Uschi Ballboa

MidlifePunks


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und dreh mich wieder um, damit ich noch eine kleine Mütze Schlaf bekomme. Ich habe mich im Laufe der Jahre daran gewöhnt mitten in der Nacht geweckt zu werden. Ich kann sogar mittlerweile anhand seiner verschiedenen Weck-Techniken noch im Halbschlaf er-kennen, ob es sich wirklich für mich lohnt, ganz aufzuwachen, weil es einen triftigen Grund gibt. Meistens aber verbleibe ich verständnisvoll nickend im Dämmerzustand und die Geräusche erledigen sich zeitnah von selbst. Ein Musiker mit gutem Gehör ist aber auch von Natur aus gestraft. Die Welt da draußen ist wirklich sehr laut geworden. Die Welt hier drinnen ist nur dann laut, wenn er seine Verstärker fast voll aufreißt. Das muss man, so habe ich gelernt, weil sich sonst der Ton nicht voll entfalten kann. Dann stört ihn die Lautstärke komischerweise wenig bis gar nicht. Der Unwissende denkt vielleicht, laut stört einen Rockmusiker sowieso nicht, aber weit gefehlt. Ja, er ist ROCKmusiker. Konnte ich auch erst nicht glauben, aber so ist es. Und das schon seit vielen Jahren, der jüngste ist er schließlich auch nicht mehr. Stille Wasser sind tief und am Rande schlammig, hat mein Opa immer gesagt. Das scheint gerade auch auf Gitarristen wie meinen bestens zu passen. Diverse Rockcoverbands hat er durch. Schlagerpartyband hat er auch versucht, aber dafür war er wohl in seinem Wesen noch etwas zu unflexibel. Er sollte für die Show einen Gummianzug tragen mit einem Hut, der aussah als wäre es die Spitze eines Präservativs und in einem Käfig stehen. Ich fand’s ganz lustig, er weniger. Wen wundert’s, mich jedenfalls nicht. Da der große Durchbruch noch auf sich warten lässt, verdient er sein tägliches Brot als Gitarrenlehrer, freiberuflich, also auf Honorarbasis.

      Wäre so gar nichts für mich. Da bin ich lieber im Großraumbüro beschäftigt und zwar als Festangestellte. Wenn ich mal krank bin, gehe ich zum Arzt und lass mich krankschreiben, bis ich wieder fit bin. Wenn er sich krank fühlt, geht die Welt schon unter. Wenn er richtig krank ist, also mit Fieber, dann ist das der Vorhof zur Hölle. „Ich muss dahin, sonst kriege ich kein Geld“, und damit hat er recht. Also schleppt er sich, wenn es irgendwie machbar ist in die Musikschule. Jeder Arzt sagt, dass man zuhause im Bett bleiben soll, wenn man Fieber hat. Will er aber nicht wirklich einsehen, weil erstens ich kein Arzt bin und zweitens mir das Geld ja auch nicht fehlen würde. Stimmt beides, nervt mich aber trotzdem. Geld ist Geld und Gesundheit ist Gesundheit. Da habe ich lieber mehr Gesundheit und weniger Geld als andersherum. Aber das sind ja nur die zu leicht gewählten Worte einer Angestellten mit monatlich festem Einkommen. Sogar wenn ich Urlaub habe, bekomme ich Geld. Das findet er zum Beispiel ‚total ungerecht’. Ich hingegen finde es ungerecht, dass er sich nicht wenigstens für mich freut, dass ich durchgängig Geld bekomme. Vom zusätzlichen Weihnachts- und Urlaubsgeld habe ich ihm nie was erzählt.

      Manchmal bekomme ich abends Schulgeschichten aus allererster Hand zu hören: Von Schülern oder ihren Eltern, was wieder passiert oder nicht passiert ist, dass sie mal wieder nicht geübt haben, dass Eltern im Unterricht dabei waren und er nun versteht, warum der Schüler so ist wie er ist, usw. usw. Neben der Meckerei sind an sich zum Teil Geschichten dabei, die mich ernsthaft nachdenklich stimmen, was die Zukunft von uns allen angeht.

      Kommt ein Schüler mit seiner Mutti rein. Sie kriegt kaum die Tür auf, ist über und über mit Plastiktüten behängt, offenbar mit Einkäufen für die ganze Woche. Die eine Hand die noch einkaufsfrei ist, trägt seine Gitarre. Tür aufmachen ging gerade noch, zumachen ist dann schon nicht mehr so einfach. Also bleibt sie offen, die Mutti scheint da flexibel zu sein. Ihr Sohn steht übrigens die ganze Zeit mit offenem Mund und zwei freien Händen daneben. Sie schnauft, legt alles ab und zieht ihrem Sohn die Jacke aus, während ihre andere Hand bereits an der Gitarrentasche nestelt, um das gute Stück ans Licht zu bringen. „So, mein Schatz“, sagt sie als sie fertig ist, „dann hole ich dich später wieder ab“, schultert die Einkäufe und geht Richtung Tür. „Du hast vergessen die Fußbank aufzustellen“, ruft ihr der Kleine hinterher ohne aufzusehen.

