Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln


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hatte.

      Taumelnd stand Zach von der Matratze auf und ging in das kleine, mintgrün gekachelte Badezimmer. Ließ dort die Wanne – ein wahrer Luxusartikel seiner Wohnung – heiß volllaufen, bis der Raum unter dichtem Nebel stand, und zog die zerknitterte Kleidung aus. Neben sich stehend, betrachtete er die Narben auf seiner Haut.

      Die meisten stammten aus der Zeit vor Molly. Erst mit ihrem Wissen waren es weniger geworden. Eine der ältesten war die Schramme an seiner rechten Hüfte. Zach wusste nicht, woher sie stammte, aber man sagte ihm, er habe sie schon als Baby davongetragen.

      Wer weiß, was er angestellt hatte. Irgendwas war ja immer mit ihm.

      Langsam ließ er sich in das Wasser hineingleiten.. Seine verspannten Muskeln entkrampften und das Leiden in der Wirbelsäule ging etwas zurück.

      Seine Augen blickten hoch an die mit Raufaser tapezierte Decke.

      Die Zeit floss vorbei, ohne, dass er sich rührte. Nur seine Brust hob und senkte sich flach und die Augen blinzelten, sonst war er wie erstarrt.

      Zuerst dachte er an gar nichts. Die Gedanken kamen von ganz allein und am liebsten hätte er sie wieder ausgesperrt, denn er wollte nicht an sich und sein Elend denken. Er wollte gar nichts mehr.

      Trotzdem, für ihn ging es weiter. Dieser Tag und die Nacht, um Geld zu verdienen. Und morgen wie übermorgen. Woche, Monat, Jahr.

      Für Molly war Schluss. Ihre Wohnung wurde gereinigt, neu verputzt und vermietet an irgendwen, der sich diese Quadratmeter leisten konnte. Ihre Einrichtung und Kleider wurden verschenkt, verkauft, gespendet. Sie hinterließ einige Erinnerungen und eine Lücke in seinem mageren Herzen, das sonst für niemanden Platz hatte. Aber schlichtweg war das alles.

      „Scheiße!“, schimpfte er und regte sich endlich in der Wanne. Vergrub seine großen Hände in dem nun nassen Haar auf seinem Kopf und wollte wie früher vergessen, was war und ist. Bloß besaß er ein gutes Gedächtnis, auch wenn es etwas zerstreut war.

      Alle Fehler, die er begangen hatte, kehrten in seinen Geist zurück. Alles, was er je kaputt gemacht, vernichtet oder verletzt hatte, es kam aus der Verdrängung hervor.

      Die ganzen Prügeleien im Waisenhaus, in denen er getobt und geschrien hatte, weil die Leute sich von ihm wegen irgendeinem schlechten Gefühl abwendeten. Ihn alleinließen, vergessen und verlassen, bis sein Zorn explodierte und man ihn aus Furcht mied wie eine Krankheit.

      Sein Fluch sollte jedem das Glück nehmen, außer ihm selbst.

      War es nicht seine Schuld? Er hatte vergessen, die Kerze zu löschen, sodass ein Feuer die erste gemeinsame Wohnung von Patrick und Ines zerstörte. Und brach Patrick sich nicht seinetwegen den Beckenknochen, dass er für den Rest seines Lebens im Rollstuhl blieb, weil Zach versehentlich gegen die Leiter stieß, auf der er zugange war? Ines verbrannte sich die Hände, da er in der Küche den Herd vergessen hatte abzuschalten. Und wie oft musste er die Schule wechseln, weil er mit den anderen Schülern ständig in Streit geriet und sie verwundete?

      Seine Einsamkeit verwandelte sich in Wut und musste raus. Je mehr man sich von ihm entfernte, umso wütender wurde er und ließ es alle spüren.

      Er wollte geliebt werden und versuchte mit aller Kraft, gut zu sein, aber nie war es richtig. Er handelte immer falsch, zog das Schlechte an und brachte Leid. Wer konnte unter diesen warnenden Vorzeichen so etwas wie Liebe für ihn empfinden?

      Allein der Wunsch war närrisch.

      Die Welt ließ ihn von Geburt an im Stich. Er war eine wandelnde Plage der Menschheit.

      Und jetzt war auch noch die letzte Person gestorben, die ihn akzeptiert hatte, wie er war. Die einzige Person, die ihn ... jemals ... ehrlich ...

      „Monica ...“, wisperten seine Lippen ihren Namen, während Tränen in das Wasser tropften.

      Er gab bei Roxane Geld für neuen Alkohol aus.

