Mila Summers

Ein Frosch zum Küssen


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am Boden wiedergefunden hatten, sahen wir zu, dass wir Land gewannen und verabschiedeten uns überhastet aus Joes Moonlightbar.

      Als wir bereits einige Meter gelaufen waren, zog er etwas aus seiner derangierten Hemdtasche und streckte es uns fragend entgegen. Kichernd blickten Rachel und ich uns an, ehe schließlich auch bei Sebastian der Groschen gefallen war.

      In guter alter Rockstarmanier hatte Sebastian seinen ersten Schlüpfer zugesteckt bekommen. Respekt, das hatten bestimmt noch nicht viele vor ihm in einer Karaokebar erlebt.

      Natürlich zogen Rachel und ich ihn, wann immer es ging, mit dem Teil auf. Von Mal zu Mal wurde es immer schlimmer und man sah ihm deutlich an, was er von unseren Späßen auf seine Kosten hielt.

      Das lag nicht nur an der Tatsache, dass das Modell in seiner Hemdtasche nicht unbedingt einer Frau mit Konfektionsgröße XS oder S zugeordnet werden konnte. Nein, der Umstand, dass auf der weißen Unterhose unzählige Blumen in zartem Blau und Rosa überdeutlich auf das Alter der Eigentümerin schließen ließ, traf ihn hart.

      Er gab es zwar nicht offen zu, aber ein roter String wäre ihm eindeutig lieber gewesen. Rachel und ich hatten überlegt, ihm zum Geburtstag ein ebensolches Exemplar zu schenken, um ihn über den Abend hinwegzutrösten oder ihn noch etwas weiter aufs Korn zu nehmen.

      Jetzt würde ich allerdings nicht mehr in dieser Firma beschäftigt sein, meine Mittagspausen nicht mehr mit den beiden verbringen können und eigene Wege gehen müssen.

      Als ich mir darüber im Klaren war, dass meine Gedanken ziemlich weite Kreise gezogen hatten, bekam ich ein schlechtes Gewissen. Jil Aimée sah mich noch immer mitleidig an, während ich in schönen Erinnerungen schwelgte.

      So beeilte ich mich, ihr die Sorgenfalte zu nehmen, die sich bereits tief in ihre Stirn gefurcht hatte: »Ich schaff das schon, aber vielen Dank, dass du mir zugehört hast.«

      »Aber gerne doch.« Dabei erhob sie sich von dem cremefarbenen, ledernen Sessel, der mir gegenüberstand und eilte zu ihrem Schreibtisch. Dort wühlte sie sich durch einige Aktenberge, bis sie schließlich fündig wurde: »Ruf mal meinen alten Freund Liam Morris an. Der hat mir erst vor Kurzem gesagt, dass er dringend Unterstützung für seine Marketingabteilung sucht. Vielleicht ist die Stelle ja noch zu haben. Ich werde ihn fragen, wenn du möchtest, und ihm ausrichten, ich hätte da eine sehr talentierte und ehrgeizige Kollegin, die sich nach einer anderen Herausforderung umsieht. Kopf hoch, das wird schon! Wo ist denn nur … ah, da ist ja seine Visitenkarte. Die geb ich dir einfach mal mit. Überleg es dir und sag mir rechtzeitig Bescheid, wenn ich dir helfen kann.«

      Jetzt wusste ich, warum Jil Aimée im fünfundzwanzigsten Stockwerk saß: Weil sie es sich durch ihre Liebenswürdigkeit und ihre Fähigkeit zur Empathie mehr als redlich verdient hatte. Außerdem waren Engel dem Himmel meist nicht fern.

      Sollte ich es versuchen? Ich haderte mit mir und knabberte nervös an meiner Unterlippe. Seit Jil Aimée mir das kleine rechteckige Kärtchen in die Hand gedrückt hatte, waren einige Stunden vergangen.

      Mittlerweile war ich zu Hause angekommen und hatte dankend zur Kenntnis genommen, dass ich alleine war. Meine Eltern waren wohl zum Dinner ausgegangen. Gut, so musste ich wenigstens nicht noch einmal die Geschichte meines Rauswurfes erzählen.

      Rachel und Sebastian hatten mir in der Mittagspause überdeutlich angesehen, dass etwas mit mir nicht stimmte. Also kam ich nicht umhin, den beiden reinen Wein einzuschenken.

      Wobei er für meinen Geschmack etwas zu sauer war. Wie dem auch sei, ich berichtete schließlich von dem Fiasko in der Chefetage, verdrückte erneut einige Tränen und fasste neuen Mut, als mir die beiden nachdrücklich versicherten, ich würde sicher ganz schnell eine neue Anstellung finden. Hoffentlich behielten die beiden recht.

      Was für ein merkwürdiger Tag. Ich streifte meine rotweiß-karierte Bluse ab, zog die Anzughose aus, faltete sie sorgfältig zusammen und legte sie dann doch nur auf meinen Kleiderstuhl, wo sie sicher dennoch verknitterte.