      Find ich wirklich richtig geil, wenn Eltern ihre Kinder zur Selbstständigkeit erziehen. So wird man als Kind doch richtig auf das Leben vorbereitet. Da steht der Chef bestimmt auch jeden Morgen an der Tür, begleitet einen die Treppe hoch, nimmt noch schnell die Jacke ab, bevor er einem den PC hochfährt und schon mal den Becher mit Kaffee und einem Schuss Milch füllt, ganz genauso, wie man es gerne hat. Ich habe zwar keine Kinder, wage aber dennoch zu behaupten, dass man im Alter von acht Jahren durchaus in der Lage ist, die Sachen für den Unterricht selbst zu packen, selbst zu tragen und ja sogar sich selbst die Jacke an- und wieder auszuziehen. Na dann läuft ja alles. Zwar rückwärts und bergab, aber es läuft.

      Apropos ‚laufen’: Ein Musiker muss fit sein, wenn er sich spielend dauerhaft die Nächte um die Ohren schlagen will. Meiner macht Sport und geht dazu in die Muckibude. Er stemmt Gewichte, macht Spinning und was weiß ich noch alles. Er braucht das, um möglichst ausgeglichen zu sein. Alles was er da rauspowert, haut er anderen nicht mehr um die Ohren. Es ist besser so und zwar für alle. Ich hatte noch nie das Gefühl, dass Sport auch ein Lebensinhalt sein kann. Ich mache es, weil auch ich weiß, im Alter wird es mit dem Gerippe und den Muskeln nicht besser, aber ich mache es weil ich denke, muss ja und auch nur unregelmäßig. Dabei ziehe grundsätzlich eine Fresse. Ich kann wirklich nichts dafür. Da scheint es einen Automatismus zu geben, den ich nicht steuern kann.

      Unnötig zu erwähnen, dass dann gemeinsamer Sport nicht unbedingt zu einer harmonischen Beziehung beiträgt. Wir haben es tatsächlich mal versucht zusammen ganz locker loszujoggen. Nur so zum Spaß ohne große Ansprüche an das Tempo oder die Streckenlänge. Schon nach 500 Metern hatte ich keinen Bock mehr. Ich voll konzentriert auf gleichmäßige Schritte bei ebensolcher Atmung damit ich keine Seitenstiche bekomme. Er die ganze Zeit am Plappern, was er musikalisch in seinem Leben noch vor hat, tänzelt dabei auch noch frohlockend um mich rum. Ich könnte kotzen, will aber nicht anhalten, wohl aus Angst ich komme dann gar nicht mehr in Schwung. „Was ziehst du denn für ein Gesicht?“, fragt er. Sei mal froh, dass ich dir keine ziehe, denke ich, rolle mit den Augen und schnaufe weiter.

      „Also, so macht Sport auch keinen Spaß! Lach doch mal!“ Ich versuche es. Ganz ehrlich. Aber das reicht ihm wohl nicht: „Lachen, keine Fratze ziehen“, will er mich aufmuntern und läuft und läuft. Das war’s. Ich drehe einfach um, sonst knallt das noch. Man muss auch mal loslassen können, hat mein Opa immer gesagt. Und auch damit hatte er recht. Als er zuhause ankommt, stehe ich schon unter der heißen Dusche und verteile gerade das Shampoo im Haar. Die Badezimmertür fliegt auf. „Bist du da?“. Ich: „Nee“. Er: „Aha, daher kann dich auch nicht sehen. Musst du das Wasser denn immer so heiß machen?“ Ich schweige. Die Tür geht wieder zu. Kaum zu, geht sie wieder auf. „Brauchst du noch lange?“ Ich sage nichts, mache einfach weiter und ignoriere die Geräusche. Da geht mit Ruck die Duschkabine auf und er kommt dazu. Super, wir haben ja auch so eine riesige Dusche. „Was soll das? Ich bin noch nicht fertig.“ „Natürlich nicht. Du bist doch auch gar nicht da!“, sagt er, „Wenn du da wärst, würde ich dich fragen, ob du mir den Rücken schrubbst“. In solchen Momenten kann ich dann auch nicht mehr böse sein, so sehr ich das möchte. Aber komisch im Sinne von eigenartig ist er wirklich öfter als andere Männer, die ich so kennengelernt habe.

      „Mit 50 habe ich eh ausgesorgt“, ist seine Antwort auf meine, wie ich finde, relativ klare Frage, ob wir das Haushaltsgeld zu Weihnachten aufstocken wollen. Ist das jetzt ein Ja oder doch ein Nein? Manchmal kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir einfach keine gemeinsame Sprache sprechen. „Was heißt das jetzt?“, frage ich und will auf den eigentlichen Punkt zurückkommen. „Ich war mal bei einer Wahrsagerin. Die hat das gesagt.“ Als ob damit alles klar wäre. Er merkt wohl, dass ich stocke und legt nach: „Der Erfolg kommt im Ausland.“ „Okay“, sage ich, „aber das ist ja noch ein bisschen hin“, in der Hoffnung er würde jetzt selbst bemerken, dass ich gedanklich immer noch beim Haushaltsgeld-Etat für das nahende Weihnachtsfest bin. „Aber nicht mehr lange – viel Zeit bleibt mir wirklich nicht mehr.“ Oha, er hat wieder innerlichen Künstler-Stress. Offenbar zieht es den Musiker an sich grundsätzlich auf eine richtig große Bühne, mit jubelnden Massen davor und eine Gage, die endlich das honoriert wofür man das ganze Leben geübt und geschuftet hat. Ist auch wieder was, was ich gar nicht verstehe: schon allein bei dem Gedanken, dass ich auf einer großen Bühne stehe und tausende Augenpaare darauf warten, dass ich ihr Leben für einen kurzen Moment verschönere, stockt mir der Atem. Da könnte ich direkt kotzen vor Aufregung.

      Aber was seins ist, muss ja