Uschi Ballboa

MidlifePunks


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Das wäre dann meine letzte Frage gewesen. Die kann ich schon mal streichen. Als ich mit Rio nachhause fahre, bin ich womöglich auch bedingt durch die Kurzen in richtig frohlockender Stimmung. Es fühlt sich fast schon so an, als hätte ich eine Band. Am nächsten Morgen habe ich ordentlich Helm und denke mir wie anstrengend es doch ist, Musikerin zu sein. Da klingelt das Telefon. Es ist Gertud. „Ich habe mir eine E-Gitarre von einem Nachbarn besorgt, wann fangen wir an?“ Manchmal denke ich, Gertud und Rio wären auch ein prima Paar geworden. Wie auch immer. Bei mir kommt dank Gertrud jedenfalls merkbar Dampf auf den Kessel, was meine zukünftige Hobby-Karriere angeht, die ich bis vor kurzem noch gar nicht angestrebt hatte. Läuft also bei mir im Gegensatz zu Rio. Der steht momentan eher auf der Stelle, denn was er als gestandener Musiker kurioserweise nicht hinkriegt, ist eine eigene Band; also keine Top40-Musiker-Nutten-Band, sondern eine mit eigenen guten Songs, mit denen Mann sich hinstellen kann und er selbst bleiben darf. Es gab da bereits diverse Versuche, aber lange hielt das nie wirklich.

      Er hat mich auch schon gefragt warum das wohl so ist, dass keiner mit ihm spielen will. ACHTUNG! An solchen Stellen ist in der Konversation mit einem Musiker höchste Vorsicht geboten. Warum ist das wohl so, dass keiner mit ihm spielen will? Gute Frage. Ich spiele das gedanklich durch und komme zu dem Entschluss, dass es nichts auf musikalischer Ebene sein kann, denn da ist er echt Hammer. Er ist ein saugeiler Gitarrist und dabei nicht nur schnell, sondern auch groovig. Er zaubert Kompositionen, die richtig nach vorne gehen. Und er ist eine mächtige Rampensau, auch wenn er das im Alltag mehr als gut zu verstecken weiß. Aber stille Wasser sind tief und am Rande schlammig. Woran liegt das also? Vielleicht liegt es ja auch einfach daran, dass alles komplizierter wird, je mehr man kann und je höher der eigene Anspruch ist. Wer weiß, vielleicht kriegen wir das ja noch raus. Die Weiber-Band-Besetzung ist übrigens recht zügig komplett. Neben einer Bassistin und Gitarristin, die nichts können, haben sich nun auch eine Schlagzeugerin und eine Singstar-Sängerin gefunden, die sich auf gleichem Low-Level bewegen. Irre, wie sich Dinge manchmal so entwickeln. Dabei habe ich vor ein paar Wochen nur mal laut überlegt, was ich mir denn für ein hübsches Hobby suchen könnte. Weder Band, noch Bass waren meine Ideen und nun habe ich beides. „Passt eigentlich auch ein Saxophon in eine Punkband?“ Gertrud macht mir langsam Angst. „Warum?“, frage ich vorsichtig. „Ich habe eine Kollegin, die will unbedingt mitmachen und spielt Saxophon in einer Bigband.“ „Dann kann die also im Gegensatz zu allen anderen schon was?“, wage ich einzuwenden.

      „Ja, aber von Punk hat die keinen Schimmer, dann passt das doch wieder, oder?“ Man beachte die feine Argumentationstechnik, da habe ich wohl kaum eine Chance. Ja, warum dann zum Teufel eigentlich nicht? Ist eh schon verrückt genug das Ganze, dann fällt sowas gar nicht mehr wirklich ins Gewicht. „Ich hab‘ jetzt auch eine Saxophonistin und die kann sogar was“, spiele ich mich beim Abendbrot etwas auf. Wenn man sich etwas dran gewöhnt hat, ist ein Punk-Sax fast schon innovativ. Rio guckt mich mit zusammengekniffenen Augen geduckt über den Küchentisch an. „Ich denke du machst eine Punk-Band?“ „Mach ich ja auch.“ „Mit Saxophon? Wo gibt‘s denn sowas?“

      Dumme Frage eigentlich. Er selbst hat mir doch in seiner ach so kreativen Denke hübsch anschaulich erklärt, dass, wenn man etwas nicht kann und es trotzdem tut, dann ist das Punk. Wenn Punk sich hochoffiziell nur auf bestimmte Instrumente beschränkt – hätte er mir das nicht sagen können? Nun ist zu eh zu spät. Ich hab‘ schon zugesagt und meine Band setzt sich wie folgt zusammen: Gitarre = Gertrud. Gesang = Gerda. Schlagzeug = Gabriele (will gerne Gabby genannt werden). Saxophon = Gloria. Bass = Uschi. Gertrud hat übrigens schon festgelegt, dass jede, die singen möchte auch singen sollen darf. Weil das können wir ja alle auch nicht wirklich. Auch ein Band-Motto hat Gertrud schon gefunden: Wir können nix und tun es trotzdem. Mein logistisches linkes Hirnteil ist schon angesprungen und ergänzt die Liste der fehlenden Dinge: Mikrofone, -ständer,- kabel. Vielleicht hat Rio ja noch was Gebrauchtes in seinen tausend Schubladen im Musikzimmer. Ich frag ihn mal, wenn es konkreter wird.

