Uschi Ballboa

MidlifePunks


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„Und Weihnachten?“, versuche ich, nochmal aufs Thema zurückzukommen. „Das machen wir dann natürlich im ganz großen Stil: Wir beide auf dem Bärenfell vor dem knisternden Kamin mit einer Pulle Schampus, während draußen bei tosendem Sturm die peitschende See an unseren hauseigenen Privat-Strand knallt.“ Ja nee, ist klar. Der Herr dreht wieder seinen eigenen Film. „Ich meinte nicht Weihnachten in acht Jahren, sondern jetzt“, versuche ich ruhig zu bleiben. „Jetzt ist erst November, oder? Bis Dezember ist doch noch ewig hin! Ich geh‘ mal üben.“ Und schon isser weg. Ich stehe derweil noch im Flur und wundere mich mal wieder über seine Rechenkünste: Bis er 50 wird, sind es also noch rund acht Jahre, und er hat nicht mehr viel Zeit, aber ein Monat ist noch ewig hin? Komme ich nicht ganz mit, aber wenn es gefühlte Temperaturen gibt dann gibt es bestimmt auch sowas wie gefühlte Zeit.

      Im Laufe der Jahre gewöhnt man sich aber an so schräge Kommunikation, wobei es auch Dinge gibt, an die ich mich gar nicht gewöhnen möchte. Ich habe schon häufiger von Musiker-Frauen gehört, dass sie ständig Angst haben, weil ihre Männer fremdgehen könnten. „Du, da musst du aber IMMER aufpassen. Musiker bekommen ständig Angebote, denen sie nicht widerstehen können“, hat mir mal eine im Vertrauen gesagt, als ich sie fragte, ob sie meinen Gitarren-Mann gesehen hat. Es war eine Zeltfete auf dem Land und Rio ist als Aushilfe eingesprungen. Ich kannte dort keinen; auch diese leicht angespannte Dame nicht. Wir hatten also gerade mal unsere Namen ausgetauscht, als sie mich schon in die Grund-lagen der Musiker-Frauen-Welt einwies. Sie wusste natürlich nicht wo Rio war, musste sie doch stets ihren eigenen Gemahl im Blick haben. Muss ja ein Wahnsinnstyp sein, dachte ich neugierig und hielt Ausschau. „Welcher ist denn deiner?“, fragte ich, weil so auf die Schnelle nirgends was Passendes zu sehen war. „Na, DER da!“, meinte sie, schmiss sich stolz in Pose und deutete auf einen Typen, der sich gegenüber am Thekenrand abstütze. Er sollte wohl lässig wirken, sah aber für mich ganz anders aus. Noch zwei Millimeter lässiger und er schmiert ab, ging sofort mein Kopfkino los und ich fing laut zu lachen an.

      Mal abgesehen von der Haltung, sah er auch noch aus wie ein Eimer. Mit sexy war da nicht viel los. Weißes schwammiges Fleisch in zu enge Jeans gepresst kann einfach nicht gut aussehen. Da haute sein doch recht cooles Wacken-Shirt auch nix mehr raus. Der geht auf keinen Fall zum Sport, damit er die Nächte gut durchhalten kann. Wobei, als Schlagzeuger darf man ja auch sitzen. Das kann man natürlich auch zuhause trainieren. Allerdings scheint er grundsätzlich darauf zu achten, dass er bei den Auftritten auch genug trinkt. Hicks. Und da fiel es mir auf einem Mal wie Schuppen aus seinen Haaren: Wahrscheinlich hat seine Frau ein großes Interesse daran, ihn so hässlich wie möglich zu halten, damit sie nicht allzu viel Angst haben muss, dass ihr dieses Prachtstück jemand abspenstig machen will. Meine Reaktion hat sie wohl etwas irritiert. „Ach“, rief ich ihr zu, „ich freu mich nur. Hab‘ meinen gerade entdeckt. Dann mach’s mal gut und Danke für die Tipps. Ich geh meinem gleich morgen eine Leine besorgen.“

      Aus solchen Situationen fliehe ich gerne, denn wenn ich jedes Mal das sagen würde, was mir im Kopf rumgeistert, hätte ich schneller Stress als ein Satanist auf dem Kirchentag. „Erst mal weg hier“, dachte ich, strömte Richtung Ausgang auf der Suche nach dem Klo-Wagen. Und da zog es mich schon an meinem linken Ärmel hinter einen Pfeiler. „Ich hab‘ dich schon gesucht. Wo warst du denn?“, wollte Rio wissen. „Ach, gibt’s ja nicht. Ich dich auch. Und da hab‘ ich mir gleich mal deine Konkurrenz angesehen, falls du später fremd gehen willst. Sieht ganz gut aus für dich.“ Und dann kam auch schon der Einspieler zum Einläuten des nächsten Sets. Rio ging auf die Bühne und ich in die andere Richtung, möglichst weit weg von des Schlagzeugers Weib. Auf der Rückfahrt so gegen vier Uhr morgens freuten wir uns beide, dass wir da raus sind. Top40 Coverbands sind nichts für Rio. Das macht er wirklich nur fürs Geld. Da ist er Musiker-Nutte, wie er selbst sagt.

      Das Klientel von Zeltfeten ist nichts für mich. Ich komme mit den Leuten einfach nicht klar, bzw. trinke ich nicht genug, um eine gemeinsame Kommunikations-Ebene zu finden. Mir fehlt es definitiv am Lall-Faktor. Mal sehen, ob ich mich da vielleicht irgendwann mal über einen VHS-Kurs weiterbilden lassen kann. Rio bei solchen Veranstaltungen ständig zu begleiten, kann unter den momentanen Umständen nur die Ausnahme bleiben. Das schaffe ich nicht. Wird Zeit, dass der Mann richtig berühmt wird und andere Bühnen bespielt.