      Die hatte natürlich von Mollys Tod erfahren und wusste, wie gut er und sie befreundet waren. Obwohl Gefühle im Hafen unangebracht waren, drückte die Frau ihm ihr Beileid aus. Selbst Lili erwachte aus ihrem Dauerdelirium und trank auf das Wohl der Verstorbenen.

      Beinahe wäre Zach wieder in Tränen ausgebrochen und somit verschwand er schleunigst, bevor es so weit kam.

      Am Pier stehend, sah er hinaus auf das eisgraue Meer und trank, solange der Schnaps keinen Frost ansetzte. Bei dieser Kälte konnte das schon mal passieren.

      Rache lenkte ihn von seiner Trauer ab und vom Alkohol beflügelt kamen ihm wunderbare Gedanken, wie er Enki und Armin für seine Freundin könnte büßen lassen.

      Langsam auf jeden Fall.

      Um Armin machte er sich wenig Sorgen. Wäre der erst mal von seinen Bodyguards getrennt, war er ihm hilflos ausgeliefert und nur noch ein gutes Stück Filet, welches weich geklopft werden musste.

      Der Killer war ein schwierigeres Problem. Enki war im Umgang mit dem Messer besser als Zach. Ihm galten Namen wie „Meisterklinge“, „Winterschakal“ und „Todeschirurg“. Für kein Geld der Welt würde es jemanden geben, der sich mit ihm freiwillig anlegte. Es grenzte an ein Wunder, dass er die Begegnungen mit diesem Kerl überlebt hatte, um ihm eine Art Erzfeind zu sein.

      Zach grinste in die Flasche. „Eisengrind“ hieß Enki nicht.

      In einem Schnellimbissrestaurant nahe der Innenstadt bestellte er ein halbes Dutzend Cheeseburger zum späten Mittagessen und setzte sich in den hintersten Winkel des Raumes an einen der Tische. Das klägliche Mal schmeckte weich und pappig, einfach widerlich, doch der Hunger trieb es hinein.

      Zach war e weiterhin im Kopf beim Pläneschmieden. Was er aß, war egal. Statt Rind hätte ebenso Ratte auf den Burger sein können – was geschmacklich wohl keinen großen Unterschied machen würde.

      Sollte er seine Rache wirklich durchziehen können, wäre es ratsam, gleich darauf die Nordstadt zu verlassen. Armins Leute würden ihn sicher jagen und nicht ruhen, bevor er kalt bei den Fischen lag.

      Gut, dass er nichts besaß, das mache einen plötzlichen Aufbruch leichter. Jemanden verabschieden musste er auch nicht mehr.

      War nur die Frage, wohin er gehen sollte? Überall würde ihm das gleiche Elend begegnen wie hier. In jeder Stadt gäbe es einen Slum, Nutten und Glücksspiel. Wieder konnte er sich eine halbe Existenz aufbauen und versacken, bis der Tod an seiner Tür klopfte. Wieder konnte er Menschen ins Unglück stürzen und -

       Verdammt, ich muss endlich mal lernen, positiv zu denken! Schluss mit dem Selbstmitleid, es geht hier um Molly, verflucht!

       Zurück zum Thema Rache ...

      Da ging die Türglocke und neue Gäste betraten das Lokal, die seine Aufmerksamkeit ablenkten. Ein Paar im mittleren Alter, beide ordentlich und unauffällig gekleidet, der Mann wurde langsam licht im Haar. Eigentlich hätte er sie keines Blickes gewürdigt, jedoch waren sie in Begleitung eines großen Hundes.

      Bekanntlich hatte Zach etwas gegen Hunde.

      Das Pärchen ging im Gastraum herum und versuchte, im höflichen Tonfall, mit den anwesenden Kunden ein Gespräch zu führen. Einige winkten freundlich ab, andere redeten bereitwillig. Letzteren wurde im Verlauf der kurzen Zeit ein Prospekt gereicht und schon zogen die zwei weiter.

      Wenn Zach diese Leute nicht schon wegen des Hundes hasste, dann wegen ihrer Werbung und so betrachtete er sie recht verdrießlich, als sie zu ihm an den Tisch kamen.

      Der Hund fing an, sein vorstehendes Bein zu beschnüffeln und er zog es rasch weg.

      „Keine Angst, der beißt nicht“, sagte die Frau mit einem Lächeln und machte keinerlei Anstalten, den Hund von ihm wegzuziehen. „Er ist nur groß, aber sonst lammfromm.“

      „Das gilt für den Köter, doch nicht für mich!“, knurrte Zach sie an und seine Worte zeigten offenbar Wirkung. Leicht mürrisch nahm sie die Leine kürzer und überließ ihrem Partner das Reden.

      Der