      Das erste Auftakttreffen zum Kennenlernen aller fand bei uns zuhause statt. Alle haben sich auf Anhieb gut verstanden, wenn auch alle sehr unterschiedlich sind. Es floss viel Sekt, Pläne wurden geschmiedet wie wir jetzt weiter vorgehen können-wollen-werden und am längsten von allem hat es gedauert, einen Namen zu finden. „Die Fünf lustigen Vier“, haut Gloria raus. „Dann will ich aber nicht die Fünfte sein, wenn nur vier lustig sind“, lacht Gabriele. „Wie wäre es mit Lebende Shorts?“, fragt Gerda. „Watt?“, die Runde wundert sich. „Na, in Anlehnung an die Toten Hosen nennen wir uns Lebende Shorts“, ergänzt Gerda, „Das ist doch voll lustig.“ Stimmt, ein bisschen schon, aber der Knaller ist das irgendwie noch nicht. Gertrud hat sich diesbezüglich bisher zurückgehalten, fährt nun aber voll auf: „Ich bin für Muddis Revenge oder Lattenkracher oder Menstru-Action.“ „Menstru-Action ist geil“, ruft Gabriele. „Find ich gar nicht geil“, ist Gloria dagegen, „wenn ich bei unserem Namen immer an monatliche Blutungen denken muss!“ „Wir bluten eben für die Musik und machen voll action! Das passt doch!“, nimmt Gabriele den Vorschlag von Gertrud in Schutz. Gloria überzeugt das allerdings nicht. Das werden wir heute wohl nicht mehr lösen können. Der Sekt ist auch alle. Schade.

      Am nächsten Tag habe ich einen ordentlichen Helm. Ausnahmsweise holt Rio Brötchen. Man sieht mir wohl an, dass ich noch den Sekt von gestern abbauen muss. „Der Kaffee ist ja noch gar nicht fertig“, höre ich Rio rufen, als er wieder da ist. Ich war wohl wieder eingenickt. Da es aber keine Frage war, erachte ich eine Antwort auch als nicht zwingend notwendig. Kriegt er schon hin, macht er sonst ja auch, während ich die Brötchen hole. Aber da habe ich falsch gedacht, denn die Schlafzimmertür fliegt auf und Rio will mir die Decke wegziehen. Offensichtlich sieht er die Kaffeezubereitung heute ganz eindeutig in meinem Aufgabengebiet, weil er ja Brötchen holen war. „Lass das“, rufe ich. „Du musst Kaffeekochen.“ Ach guck, so hatte er das gemeint. Aus einer reinen Feststellung ist auf dem Weg nach oben ganz flugs eine Aufgabe für mich geworden. So schnell kann’s gehen. Ich hieve meinen schlaffen Körper aus dem Bett, schiebe Rio an die Seite und gehe wortlos die Treppe runter in die Küche. Dort schnappe ich mir die Kaffeebohnen und gebe fünf Löffel davon in die Hand-Kaffeemühle. Wir mahlen den Kaffee noch selbst. Da gibt es bestimmt nur noch wenige, die das so machen. Auch ich habe mich darüber gewundert, als Rio in mein Leben kam und als ich mal nachgefragt habe, ob das nicht ein bisschen umständlich ist in der heutigen Zeit, wurde ich schnell auf Kurs gebracht. „Alles andere schmeckt scheiße“, wird mir erklärt, „Ich weiß wovon ich rede!“ Wenn er das sagt, dann tut er das auch, denn er hat sich durch insgesamt 15 Kaffeesorten (gemahlen und ganze Bohnen) getrunken und mittels variablen Mischungsverhältnissen herausgefunden, welche die Beste ist. Doch damit nicht genug, denn erst der verwendete Zucker bestimmt durch Art und Menge den Erfolg des morgendlichen Kaffees. Auch da hat er sich durchprobiert und herausgefunden, dass brauner Krümelkandis erst so richtig Kick ins Bohnengetränk zaubert.

      Zusammenfassend unterliegt die Kaffeezubereitung bei uns einer sehr strengen Vorgehensweise, an die auch ich mich ausnahmslos zu halten habe, weil ich ja im Detail vom Profi angelernt wurde. Man kann es aber auch übertreiben. „Hast du mehr als fünf Löffel genommen?“, fragt er mich als ich das Wasser in die Kaffeemaschine kippe. „Nein“, sage ich, „fünf Löffel wie immer.“ „Warum ist dann das Bällchen drüber?“ Hmm, welches Bällchen und wo drüber? Während ich noch darüber nachdenke, ob es was mit meinem Mettbällchen von neulich zu tun haben könnte, tippt er schon leicht hektisch gegen den Wasserstandsanzeiger. „Na da, das Bällchen ist über der Fünf und nicht drauf“, sagt er, „dann schmeckt der nicht.“ Doch, denke ich mir, der schmeckt. Er schmeckt nur ein Ticken anders als sonst. Stell dich nicht so an. Laut traue ich mich das allerdings nicht zu sagen und denke stattdessen darüber nach, wie ich meinen Fehler beheben kann. Das geht Rio offenbar nicht schnell genug: „Lass mal den Profi ran! Das kann man sich ja nicht mit angucken.“ „Der hat aber heute, frei habe ich gehört“, raune ich ihm zu und mache ein breites Kreuz, damit er nicht an mir vorbeikommt. Ich lass mich doch nicht umsonst aus dem Bett scheuchen. Soweit kommt es noch. Ich suche mir einen Strohhalm und sauge das überschüssige Milliliterchen Wasser wieder ab. Rio steht dabei in leicht gebückter Haltung mit fokussiertem Blick schräg hinter mir. „Nicht zu viel“, mischt er sich schon wieder ein, „sonst...“ „Jaaaaa, sonst schmeckt der nicht“, vollende ich seinen Satz, nachdem ich einen kleinen Rest aus dem Strohhalm habe zurücklaufen