Luisa Sturm

Ein ganzes Ja


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Grinsen und ohne ein Wort.

      Ich sehe aus dem Busfenster und die vorbeiziehenden Felder verschwimmen vor meinen Augen, werden zu bunten Farbklecksen, lösen sich auf und mischen sich mit meinen Gedanken. Was wird in den nächsten Stunden, Tagen, Wochen auf mich zukommen? Eine innere Böe erfasst mich und ich sinke tiefer in den Sitz. Eines ist klar. Alles wird völlig anders werden …

      „Becca, wir sind da! Komm, ich zeige dir jetzt, wo das Sekretariat ist“, sagt Manu. Paul berührt mich leicht von hinten, schiebt mich sanft aus dem Bus und die anderen Schüler tuscheln angeregt hinter unseren Rücken. Wieder durchzieht ein schmerzender Stich meinen Bauch. Mit einem Blick bringt Paul die tuschelnden Dorfkinder zum Verstummen. Wow, wie hat er das so schnell gemacht?

      Eine schreckliche, nicht enden wollende Busfahrt, ein Gespräch mit dem Sekretariat und eine absolut fremde Klasse, vor die ich mich gleich stellen muss. Mir ist total übel!

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      „Und hast du Erik Sonnberg, unseren Schulschwarm aus der 11B, schon kennengelernt?“, fragt mich Bille, meine neue beste Banknachbarin, seit genau drei Tagen, die eigentlich Sybille heißt. Bille sieht mich von der Seite an. Wir stehen vor dem Spiegel auf dem Schulklo. Die große Pause ist gleich zu Ende.

      „Ja.“

      Vor zwei Tagen sollte ich bei unserem Nachbarn klingeln und eine Bohrmaschine ausleihen. Obwohl ich mich mehrfach gewehrt habe, kannte mein Papa keine Gnade. Dabei sagt man doch von Italienern, sie seien besonders warmherzig. „Du gehst da rüber und fragst einfach. Ich brauche jetzt eine. Per favore!“ Ich hasse solche Aufträge! Bei fremden Menschen klingeln und dann irgendwas ausleihen müssen. Ätzend! Schlimmer als bei der Matheabfrage vorne an der Tafel rechnen zu müssen!

      Langsam drückte ich die Klingel, die mit „Sonnberg“ beschriftet war. Keine Reaktion, niemand kam. Ich wollte schon gehen, da drückte ich aus einem unerwarteten Impuls noch einmal. Ein Junge, nur in Jeans und ohne Oberteil, riss die Haustür in einem Ruck auf, sah mich verwirrt an. Er war leicht gebräunt, muskulös.

      „Ja, was ist?“ Er klang gestresst, wenig einladend.

      „Ich … äh … wollte … äh …“

      Er sah mich fragend an, wartete auf einen zusammenhängenden deutschen Satz und runzelte die Stirn.

      „Ich … äh … also … mein Vater …“

      „Ist irgendetwas mit dir? Geht’s dir schlecht?“, fragte er genervt.

      „Nein! Nein, ich wollte … mein Vater wollte fragen, ob er, also … ich uns eine Bohrmaschine ausleihen könnte? Er hatte das mit deinem Vater so ausgemacht.“

      Der Junge ging ohne ein weiteres Wort wieder hinein. Stimmengewirr war zu hören. Ich tippelte nervös von einem Fuß auf den anderen. Dann hörte ich wieder Schritte.

      „Die hier? Papa hat sie mir gerade gegeben. Noch was?“

      Er sah wirklich gut aus. Braune Augen, stufig geschnittene, dunkelbraune Haare, breite, sportliche Schultern, eine große, gerade Nase mit einer kleinen, waagrechten Narbe darauf.

      „Ist noch was?“ Die Stirn in Falten legend sah er mich an und wartete ungeduldig.

      Ach, warum war ich so verdammt uncool! Das war doch nur eine blöde Bohrmaschine.

      „Äh, nein, danke fürs Ausleihen. Also dann …“ Ich drehte mich um, spürte, wie mir literweise heißes Blut in meine Wangen schoss, und ich wollte einfach nur so schnell wie möglich wegrennen. Aber ich zwang mich normal zu gehen. Ich hörte noch, wie er ‚Ciao dann‘ sagte und ‚bis bald’, doch ich drehte mich nicht mehr um. Und das ist also Erik Sonnberg!

      Bille zupft schmunzelnd ihre Levis-Jeans an ihrem Po zurecht. „Er ist echt süß. Tolle braune Augen. War er nicht dieses Jahr Jugendmeister im Tennis?“ Bille trägt noch einmal blauen Lidschatten auf ihre Augen auf.

