der ich dringend arbeiten musste. Aber nicht jetzt und hier. Vielmehr galt es jetzt, eine Zigarette ohne Feuerzeug zu entflammen und dann all meinen Kummer wegzupaffen.

      Glücklicherweise war ich in der Damentoilette im fünfundzwanzigsten Stockwerk allein. Nachdem ich gecheckt hatte, dass alle drei Kabinen frei waren, hatte ich mich in die mittlere verkrümelt, den Deckel heruntergeklappt und darauf Platz genommen.

      Was für ein beschissener Tag! Wutschnaubend zerquetschte ich die Glimmstängel in meiner Hand, die noch immer jungfräulich in der Schachtel ruhten.

      Mittlerweile liefen mir die ersten Tränen über die Wangen und ich verfluchte das World Wide Web dafür, dass es mich auf die versnobte Werbeagentur Hammersmith & Porter aufmerksam gemacht hatte.

      In meinem Kopf spulte ich all die Abende ab, an denen ich mir von Mr. Song Hühnchen süß-sauer hatte liefern lassen, um nicht einmal dafür meinen Arbeitsplatz verlassen zu müssen. Bis zu sechzehn Stunden hatte ich an meinem Schreibtisch gesessen, hatte überlegt, geplant und recherchiert, nur um dann alles wieder über den Haufen zu werfen und von vorne zu beginnen.

      Auch das war eines meiner Probleme: Perfektionismus. Doofes Wort und noch viel doofer die Bedeutung, die dahintersteckt. Aus diesem Grund war ich nicht in der Lage, einfach mal spontan meine Meinung zu sagen. Nein, jedes Wort musste wohlüberlegt sein. Schließlich musste man ja präzise äußern, was sein Anliegen war. Blödsinniges Geschwafel und Small Talk waren definitiv keine meiner Meisterdisziplinen.

      Das Päckchen in meiner Hand war aufgeplatzt. Langsam strömte dieser unnachahmliche Geruch aus Nikotin, Filter, Teer und den anderen mehr als dreitausendachthundert chemischen Verbindungen in meine Kabine.

      Das unerwartete Quietschen der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Ich war nicht mehr allein. Mühsam versuchte ich das Schluchzen zu unterbinden, das sich ungewollt zu den Tränen gesellt hatte.

      Mit dem Handrücken trocknete ich die Tränen. Anschließend fuhr ich mit dem Zeigefinger unter das Auge, um die Wimperntuscherückstände zu beseitigen, die die Wassermassen mit sich gerissen hatten.

      »Ist alles okay mit Ihnen?«, meldete sich eine mir unbekannte weibliche Stimme zu Wort.

      »Hm«, antwortete ich einsilbig, in der Hoffnung, sie würde mir glauben und wieder gehen.

      »In Ordnung. Ich hatte mir Sorgen gemacht, da ich durch die Glasscheibe meines Office mitbekommen habe, wie Sie zur Toilette gegangen sind und nicht mehr herauskamen. Sind Sie sicher, dass es Ihnen gutgeht? Soll ich vielleicht jemanden rufen? Brauchen Sie etwas? Mein Name ist Jil Aimée. Falls ich etwas für Sie tun kann, geben Sie mir ein Zeichen, ja?«

      Es war ja wirklich nett von ihr, dass sie sich offensichtlich um eine Wildfremde derart sorgte, dennoch