Mila Summers

Ein Frosch zum Küssen


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Wäsche würde ich hier eh nicht waschen wollen, also war es besser, den Mund zu halten und freundlich zu winken.

      »Nein, machen Sie sich keine Sorgen. Es ist alles bestens. Danke Ihnen. Ich komm gleich raus«, erwiderte ich in der Hoffnung, sie würde dann das Feld räumen und mir die Möglichkeit geben, heimlich, still und leise abzuhauen.

      »Oh, schön, dann kann ich mich ja selbst gleich davon überzeugen, dass es Ihnen gut geht. Wissen Sie, meine Mutter hat immer gesagt: Wenn wir aufhören, darauf zu achten, wie es unseren Mitmenschen geht, dann haben wir verlernt, Mensch zu sein.«

      Na, prima. Was sollte ich denn nun machen? Erhobenen Hauptes verheult aus der Kabine marschieren, Hände waschen und einen Grund vortäuschen, warum ich ganz schnell weg musste? Würde nicht klappen, da ich mich mit mir selbst nicht auf die stimmigste Ursache einigen könnte.

      Außerdem war ich eine furchtbar schlechte Lügnerin. Mum erkannte meine Ausreden sogar am Telefon. Sie musste mir nicht mal gegenüberstehen, um zu erkennen, dass ich geflunkert hatte.

      Vielleicht brachte es ja was, wenn ich Magen-Darm-Probleme vortäuschte? Wie genau sollte das aussehen? Nein, darüber konnte ich mir jetzt wirklich keine Gedanken machen. Das war einfach zu entwürdigend, um auch nur eine Sekunde länger darüber nachzudenken.

      Also trat ich die Flucht nach vorne an, schwang mich wenig enthusiastisch von dem Klodeckel, legte den Hebel des Schlosses um und öffnete die Kabinentür. Vor mir stand ein zierliches Wesen, das mir nicht mal bis zur Schulter reichte.

      Mit braunen Knopfaugen blickte sie mich mitleidig an, ehe sie sich am Papierhandtuchspender bediente und mir kommentarlos das Bündel hinstreckte. Dankend nahm ich es entgegen. Im Spiegel warf ich einen ersten Blick auf mein derangiertes Äußeres.

      Warum sah man eigentlich nach dem Heulen immer so total verquollen aus, als hätte man sich mit Mohammed Ali einen Boxkampf geliefert? Okay, nach einem solchen Aufeinandertreffen wäre mein Gesicht sicher von Blessuren übersät und nicht nur aufgedunsen.

      Eilig schritt ich zum Waschbecken, um mit einer Ladung kalten Wassers die verlaufene Schminke zu entfernen und die Schwellungen zu kühlen.

      »Magst du darüber reden?«, meldete sich Jil Aimée leise zu Wort.

      »Sei mir nicht böse. Ich hatte einen verdammt beschissenen Tag und wäre einfach gerne ein paar Minuten für mich alleine«, blaffte ich wenig freundlich.

      Im selben Moment, als die Worte meinen Mund verließen, taten sie mir auch schon wieder leid. Was konnte Jil Aimée denn dazu, dass ich von meinem Chef gekündigt worden war? Sie war der einzige Mensch, der heute nett zu mir gewesen war, und ich stieß sie dermaßen schroff vor den Kopf, dass sie eigentlich wütend auf mich hätte sein müssen. War sie aber nicht.

      »Ist schon gut. Das Gefühl kenne ich ganz gut. Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid. Ich bin, wie gesagt, gleich überm Flur hinter der Glasscheibe. Komm vorbei, wenn du reden möchtest.« Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.

      Ich hob meinen Blick und starrte in den Spiegel. Es blieben mir nun genau zwei Optionen: entweder weiterhin in Mitleid zerfließen und die Flinte ins Korn werfen oder aufstehen, den Staub von den Schultern klopfen und weitergehen. Ich entschied mich für Letzteres und eilte, warum auch immer, Jil Aimée hinterher.

      »Was machen wir denn jetzt?«, fragte Jil Aimée und bezog sich wie selbstverständlich in die Problemlösung mit ein, nachdem ich ihr von meinem Rausschmiss berichtet hatte.

      »Wir?«, fragte ich verdattert. Wieso denn nun wir? Schließlich war ich es doch, die in naher Zukunft ihren Schreibtisch räumen musste und nicht dieses freundliche Wesen, das mir gegenüberstand.

      Ganz im Gegenteil. Sie hatte nämlich eines der begehrten Einzelbüros in der fünfundzwanzigsten Etage ergattert. Wer es bis dorthin geschafft hatte, brauchte sich eigentlich keine größeren Sorgen mehr machen.

