Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln


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hatte ich dich aufgegabelt. Ich war damals total baff, dass du das Spektakel überlebt hast. Ich dachte, du hättest nicht alle Tassen im Schrank!

      Für einen kleinen Jungen ist das hier ein übles Pflaster und Armins Männer sind Ausgeburten der Hölle. Er selbst ist beileibe kein Dummkopf.“

      „Hey, so klein war ich nun auch wieder nicht ...“

      „Trotzdem, ohne meine Unterstützung hättest du hier kein Jahr durchgehalten. Geschweige denn von neunzehn Jahren.“

      „Ich bin dir ja für deine Hilfe auch dankbar, Molly“, seufzte er tief, „aber heute bin ich nicht mehr so wie damals ...“

      „Und wie bist du heute?

      Du erzählst nie viel von dir, Zach, doch ich gehöre wohl zu denen, die dich am besten kennen, oder?

      Wenn du mit achtzehn auf einem rebellischen Trip der Selbstzerstörung warst und dir alle Welt zum Feind machen wolltest, bis du heute nicht viel anders. Nein, sogar noch gefährlicher, denn nun hast du auch noch Erfahrung.“

      „Ist doch egal, wie ich bin und wer ich war“, wich er ihr aus. Das Thema war ihm unangenehm.

      „Natürlich“, zuckte sie die Schultern, „mich geht es wenig an, solange du mit dir klarkommst.“

      „Komm ich. Ich hab dir das Wesentliche erzählt, belass es dabei ...“

      Molly griff nach ihrer Schachtel Zigaretten und zündete sich eine an. Mit einem Rauchschwall zählte sie auf: „Ja, ich weiß, was du mir sagtest ...

      Niemand wollte dich haben, weder deine leiblichen Eltern, noch die im Waisenhaus. Und deinen Adoptiveltern warst du mehr eine Last als ein Segen, also bist du weggelaufen.

      Ich habe von solchen Schicksalen schon hundertfach gehört und für keines dieser Leben ging es je gut aus. Kinder sollten Liebe erfahren, denn sonst werden sie nur zu grausamen Menschen. Von denen haben wir hier genug.“

      „Du machst dir Sorgen um mich?“

      „Klar. Ich befürchte, dass du irgendwann deinen letzten Winter erleben wirst. Ich sehe dich eines Tages im Schnee liegen – tot – und dabei muss du nicht einmal durch einen Feind gestorben sein.

      Du bist ein kluger Junge. Und deshalb leidest du in dieser kalten, dummen Welt mehr als jeder geistlose Penner von der Straße.“

      Unruhig fing Zach an, auf dem Sitz hin und her zu rutschen. Er hatte das Bedürfnis, den Raum zu verlassen, die Fortführung dieses Gespräches zu meiden. Über sein Gefühlsleben wollte er mit niemanden debattieren, selbst mit Molly nicht.

      „Wer hätte gedacht, dass du so ein tiefsinniger Kerl bist, Zach. Aber im Suff hast du zu viel geredet, und das machte mir Angst. Vielleicht habe ich nicht entsprechend reagiert, ich war schließlich auch nicht mehr ganz nüchtern ...“

      „Bitte lass das, ich will nicht wissen, was -“, doch achtete sie seine Unterbrechung mit keiner Silbe.

      „Du fühlt dich deplatziert in diesem Leben? Damit bist du nicht allein. Du hast Fehler gemacht? Ich auch, mehr als genug. Alles erscheint dir sinnlos? Das ist unser Dasein, wir können es leider nicht ändern, Schatz ...“

      Er schüttelte den Kopf und raunte dunkel: „Erzähl von anderen Dingen, aber nicht davon! Ich will nicht daran denken!“

      „Ich kann verstehen, dass du nicht darüber reden willst -“

      „Eben, ich will nicht“, erklärte Zach bestimmt. „Ich will nicht über das reden, was war. Hier ist mein Leben und ich weiß selbst, dass es nichts bringt, und trotzdem lebe ich noch immer. Du machst dir umsonst Gedanken, Molly.“

      „Du sprichst wieder wie ein Kind, das wegläuft“, seufzte sie.

      „Und wenn, dann lass mich, ich bin nicht dein Kind -“, und prompt, dass er das sagte, biss er sich auf die Zunge. Das hatte er nicht gewollt, es war ihm nur rausgerutscht.