      Und so entschied ich, das nächste Event dieser Art auszulassen und es mir stattdessen mit Gesichtsmaske und einem Pott Eis bei einem Frauenfilm auf dem Sofa gemütlich zu machen. Ein Weiberabend ganz mit mir alleine, mit einem Schmusefilm meiner Wahl und mit so vielen Pinkelpausen, wie ich sie brauche, ohne diskutieren zu müssen. Tolle Aussichten! Maske ist drauf, der Film eingelegt und ich öffne gerade die Eisverpackung. Da klingelt mein Handy: Rio is calling. Es ist jetzt kurz vor 19 Uhr und bei ihm geht es erst um 20.30 Uhr los. Der Soundcheck scheint also gemacht und er langweilt sich. „Das Warten kotzt mich am meisten an“, sind dann auch seine zärtlichen Worte zur Begrüßung. „Also alles wie immer“, sage ich und drücke den Deckel wieder auf die Eisverpackung, denn das kann länger dauern. „Isst du etwa Eis?“ Donner-wetter, was der alles aus Geräuschen erkennen kann! Sozusagen der Mister Marple des Telefon-Hör-Krimis. „Ja“, antworte ich und wundere mich eigentlich, dass er nicht auch noch die Sorte nachschiebt. „Ohne mich?“ „Stimmt“, sage ich, „du bist ja auch nicht da.“ Das sollte gar nicht vorwurfsvoll klingen, sondern nur eine Feststellung sein. „Ich rackere mich hier ab, damit wir mit 50 ausgesorgt haben und du hängst auf dem Sofa und frisst Eis ohne mich?“ Bei Essen, von dem er nichts abkriegt, hört sein Spaß auf. Find ich eigentlich frech, denn warum soll ich mir nichts gönnen, nur weil er nicht da ist? Mir fallen tausend Sachen ein, die ich ihm an den Kopf knallen könnte, aber ich atme tief durch und versuche es mit Humor: „Wenn wir mit 50 ausgesorgt haben, dann bin ich übrigens erst 40 und wenn die Gesichtsmaske, die ich gerade im Gesicht habe, so gut ist wie es draufsteht, dann sehe ich dann womöglich sogar nur aus wie 30. Und wenn du so weiter meckerst, dann stelle ich das Eis sofort wieder ins Eisfach und suche mir noch heute Abend einen jüngeren und größeren mit Haaren.“ „Ich mein‘ ja nur“, sagt er und lenkt ab „kann man optisch mit so einer Maske wirklich 10 Jahre rausholen? Dann will ich sowas auch.“

      Natürlich will er das dann auch. Das Alter ist etwas, von dem er nicht so gerne spricht, sich aber doch ständig damit auseinandersetzt. Nicht, dass er es grundsätzlich schlimm findet alt zu werden. Die Voraussetzung bleibt ja auch bestehen älter werden zu müssen, wenn man die 50 anpeilt, um endlich ausgesorgt zu haben. Und klar ist es ärgerlich, wenn man an manchen Castings nicht teilnehmen kann, weil dort gerne so bekloppte Altersgrenzen eingebaut werden, aber ‚so what’ würde der Ami sagen. Und mal ehrlich, wenn da eh nur junges grünes Musik-Gemüse gewollt ist, was man noch schön hübsch fürs Business zurechtbiegen kann, dann ist Rio bei denen ohnehin falsch. Da hat keiner Lust auf Diskussionen mit einer ausgewachsenen Rockbanane, die zudem noch ihren eigenen Kopf hat und sich im Laufe der Jahre bereits selbst zurechtgebogen hat. Alte Bäume verpflanzt man nicht und alte Bananen bekommt man nicht mehr grün. Es gibt Dinge, die kann man nicht ändern. Die muss man so nehmen wie sie sind. Außerdem wird er sowieso grundsätzlich für jünger gehalten, also verstehe ich den Aufriss sowieso nicht so ganz.

      Neulich war er wieder beim jährlichen Fitness-Check im Sportstudio. Dafür muss man sein Alter angeben. „Diesmal“, berichtet er stolz im Anschluss „habe ich ehrlich gesagt, wie alt ich bin!“ „Und?“, frage ich „hat’s doll weh getan?“ „Die wollten das aber nicht glauben“, ignoriert er meinen ketzerischen Einwand und grinst mich an, die linke Augenbraue leicht hochgezogen. Ich nenne sie heimlich die ‚Provokations-Braue’. Wenn die kommt, so weiß ich mittlerweile, muss man aufpassen. „Ach, das ist ja ein Ding“, versuche ich daher möglichst neutral zu bleiben. „Ich bin topfit für einen 32-jährigen!“, sagt er, freut sich wie Bolle und schwingt seinen eigentlich zehn Jahre älteren Body unter die Dusche. Die einzige Frage, die für mich somit noch weiterhin offen bleibt ist die, ob die Wahrsagerin damals nun die echte 50 oder doch die gefühlte 50 (also bei ihm die 60) vorausgesagt hat. Bitte lass es die echte 50 sein, sonst brauche ich noch einen längeren Atem. Wie auch immer: Ich werde es mitkriegen, soviel steht fest.

      Freu dich bloß nicht zu früh

      „Verdammt nochmal! Ich habe keine Socken mehr. Wo sind die alle hin?“ Ich bin heute schon genervt aufgestanden, weil er die