      Der Berg darauf war mittlerweile schwindelerregend hoch geworden. Bei Gelegenheit musste ich dringend die gute Wäsche von der nicht mehr so ganz wohlduftenden Kleidung trennen und das Chaos beseitigen.

      In dem Moment wurde mir schmerzhaft bewusst, dass ich in naher Zukunft viel mehr Zeit haben würde, als mir lieb war. Lustlos griff ich nach meinem Laptop, nachdem ich mir einen kuscheligen Hausanzug übergezogen hatte.

      An meinem Schreibtisch angelangt, blickte ich nach draußen in den Garten. Im Sommer war er eine wahre Augenweide. Und das, obwohl Mum wahllos alles durcheinander säte und pflanzte.

      Scheinbar ohne Konzept ging sie ans Werk. Bei näherer Betrachtung allerdings konnte man feststellen, dass es eigentlich nur ein farbenfrohes Zusammenspiel aus all den Lieblingsblumen unserer Familie darstellte.

      Obwohl ich es heute nach langer Zeit endlich mal wieder geschafft hatte, etwas früher nach Hause zu kommen und die Sonne noch nicht untergegangen war, sah ich aus meinem Zimmer nur auf die Schneemassen, die Chicago und das Umland seit Tagen fest im Griff hatten.

      Am Wochenende war ein heftiger Blizzard über unsere Region gezogen und hatte alles in diese weiße Pracht gehüllt. Der Verkehr war zum Erliegen gekommen und die Erwachsenen fluchten über die katastrophalen Bedingungen. Die Kinder hingegen waren überglücklich. Endlich konnten sie Schneemänner bauen und Schneeballschlachten veranstalten.

      Noch mal Kind sein. Das wär’s. All die Sorgen hinter sich lassen können. Was für ein Luxus! Immer wäre jemand da, der sich um alles kümmerte, der einem die Last von den Schultern nahm und einen zurück zum Spielen schickte. Oh, ja, was gäbe ich nur dafür, noch einmal Kind sein zu können!

      Mein Laptop war zwischenzeitlich hochgefahren. Natürlich hätte ich diesen Abend noch etwas in Selbstmitleid schwelgen können, indem ich meine Freundinnen anrief und ihnen von meinem beschissenen Tag berichtete. Aber so war ich nicht.

      Sicher würde sich bald mal die Gelegenheit bieten, mit Stacy, Drew und Miranda über die Sache zu reden, allerdings war es für mich viel wichtiger, möglichst schnell einen Job zu finden. Ich kannte mich nur zu gut, schließlich verbrachte ich die meiste Zeit meines Lebens mit mir, wenn ich nicht gerade schlief.

      Solange ich nicht wusste, was mich nach meiner Kündigung erwartete, war ich nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen oder gar Zukunftspläne zu schmieden. Das widersprach meinem Naturell. Ich brauchte Gewissheit und einen festen, abgesteckten Rahmen. Nur dann konnte ich mich frei entfalten.

      ***

      Die hübsche Brünette an der Bar entsprach nicht so ganz dem Typ Frau, den er bevorzugt in seine Liebeshöhle am Lake Shore Drive einlud, aber der Tag war bereits weit vorangeschritten und er hatte keine Lust, sich länger auf die Suche zu machen.

      Nach der Sache mit der verkorksten Make-a-wish-Veranstaltung war ein riesengroßer Shitstorm über die Firma hereingebrochen, den er trotz aller Bemühungen nicht vor seinem Vater hatte verheimlichen können. Leider.

      Der alte Mann hatte ihm klipp und klar zu verstehen gegeben, dass er einen solchen negativen Medienrummel in seinem Unternehmen nicht dulden würde. So war Liam gezwungen zu handeln.

      Und wie er handelte. Noch am selben Tag hatte er sich mit seinen fähigsten Angestellten zusammengesetzt, sich mit diesen beratschlagt und ein alternatives Wiedergutmachungsevent geplant.

      Bei diesem sollten neben den Fotos mit dem echten Santa gleichzeitig noch Spenden für einen guten Zweck gesammelt werden. Zum Schluss würde die Firma den Differenzbetrag der eingegangen Spenden auf fünfzigtausend Dollar aufrunden und einem Kinderheim zugutekommen lassen.

      Das ganze Vorhaben glich einem Himmelfahrtskommando. Wenn dabei etwas schiefging, war der Ruf der Firma vollends ruiniert. Nicht nur, dass Liam für dieses nicht einkalkulierte Unternehmen Geldquellen ausschöpfen musste, die für andere Zwecke eingeplant waren. Nein, es fehlten ihm fähige Mitarbeiter, die auch ohne seine konkreten Anweisungen selbsttätig einen Fuß vor den anderen setzen konnten.

      Jil