      Mollys Gesicht wirkte wie in Stein gemeißelt und zugleich ähnlich dem Leiden ihrer geliebten Madonna persönlich. Warum sie dermaßen an ihrem Gott und Jesus festhing, war ihm doch bekannt gewesen, aber in seiner aufkommenden Wut trampelte er alles nieder.

      Stets verletzte er die, die ihm nahe waren.

      „Tut mir leid“, gab Zach reumütig zu.

      „... mir auch“, sagte sie leise. „Du hast recht. Ich bin nicht deine Mutter und du bist alt genug.“

      „Trotzdem. Du meintest es nur gut und ich werde gleich ... so. So wie immer.“

      Schweigend saßen sie einander gegenüber. Die Tassen und Teller waren leer.

      Langsam machte Molly sich daran, sie wegzuräumen und dabei sagte sie leichter: „Ist alles okay, Zach. Mach dir keinen Kopf, das kratzt mich schon lange nicht mehr. Sieh es als Ausgleich dafür, dass ich dich die Nacht falsch angefahren habe.“

      „Würde ich ja gern, aber ich kann mich nicht so gut an das Gesagte erinnern“, versuchte er sein übliches Grinsen.

      Sie stupste ihn gegen die rechte Schulter und donnernde Schmerzen schossen durch seinen Körper ins Hirn hinauf.

      „Ups“, spielte sie die Unschuldige, „dann war das die Quittung.“

      „A-akzeptiert“, japste er. „Gottverflucht, Frau, du bringst mich noch mal um ...“

      Schon klapste sie ihm an den Hinterkopf. „Und fluche nicht auf Gott.“

      Im Laufe des Tages sprachen sie über erfreulichere und banalere Themen. Während Zachs Rücken und Kopf langsam besser wurden, zerstreute Molly seine trüben Gedanken mit Klatsch und Tratsch aus dem Untergrund. Es interessierte ihn zwar nur halbherzig, ob Nutte A sich mit Nutte B wegen eines Typen stritt, oder welche Bar mal wieder kurz vor dem Bankrott stand, aber wenn Gangs gegeneinander antraten oder Großbosse Banden übernahmen, war das recht praktisches Wissen.

      Dass beide auch erneut im Bett zusammen landeten, war eine gute Ablenkung und nicht zuletzt trank er – trotz des gestrigen Übermaßes – ein paar Bier.

      Alkohol, Sex, Leben. Alles für den Augenblick, allein, um den nächsten Tag noch zu erleben. Oder das ganze Jahr. Vielleicht sogar dreißig, vierzig, gar fünfzig Jahre, sollte er derart lang im Hafen bleiben.

      Würde er den Rest seines Daseins im Altersheim verbringen? Sich von nörgelnden Schwestern pflegen lassen, Windeln tragen, unnütze Tabletten schlucken und jammernd daran zurückdenken, was er mal für ein Mann gewesen war? Killer in Rente, sein Messer zum Küchenutensil verkommen.

       Was für eine Horrorvorstellung.

      Er dachte eindeutig zu viel nach.

      „Ich habe nichts dagegen, wenn du heute Abend noch bleiben möchtest“, sagte Molly in einem besorgten Ton und reichte ihm seinen schwarzen Mantel, der sauber nach Weichspüler roch. Wenn Zach sich recht entsann, war dies wirklich das erste Mal gewesen, dass das Ding gewaschen wurde ...

      Er nahm das gute Stück auf und schüttelte den Kopf. „Nein, lass mal. Ich hock hier schon viel zu lange rum, das ist mir nichts.

      Außerdem soll auf meinem Grabstein nicht stehen, ich hätte den Schwanz vor der Dunkelheit eingezogen. Bin doch selber groß und böse.“

      Sein dreistes Grinsen erwiderte sie schwächer und antwortete: „Ja, ich weiß. So ein Ruf passt nicht zu dir.

      Trotzdem, die Nächte sind noch nicht sicher“, und Molly sah durch die Eisblumen an der Fensterscheibe nach draußen.

      „Ich habe irgendwie ein schlechtes Gefühl“, gestand sie ihm. „Heute ist die letzte Nacht, die Geister werden nervös und gereizt. Morgen ist der Dreikönigstag. Ihre Zeit ist um. Du musst mir versprechen, gut auf dich aufzupassen, Zach.“

      „Vor falschen Geistern fürchte ich mich nicht“, war er überzeugt von seinen Fähigkeiten und tätschelte vielsagend das Messer in seiner Gürtelscheide. „Wer