      Dort oben saßen diejenigen, die sich durch besondere Leistungen von all den anderen Mitarbeitern im Unternehmen abhoben und nur noch die ganz großen Projekte betreuten. Bei den Männern war es natürlich nur ihrem Ehrgeiz und der guten Leistung geschuldet, dass sie hier Platz nehmen durften.

      Über die Frauen in der Firma, die ebenfalls diesen enormen Schritt auf der Karriereleiter vorangegangen waren, munkelte man hinter vorgehaltener Hand, sie hätten ganz andere Dienste erbringen müssen.

      Wobei das Verhältnis zum Big Boss eine ganz bedeutende Rolle spielte. Unweigerlich schob sich mir ein Bild vor Augen, wie sich das Walross über die zierliche Jil Aimée schob und diese dabei fast plattmachte.

      Ich schüttelte leicht mit dem Kopf, um die Vorstellung aus meinem Geist zu verbannen. Es war nicht fair, diese fremde Frau mit Vorurteilen zu strafen. Nicht, nachdem sie so nett zu mir gewesen war.

      Geduldig hatte sie sich meine Geschichte angehört und mir ein Taschentuch gereicht, als wieder einzelne Tränen über meine Wangen kullerten. Zudem hatte sie einfühlsam ihre Hand auf meine gelegt und mir damit das Gefühl gegeben, nicht alleine zu sein. Das tat richtig gut.

      »Aber sicher doch: Wir. Ich kann doch nicht tatenlos dabeistehen, wenn ich sehe, dass es dir nicht gutgeht. Was wäre ich denn dann für ein Mensch, wenn ich die Augen vor dem Leid meiner Mitmenschen verschließen würde? Außerdem würde mir meine Mum sicher eine Standpauke halten, wenn sie jemals davon erfahren würde.« Dabei schmunzelte sie mir aufmunternd zu.

      »Ja, unsere Mütter haben eine weitaus größere Macht über uns, als wir es uns eingestehen wollen«, bestätigte ich Jil Aimées Aussage.

      »Na ja, sie haben ja auch eine sehr lange Zeit die Möglichkeit gehabt, auf uns und unseren Charakter einzuwirken. Alles, was ich bin, verdanke ich meiner Mutter. Sie hat mich alleine großgezogen, musst du wissen. Das war nicht immer leicht. Als ich auf die Uni ging, begann sie, zusätzlich zu ihrem Job in der Apotheke nachts zu kellnern. Das werde ich ihr nie vergessen.«

      Gerührt von Jil Aimées Vergangenheit stiegen mir erneut ein paar Tränchen in die Augen. Im Gegensatz zu ihr war ich mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden. Das musste man ganz klar so sagen.

      Natürlich war es nicht toll, dass ich meinen Job verloren hatte, aber ich hatte ein heimeliges Zuhause, zu dem ich immer wieder zurück konnte, Eltern, die immer für mich sorgen würden, und keinerlei finanzielle Probleme.

      Ich hatte keine Existenzängste, aber ich war zutiefst gekränkt und enttäuscht und wütend. Nachdem ich so viel Energie in die Werbeagentur gesteckt hatte, glaubte ich, ein Teil davon zu sein. Nicht nur die Arbeit, auch meine Kollegen waren mir in der Kürze der Zeit sehr ans Herz gewachsen.

      Am Wochenende hatte ich mich das ein oder andere Mal mit Rachel und Sebastian aus meinem Team verabredet. Wir hatten richtig viel Spaß zusammen gehabt, vor allem in der Karaokebar.

      Sebastian war kein begnadeter Sänger, aber er machte es mit Leidenschaft wett. Seine Version des AC-DC Klassikers Highway to Hell würde mir auf ewig im Gedächtnis haften bleiben.

      Wann immer ich das Lied im Radio hörte, musste ich daran denken, wie gekonnt er die Luftgitarre auf der Bühne gespielt und sich dabei halbnackt ausgezogen hatte. Daraufhin war eine Horde Groupies zu ihm geeilt und hatte ihn beinahe per Stagediving in die Menge gezogen.

      Die ausgehungerten älteren Damen in dem Pulk hatten Frischfleisch gerochen und wollten sich das Sahneschnittchen nicht entgehen lassen. Das leicht ausgeprägte Sixpack und die muskulösen Oberarme waren sicher mit ein Grund dafür gewesen, dass Rachel und ich plötzlich mehr oder minder alleine im Publikum gesessen hatten.

      Wir beide hatten uns bei einem Cocktail an der Show erfreut und betrachteten amüsiert das Schauspiel, das sich uns bot. Als schließlich Streit in der Menge ausgebrochen war und die Frauen, die bei genauerer Betrachtung mindestens Sebastians Mütter hätten sein können, anfingen, ihm die Kleider vom Leib zu reißen, hatte Rachel Erbarmen mit dem Armen. Wagemutig hatte sie sich zur Bühne vorgekämpft und die eifersüchtige Freundin