      „Ja, habe ich gehört“, murmele ich. „Es gongt gleich. Wir müssen los. Mach mal fertig. Hast du die Vokabeln gelernt? Meier wollte abfragen.“ Ich sehe mich noch einmal kurz im Schulklospiegel an, der an zwei Stellen schon dunkelbraune Flecken hat.

      „Ach, der Meier. Das Schuljahr hat gerade erst begonnen und schon quetscht er uns nach Vokabeln aus!“

      „Tja, so sind sie, die Lehrer. Die sind wirklich fies!“, stelle ich fest.

      Bille zieht kurz eine Schnute vor dem Spiegel und betrachtet ihre blauen Lider. „Du hast so ein Glück. Erik wohnt direkt gegenüber von dir. Wir sind alle neidisch auf dich.“

      Ich fühle ein leichtes, unbekanntes Kribbeln im Bauch, wenn ich an die Sache mit der Bohrmaschine denke. „Am schönsten sieht er aus, wenn er lacht.“ Ich habe ihn heimlich an der Haltestelle beobachtet, als er mit Kumpels über Fußball gesprochen hat, mich dann aber blitzartig weggedreht, als er zu mir herübersah.

      Bille seufzt. „Ja, das stimmt. Er hat ein sympathisches und ansteckendes Lachen. Wenn er in einen Raum kommt, geht die Sonne auf. Und er ist wahnsinnig hilfsbereit.“

      „Echt?“, frage ich neugierig. Oh Himmel, ich muss unbedingt mehr über ihn erfahren!

      „Ja. Er hat bei dem Umzug seines Freundes Magnus geholfen und stundenlang Kisten geschleppt. Als die Eltern ihm etwas Geld geben wollten, hat er nur lachend abgelehnt.“

      „Das würde nicht jeder machen“, sage ich anerkennend und ertappe mich dabei, dass ich seine Hilfsbereitschaft wundervoll finde.

      „Magnus und Erik verbringen viel Zeit miteinander.“

      „Ja, sie hängen oft zusammen ab.“

      „Bist du in Magnus verknallt?“, frage ich sie direkt.

      „Ich? Was? Nein!“ Ihre Antwort kommt prompt und etwas zu schnell. „OK, na ja. Ein bisschen vielleicht. Mal sehen, was sich ergibt.“ Bille sieht mich an. „Was ich dir übrigens längst sagen wollte. Du hast tolle lange, blonde Haare. So dick und glatt. Eine Million Mark würde ich dafür zahlen.“ Bille’ s Haare sind schulterlang und knallrot getönt.

      Und ich würde eine Million Mark zahlen, wenn Erik mich toll finden würde, denke ich. „Danke, das ist nett von dir.” Aber dafür bin ich klein wie ein Schlumpf. Nur 1,64 Meter, obwohl ich mir bei jeder Sternschnuppe heimlich wünsche ,Lieber Gott, lass mich wachsen und mindestens 1,75 Meter groß werden, dann bete ich auch jeden Tag ein ‚Vater Unser’ oder zwei.’ Glaube nicht, dass das was bringt, Mama ist nur 1,57 m. Auch ein Bonsai. Vielleicht sollte ich noch ein paar ,Ave Marias’ drauflegen? „Komm, wir müssen jetzt wirklich los!“

      Bille stellt sich andächtig ins Profil und begutachtet ihre Oberweite. Neidvoll muss ich mir eingestehen, dass es mindestens eine 80 C ist. Geknickt schaue ich an mir herunter und schätze meine Größe auf 75 Doppel A. Gibt es spezielle Lebensmittel gegen verzögertes Brustwachstum? Nein, ich glaube nicht. Dabei haben alle Frauen unserer Familie einen tollen Busen. Sollte ich zusätzlich ein paar ‚Busen-Vater-Unser’ sprechen? Natürlich teilt Mama meine ‚Oberweitensorge’ überhaupt nicht, sondern meinte nur, ich müsste einfach etwas Geduld haben.

      Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hat mir der liebe Gott auch noch Sommersprossen verpasst, alle auf der Nase und den Wangen. Ein Fünkchen Sonnenschein und schon sind sie da. Das Leben ist nicht gerecht.

      Wir blicken beide in den Spiegel. „Dein Mund ist klasse“, sagt Bille und trägt andächtig rosafarbenen Labello auf.

      „Was? Echt? Du findest meine Unterlippe nicht zu groß?“

      „Bist du verrückt? Deine Lippen sind toll!“

      Nein, sind sie nicht, denke ich. „Na, wenn du meinst. Hörst du, jetzt gongt es. Lass uns endlich losgehen. Ich habe keine Lust, beim Meier zu spät zu kommen. Der nimmt die Gelegenheit beim Schopf und fragt uns aus.“

      Bille zuckt gleichgültig mit